Grenzkontrolle: Alles in Ordnung da drüben?

Das Grenzgebiet in Huningue und Weil am Rhein wird aufgewertet. Eine Reportage aus dem Dreiländereck.

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Baustelle in Hüninge. Die Visualisierungen zeigen schimmernde Bauten mit Blick auf den Rhein. Die erste Bauetappe soll Ende 2022 abgeschlossen sein.

Schrifttafeln im öffentlichen Raum sind ein untrügliches Indiz dafür, dass ein Ort nicht einfach ist, sondern darüber hinaus etwas bedeutet. Am Dreiländereck zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich gibt es viele solcher Tafeln. Sie stehen unter Bäumen und in Parks und auf der Dreiländerbrücke, die den Fluss zwischen Huningue und Weil am Rhein überspannt. 

Man kann mit Blick auf das Dreiländereck von einer auffälligen Schrifttafeldichte sprechen. 

Folglich ist auch für Ortsunkundige davon auszugehen, dass über diesem Landstrich eine ganz besondere Bedeutung schwebt. Man spürt das, auch wenn man nicht weiss, was es ist. 

Es ist Europa. Die grosse Grenzenlosigkeit. Wer hier wohnt, so wird das der Oberbürgermeister von Weil am Rhein später sagen, ist ein «Europäer des Alltags».

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Diese hier eingefasste Fläche umfasst insgesamt 430 Hektar. Auf rund 82 Hektar davon (ca. 120 Fussballfelder) könnte Raum für 20’000 Arbeitsplätze und Einwohner*innen entstehen. (Bild: 3-land.net/start/idee/)

Internationale Delegationen aus Brüssel und anderen Ländern aus ganz Europa reisen hierher, um sich das anzuschauen. Die Planungszone zwischen Dreirosenbrücke und Palmrainbrücke gilt als das grösste trinationale Städtebauprojekt Europas. Gerade ist wieder einmal ein Entwicklungsschub im Gang. 

Aber was ist das eigentlich für ein Ort, der unter dem ganzen symbolischen Überbau zu verschwinden droht? Was passiert unter den ganzen Bedeutungsschichten, also buchstäblich, on the ground? 

Europa ist ein Geschäft

«Europäerin des Alltags? Damit kann ich gut leben», sagt Olga, die mit ihrer Freundin auf einer der neuen Bänke im Rheinpark sitzt. Sie wohnt zwar nicht in Weil am Rhein, sondern zwei Dörfer weiter, «aber wenn ich Familienbesuch aus dem Norden habe, dann wollen die über die Dreiländerbrücke gehen und sich dabei fotografieren». 

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Aida (links) und Olga sitzen im Rheinpark ein Weil am Rhein, der im Sommer 2021 neu eröffnet wurde. (Bild: Daniel Faulhaber)

Fotosujet der Familie: Die offene Grenze. An den Streben der Dreiländerbrücke, die 2007 eröffnet wurde, flattern kleine Europafahnen – die Europäische Union hat die Brücke mitfinanziert. In Huningue eröffnet im vergangenen Sommer ein kleiner Stadtpark. Auch da steckt Geld der EU drin, genauer, das Geld des Förderprogramms Interreg. Betrag: Eine Million Euro. Am Brückenkopf von Huningue entsteht zur Zeit eine schillernde Hochhaussiedlung mit schicken Apartments. 

Die Baufirma lockt Kund*innen auf der Homepage mit dem Versprechen, vom Balkon auf drei Länder blicken zu können. 

So ist das hier, zwischen Basel, Weil am Rhein und Huningue. Es ist eine unfertige Gegend mit alemannischen Wortfetzen auf der einen, Französisch auf der anderen Seite und etwas weiter Rheinaufwärts wird Baseldeutsch gesprochen. Wir haben unsere Leser*innen auf Instagram gefragt, was ihnen am Dreiländereck so gefällt. Das sind ihre Antworten:

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    Abwechselnd.

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    Grenzenlos.

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    Vielfältig.

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    Gemeinschaftlich.

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    Verbindend.

Wer noch nie da war, darf sich den Landstrich zwischen Weil am Rhein und Huningue sehr normal vorstellen. Das Wahrzeichen auf der Deutschen Seite ist ein Einkaufscenter. In Frankreich dient ein gross geratener Dorfplatz als Zentrum. Dazwischen ist die Europabrücke. Einer, der daran verdient, ist Mehmet.

Mehmet Yildiz ist Geschäftsführer des Restaurants Reina, das direkt unter der Brücke auf der sogenannten Rheinterrasse «orientalische Speisen» anbietet. Die Brücke sei gut fürs Geschäft, meint Yildiz, aber er hofft vor allem, dass bald die Rheinschiffe, aus Basel kommend, vor dem Restaurant anlegen. Kürzlich war einer da von der Schifffahrt, der wollte mit ihm über eine Zusammenarbeit reden. Wenn das klappt, sagt Yildiz, dann brummt hier aber der Laden. Der Ausstieg liegt praktisch an seiner Terrasse

Vier Rentner in quietschgelben Velotrikots haben ihre Cola ausgetrunken. Leicht gebückt gehen sie zurück zu den Fahrrädern und einer von Yildiz’ Angestellten ruft hinterher: «Respekt, echt Leute, Respekt!» Die Renter winken zum Abschied. Stolz, aber müde.  

Die Terrasse ist sehr sauber und auf den Sonnenschirmen prangt Bierwerbung. Dann beginnt Yildiz über ein anderes Dreiländereck zu sprechen. Mardin.

Mardin ist eine Stadt in der Türkei. Die Grenze zu Syrien ist direkt nebenan, die zum Irak in der Nähe. Über die Grenze in die anderen Länder zu gehen sei dort, wenn es überhaupt möglich ist, sehr aufwändig, erzählt Yildiz. «Und jetzt schau dir das hier an.» Er zeigt auf die Brücke. «Du gehst einfach rüber.»

Kazim ist ein Freund von Mehmet und wohnt hier, in Weil am Rhein. Kazim ist der Meinung, das gute Essen in einem Restaurant sei das eine. Aber, dass man sich wohl fühlt, das hat mit den Menschen zu tun. «Je unterschiedlicher, desto besser.» Und dann erzählen Kazim und Mehmet über die kurdische Kultur, die sehr offen sei und darum gut hierher passe und dass Integration bedeutet, dass man halt auch mal 1000 Euro fürs Bierfest sponsert, wenn der lokale Fussballverein danach fragt. 

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    Mehmet Yildiz kenn noch ein anderes Dreiländereck. Heute hat er ein Restaurant in Weil am Rhein.

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    Kazim Özsarik sagt, früher habe man ihn Monsieur le Visionaire genannt.

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    Das Restaurant Reina ist im Erdgeschoss des Gastrogebäudes auf der Rheinterasse in Weil am Rhein einquartiert. Reina ist kurdisch für Wiederkehren.

Randnotizen von dieser Terrasse mit Blick auf Weil am Rhein: Das Restaurant Reina («wiederkehren» auf Kurdisch) und der dahinterliegende Park gehören zum Stadtteil Friedlingen. Mit 32 Prozent ist der Ausländer*innenanteil in Friedlingen doppelt so hoch wie in der übrigen Grenzstadt Weil am Rhein. Bei der Landtagswahl 2021 erhielt die rechtspopulistische AfD in diesem Bezirk 20 Prozent der Stimmen. Ein Schlüsselverkäufer im Rheincenter sagt, eine normale Arbeitskraft im Verkauf verdient hier 12 Euro die Stunde. 

Im Park ist demonstrieren verboten. Steht auf einem Schild. Drei junge Frauen knieen mit geschlossenen Augen auf einem Hügel und beten nach Mekka. Das ist nicht verboten. 

Sagt der Oberbürgermeister, Wolfang Dietz. Dietz findet, mit dem neuen Rheinpark hat Weil am Rhein eine entscheidende Verbesserung erfahren. Dass es einen neuen Begegnungsort gebe, sei gut. «Endlich hat Weil am Rhein einen Zugang zum Fluss, auch wenn das Baden, anders als in Basel, verboten ist.»

Wenn Dietz über das Dreiländereck spricht, benutzt er oft das Wort von der «Selbstverständlichkeit» und der «Leichtigkeit», mit der man heute mit Basel und Huningue zusammenarbeite. «Das war nicht immer so, da muss man die Leute auch dran erinnern», sagt er. «Gerade Deutschland und Frankreich haben sich mehrere Jahrhunderte lang bekriegt. Wenn dann Menschen mit einem guten Willen zusammenkommen, dann ist vieles regelbar.» 

Apropos regeln: Auf der Brücke nach Huningue stehen am späteren Nachmittag zwei Beamte der Bundespolizei. Was machen die da? «Verdachtsunabhängige Stichproben», sagt einer. Hier sei ein geeigneter Ort dafür. Alle müssen hier durch. 

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    Olesja (links) und Olga wohnen in der Nähe. Olesja arbeitet heute in der Schweiz.

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    Blick von der Dreiländerbrücke in Richtung Basel. Links der Eingang zu den Hafenbecken.

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    Ein Boot der Schweizer Grenzwache kreuzt auf dem Rhein. Die Grenze wird bei genauem Hinsehen punktuell stark überwacht.

Auch Olga und Olesja wollen hier durch. Spaziergang von Weil nach Hüningen. Sie wohnen hier, aber das war nicht immer so, sagen sie. Die Grosseltern wurden im Dritten Reich nach Kasachstan deportiert. Die Enkel, sie selbst, zogen dann wieder zurück. Heute arbeitet Olesja als Pflegerin in der Schweiz. Sie wohnt in Weil am Rhein. 

Man sollte nicht in Versuchung geraten, die Migrationsgeschichten von Olga und Olesja und Mehmet und Kazim mit dem ineinanderfliessenden Grenzland zu verknüpfen. Zufällige Menschen, an zufälligem Ort. Trotzdem auffällig: Die gut dokumentierten Veranstalter dieser Dreiländershow sind lokale Behörden mit leichtem Hang zur Selbstüberhöhung und Gravitas. 

Auf den Schrifttafeln stehen ihre Namen. Sie haben das hier eröffnet. Sie haben das da gebaut.

Aber das Bodenpersonal auf diesem Stückchen Europa des Alltags kommt von wo ganz anders. Ihre Namen stehen nicht auf den Tafeln. Aber ihre Geschichten prägen den Ort. 

Die Brücke vibriert, wenn man sie überquert. Als würde sie von den Velofahrer*innen und Spaziergänger*innen in Schwingung versetzt. Unter der Brücke ist jetzt ein Polizeiboot der Schweizer Grenzwache zu sehen. Ein Kiesfrachter kreuzt das Boot Richtung Norden und spült Wellen ans französische Ufer.   

In Huningue gibt eine grosse Baustelle zu reden. Les Jetées, übersetzt «die Piers», soll bis 2025 800 neue Einwohner*innen ins 7000-Seelen Dorf bringen. Es gibt ein «Projekthaus», da kann man sich über die Preise informieren. Eine Vierzimmerwohnung im Turm kostet 840'000 Euro, sagt ein eleganter Mann mit schönen Haaren. Der Hüninger Bürgermeister Jean-Marc Deichtmann sagt, rund ein Drittel der Interessent*innen an Les Jetées kämen aus der Schweiz. Expats. Mitarbeiter*innen der Pharma-Industrie. 

Vor einem der alten Wohnblocks, zwei Strassen hinter der Baustelle von Les Jetées, sitzen fünf alte Frauen auf weissen Plastikstühlen im Kreis. Sie reden über die Hitze und die Wäsche. Les Jetées mache das alte Huningue kaputt. «Diese Häuser sind einfach zu gross.» Hat man sie denn gefragt, ob sie mit dem Bauprojekt einverstanden seien? 

Die Frau zuckt mit der Schulter. «Kann sein», sagt sie. 

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    Das «alte» Dreiländereck sieht in weiten Teilen so aus: Einfache Häuser, günstige Mieten. Alte Bewohner*innen stehen dem neuen Projekt skeptisch gegenüber.

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    Schrifttafeln erinnern überall an den historischen Überbau dieser Gegend.

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    Pause machen im neuen Parkstreifen in Huningue. Die Möbel hat die EU mitbezahlt.

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    Die erste Bauetappe von Les Jetées soll Ende 2022 abgeschlossen sein.

Auf der Homepage wirbt Les Jetées mit grenznahem Wohnen: «Europa in einer Viertelstunde». Das Dreiländereck ist hier auch ein Verkaufsargument. Bald soll dieses Versprechen weitere Argumente erhalten. Zwischen Basel, Hüningen und Weil am Rhein sind mehrere Fussgängerbrücken über den Rhein geplant, um das Dreiland noch besser zu verbinden. Das Basler Bau- und Verkehrsdepartement sagt, man arbeite «aktiv» und «mit hoher Priorität» an den Projekten.

Der Basler Regierungspräsident Beat Jans hat sich, wie Dietz, auf den Begriff von den Europäern des Alltags geeinigt, wenn man ihn nach der Bedeutung des Dreiländerecks für den Alltag der Menschen fragt. Er sagt: «Das Projekt 3Land und weitere Projekte sind gelebter Ausdruck dieses europäischen Geistes.»

Die ersten zwei Bauten des Bauprojekts Les Jetées sollen Ende 2022 bezugsbereit sein. Der Campingplatz nebenan muss weg, damit die weiteren Bauten des Pionierquartiers Platz finden. Vielleicht gibt es eine neue Schautafel. «Hier wurde früher im Sommer gecampt.» 

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Themeninputs und Hinweise gerne an [email protected] . Twitter: @dan_faulhaber


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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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