Nordtangente – Vorbild oder Trugbild?
Vor 30 Jahren wurde in Basel schon einmal ein grosser Autobahntunnel gebaut: die Nordtangente. Hat sie die gewünschte Entlastung gebracht? Was können wir vom bisher grössten Strassenbauprojekt Basels lernen, während wir über ein noch grösseres diskutieren?
Die Daseinsberechtigung des Rheintunnels entscheidet sich aus Basler Sicht an einer Frage: Wird mit dem Autobahnprojekt das Strassennetz in der Stadt entlastet? Auch wenn Befürworter*innen und Gegner*innen sich derzeit kaum zu Wort kommen lassen, verbindet sie eigentlich das gleiche Ziel: Weniger Verkehr auf Basels Strassen.
Der Rheintunnel als Teil des nationalen Autobahnausbaus verspricht das: Ein Loch im Boden, das Basel unterquert und bei Birsfelden wieder rauskommt. Die Autos und LKW fahren brav da durch und auf der Osttangente wird weniger los sein – und damit auch im nachgelagerten Verkehrsnetz in der Stadt. Dieses Bild ergibt sich auch beim Blick auf die vom Bundesamt für Strassen (ASTRA) prognostizierten Effekte des Rheintunnels.
Die Gegner*innen des Rheintunnels argumentieren, dass während der zehnjährigen Bauzeit des Rheintunnels der Verkehr auf allen anderen Strassen wegen der gigantischen Baustelle zunehmen würde. Und sie verweisen auf Studien (meist aus den USA, was als Kritikpunkt gilt), die belegen, dass neue Strassen mittelfristig mehr Verkehr anziehen und somit das Stauproblem nicht endgültig gelöst wird.
Die Deutungshoheit über den Effekt des Rheintunnels wird heiss diskutiert. In einem aktuellen Artikel der Basler Zeitung werfen Verantwortliche verschiedener Autoverbände den Rheintunnel-Gegner*innen vor, mit Falschinformationen Wahlkampf zu betreiben. Daniel Seiler, FDP-Grossrat und Geschäftsführer der Basler Sektion des Auto Club Schweiz, zeigt darin die Nordtangente als Beispiel dafür auf, wie ein Autobahntunnelprojekt Basler*innen nicht nur Entlastungen, sondern Verbesserungen gebracht habe.
Die Nordtangente, dieser drei Kilometer lange Autobahnabschnitt von der Grossbasler Seite der Dreirosenbrücke bis zur Wiese, ist tatsächlich ein Projekt, das sich lohnt, im Hinblick auf die Rheintunnel-Abstimmung nochmal genauer anzuschauen. Wie beim Rheintunnel wurde Jahrzehnte lang über dieses Projekt gestritten. Wie beim Rheintunnel war die Vision ausschlaggebend, dass die lokalen Strassen in den Quartieren entlastet werden sollen. Wie beim Rheintunnel sollte der Verkehr unter die Erde verlegt werden. Und wie beim Rheintunnel litt die Dreirosenanlage unter dem Bau.
Was also hat die Nordtangente gebracht? Ist die gewünschte Entlastung eingetroffen?
Während heute beim Rheintunnel auf die Breite, das Wettstein und das Gellert verwiesen wird, wo man unter dem Lärm und dem Verkehr der Osttangente leidet, waren in den 80ern die Voltastrasse, die Horburgstrasse, die Feldbergstrasse und die Schanzenstrasse jene Abschnitte, die über den vielen Verkehr klagten. Der Verkehr war zum Teil bis zum Heuwaage-Viadukt gestaut. Zur Verkehrsentwicklung auf diesen Strassen kann man auf die Daten der Zählstellen in der Nähe (hier kann man sie auf der Karte nachschlagen) zurückgreifen.
Die Grafik macht deutlich, dass der Verkehr an den Zählstationen kontinuierlich weniger wurde. Nur noch 40 bis 50 Prozent der Verkehrsmenge von 1998 sind heute entlang dieser Strassen unterwegs. Das ist auch das Fazit, das der Kanton selbst zieht, als er 2015 eine Wirkungskontrolle zum Effekt der Nordtangente veröffentlicht hat. Dort ist die Rede davon, dass in ganz Basel bei zwei Drittel der Zählstellen der Verkehr im Vergleichszeitraum gesunken ist.
Das Amt für Mobilität schreibt: «Insgesamt trägt die Nordtangente auch fünf Jahre nach ihrer Eröffnung zu einer deutlichen Entlastung der Quartiere vom Verkehr bei. Die Abnahme des Verkehrs auf den Lokalstrassen in Basel Nord steht dabei in Verbindung mit einer Zunahme des Verkehrs auf den Nationalstrassen bzw. der Nordtangente.» Die auf der Website des ASTRA einsehbaren Daten zur Verkehrsentwicklung auf den Nationalstrassen bestätigen den Zuwachs auf der Nord- und der Osttangente.
Hat die Nordtangente also doch die Verkehrsprobleme gelöst, die sie zu lösen versprochen hat?
Florian Schreier vom Verkehrsclub Schweiz (VCS) beider Basel, der das Referendum gegen den Autobahnausbau ergriffen hat, räumt ein, dass die Nordtangente das Verkehrsaufkommen in den Quartiersstrassen zum Teil stark verbessert hat, wenn auch das Niveau immer noch «grauenhaft» sei: «Lärm- und Feinstaubbelastung liegen immer noch über den Grenzwerten. Die Probleme wurden also nicht gelöst.» Zudem habe die angesprochene Verkehrszunahme auf der Nordtangente die Abnahme auf den Quartierstrassen «mehr als überkompensiert».
«Lärm- und Feinstaubbelastung liegen immer noch über den Grenzwerten. Die Probleme hat die Nordtangente also nicht gelöst.»Florian Schreier, VCS beider Basel
Birgit Kron vom Touring Club Schweiz (TCS), der den Autobahnausbau befürwortet, hält entgegen: «Wir müssen uns fragen: Was, wenn wir die Nordtangente nicht hätten? Wo würde der Verkehr dann entlang fahren? Die Autos würden durch die Stadt fahren und bei Stau auf die Quartierstrassen ausweichen.» Die Entlastung Basels durch die Nordtangente lässt sich für Kron nicht wegdiskutieren: «Alle, die schon vor 30 Jahren im Matthäus und im St. Johann gewohnt haben, werden das Aufblühen der Quartiere bestätigen, das erst durch die Nordtangente möglich wurde. Wenn wir den Verkehr intelligent kanalisieren, kann das neue Freiflächen schaffen.»
Auch Schreier verweist auf die alteingesessene Quartierbevölkerung, «die sich jetzt ärgert, dass ihr mit dem Rheintunnel schon wieder eine Mega-Baustelle droht». Dass Baustellen «mühsam» sind, weist auch Kron nicht zurück: «Aber wenn der Rheintunnel nicht gebaut würde, müsste früher oder später die in die Jahre gekommene Osttangente saniert werden – die Umleitung des Verkehrs durch die Stadt möchte ich den Quartieren nicht zumuten.»
«Was, wenn wir die Nordtangente nicht hätten? Dann würden alle Autos noch immer durch die Stadt fahren und bei Stau auf die Quartierstrassen ausweichen.»Birgit Kron, TCS Basel
Auch Schreier verweist auf die alteingesessene Quartierbevölkerung, «die sich jetzt ärgert, dass ihr mit dem Rheintunnel schon wieder eine Mega-Baustelle droht». Dass Baustellen «mühsam» sind, weist auch Kron nicht zurück: «Aber wenn der Rheintunnel nicht gebaut würde, müsste früher oder später die in die Jahre gekommene Osttangente saniert werden – die Umleitung des Verkehrs durch die Stadt möchte ich den Quartieren nicht zumuten.»
Bevor der Rheintunnel zur Abstimmung kommt, hat der Kanton Basel-Stadt jüngst in seinem Klimaschutzaktion zur Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2037 verpflichtet, dass jeglicher Kapazitätsausbau der Autobahn auf lokalen Strassen kompensiert werden soll. Die Vorschläge sind noch nicht konkret, aber es ist die Rede von Verbesserungen für den Fuss- und Veloverkehr, ÖV-Priorisierung, Abbau von Fahrstreifen an Knoten, Einbahnregimes, Durchfahrtssperren und Temporeduktion.
Die Gegner*innen wollen sich allerdings nicht auf diese Versprechen verlassen. Schreier zeigt hier wieder zur Nordtangente: «Auch an der Feldbergstrasse wurden spärliche Begleitmassnahmen versprochen, als die Nordtangente gebaut wurde. Umgesetzt hat man sie nie.» Tempo 30 auf der Feldbergstrasse kam dann immerhin im Januar dieses Jahres.