Nordtangente – Vorbild oder Trugbild?

Vor 30 Jahren wurde in Basel schon einmal ein grosser Autobahntunnel gebaut: die Nordtangente. Hat sie die gewünschte Entlastung gebracht? Was können wir vom bisher grössten Strassenbauprojekt Basels lernen, während wir über ein noch grösseres diskutieren?

Bau Nordtangente
Ein grosses Loch in der Voltstrasse: So sah es aus, als damals die Nordtangente in Basel gebaut wurde. (Bild: zvg)

Die Daseinsberechtigung des Rheintunnels entscheidet sich aus Basler Sicht an einer Frage: Wird mit dem Autobahnprojekt das Strassennetz in der Stadt entlastet? Auch wenn Befürworter*innen und Gegner*innen sich derzeit kaum zu Wort kommen lassen, verbindet sie eigentlich das gleiche Ziel: Weniger Verkehr auf Basels Strassen.

Der Rheintunnel als Teil des nationalen Autobahnausbaus verspricht das: Ein Loch im Boden, das Basel unterquert und bei Birsfelden wieder rauskommt. Die Autos und LKW fahren brav da durch und auf der Osttangente wird weniger los sein – und damit auch im nachgelagerten Verkehrsnetz in der Stadt. Dieses Bild ergibt sich auch beim Blick auf die vom Bundesamt für Strassen (ASTRA) prognostizierten Effekte des Rheintunnels.

Rheintunnel Verkehrsbelastung Basel Breite
Die Verkehrsbelastung in Basel gemäss ASTRA für den Fall, dass der Rheintunnel (rote fette Linie) gebaut wird. Die dicke grüne Linie ist der bestehende Autobahnabschnitt Osttangente, der dann 2040 weniger Verkehr hätte. Alle anderen Linien zeigen an, wie sich der Rheintunnel-Effekt auf das nachgelagerte Verkehrsnetz in Basel auswirken würde (grün: weniger Verkehr; rot: mehr Verkehr). (Bild: ASTRA/Auflageprojekt Rheintunnel)

Die Gegner*innen des Rheintunnels argumentieren, dass während der zehnjährigen Bauzeit des Rheintunnels der Verkehr auf allen anderen Strassen wegen der gigantischen Baustelle zunehmen würde. Und sie verweisen auf Studien (meist aus den USA, was als Kritikpunkt gilt), die belegen, dass neue Strassen mittelfristig mehr Verkehr anziehen und somit das Stauproblem nicht endgültig gelöst wird.

Die Deutungshoheit über den Effekt des Rheintunnels wird heiss diskutiert. In einem aktuellen Artikel der Basler Zeitung werfen Verantwortliche verschiedener Autoverbände den Rheintunnel-Gegner*innen vor, mit Falschinformationen Wahlkampf zu betreiben. Daniel Seiler, FDP-Grossrat und Geschäftsführer der Basler Sektion des Auto Club Schweiz, zeigt darin die Nordtangente als Beispiel dafür auf, wie ein Autobahntunnelprojekt Basler*innen nicht nur Entlastungen, sondern Verbesserungen gebracht habe.

Die Nordtangente, dieser drei Kilometer lange Autobahnabschnitt von der Grossbasler Seite der Dreirosenbrücke bis zur Wiese, ist tatsächlich ein Projekt, das sich lohnt, im Hinblick auf die Rheintunnel-Abstimmung nochmal genauer anzuschauen. Wie beim Rheintunnel wurde Jahrzehnte lang über dieses Projekt gestritten. Wie beim Rheintunnel war die Vision ausschlaggebend, dass die lokalen Strassen in den Quartieren entlastet werden sollen. Wie beim Rheintunnel sollte der Verkehr unter die Erde verlegt werden. Und wie beim Rheintunnel litt die Dreirosenanlage unter dem Bau.

Nordtangente Bau
Von 1994 bis 2008 wurde die Nordtangente gebaut. (Bild: zvg)

Was also hat die Nordtangente gebracht? Ist die gewünschte Entlastung eingetroffen?

Während heute beim Rheintunnel auf die Breite, das Wettstein und das Gellert verwiesen wird, wo man unter dem Lärm und dem Verkehr der Osttangente leidet, waren in den 80ern die Voltastrasse, die Horburgstrasse, die Feldbergstrasse und die Schanzenstrasse jene Abschnitte, die über den vielen Verkehr klagten. Der Verkehr war zum Teil bis zum Heuwaage-Viadukt gestaut. Zur Verkehrsentwicklung auf diesen Strassen kann man auf die Daten der Zählstellen in der Nähe (hier kann man sie auf der Karte nachschlagen) zurückgreifen.

Die Grafik macht deutlich, dass der Verkehr an den Zählstationen kontinuierlich weniger wurde. Nur noch 40 bis 50 Prozent der Verkehrsmenge von 1998 sind heute entlang dieser Strassen unterwegs. Das ist auch das Fazit, das der Kanton selbst zieht, als er 2015 eine Wirkungskontrolle zum Effekt der Nordtangente veröffentlicht hat. Dort ist die Rede davon, dass in ganz Basel bei zwei Drittel der Zählstellen der Verkehr im Vergleichszeitraum gesunken ist.

Das Amt für Mobilität schreibt: «Insgesamt trägt die Nordtangente auch fünf Jahre nach ihrer Eröffnung zu einer deutlichen Entlastung der Quartiere vom Verkehr bei. Die Abnahme des Verkehrs auf den Lokalstrassen in Basel Nord steht dabei in Verbindung mit einer Zunahme des Verkehrs auf den Nationalstrassen bzw. der Nordtangente.» Die auf der Website des ASTRA einsehbaren Daten zur Verkehrsentwicklung auf den Nationalstrassen bestätigen den Zuwachs auf der Nord- und der Osttangente.

Hat die Nordtangente also doch die Verkehrsprobleme gelöst, die sie zu lösen versprochen hat?

Florian Schreier vom Verkehrsclub Schweiz (VCS) beider Basel, der das Referendum gegen den Autobahnausbau ergriffen hat, räumt ein, dass die Nordtangente das Verkehrsaufkommen in den Quartiersstrassen zum Teil stark verbessert hat, wenn auch das Niveau immer noch «grauenhaft» sei: «Lärm- und Feinstaubbelastung liegen immer noch über den Grenzwerten. Die Probleme wurden also nicht gelöst.» Zudem habe die angesprochene Verkehrszunahme auf der Nordtangente die Abnahme auf den Quartierstrassen «mehr als überkompensiert».

Schreier Florian
«Lärm- und Feinstaubbelastung liegen immer noch über den Grenzwerten. Die Probleme hat die Nordtangente also nicht gelöst.»
Florian Schreier, VCS beider Basel

Birgit Kron vom Touring Club Schweiz (TCS), der den Autobahnausbau befürwortet, hält entgegen: «Wir müssen uns fragen: Was, wenn wir die Nordtangente nicht hätten? Wo würde der Verkehr dann entlang fahren? Die Autos würden durch die Stadt fahren und bei Stau auf die Quartierstrassen ausweichen.» Die Entlastung Basels durch die Nordtangente lässt sich für Kron nicht wegdiskutieren: «Alle, die schon vor 30 Jahren im Matthäus und im St. Johann gewohnt haben, werden das Aufblühen der Quartiere bestätigen, das erst durch die Nordtangente möglich wurde. Wenn wir den Verkehr intelligent kanalisieren, kann das neue Freiflächen schaffen.»

Birgit Kron
«Was, wenn wir die Nordtangente nicht hätten? Dann würden alle Autos noch immer durch die Stadt fahren und bei Stau auf die Quartierstrassen ausweichen.»
Birgit Kron, TCS Basel

Auch Schreier verweist auf die alteingesessene Quartierbevölkerung, «die sich jetzt ärgert, dass ihr mit dem Rheintunnel schon wieder eine Mega-Baustelle droht». Dass Baustellen «mühsam» sind, weist auch Kron nicht zurück: «Aber wenn der Rheintunnel nicht gebaut würde, müsste früher oder später die in die Jahre gekommene Osttangente saniert werden – die Umleitung des Verkehrs durch die Stadt möchte ich den Quartieren nicht zumuten.» 

Bevor der Rheintunnel zur Abstimmung kommt, hat der Kanton Basel-Stadt jüngst in seinem Klimaschutzaktion zur Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2037 verpflichtet, dass jeglicher Kapazitätsausbau der Autobahn auf lokalen Strassen kompensiert werden soll. Die Vorschläge sind noch nicht konkret, aber es ist die Rede von Verbesserungen für den Fuss- und Veloverkehr, ÖV-Priorisierung, Abbau von Fahrstreifen an Knoten, Einbahnregimes, Durchfahrtssperren und Temporeduktion.

Die Gegner*innen wollen sich allerdings nicht auf diese Versprechen verlassen. Schreier zeigt hier wieder zur Nordtangente: «Auch an der Feldbergstrasse wurden spärliche Begleitmassnahmen versprochen, als die Nordtangente gebaut wurde. Umgesetzt hat man sie nie.» Tempo 30 auf der Feldbergstrasse kam dann immerhin im Januar dieses Jahres.

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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

Kommentare

Reiner
11. November 2024 um 09:29

Irreführende Daten

Leider wird bei der Wirkungskontrolle und auch in diesem Artikel der zurükgegangene Verkehr ausgewisen. In der Grafik wird die Dreirosenbrücke mit einer grossen Verkehrsabname dargestellt. Das ist Falsch, erst im Text wird ersichtlich das nur der lokale, also die obere Fahrban gemeint ist. Eine gegenüberstellung der Autobahn wird im Text nur erwähnt. Doch genau diese Autobahn fürt auch durch das Quartier, muss also korekterweise auch ausgewisen werden.

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Axel Schubert
Dipl.-Ing. Arch, Stadtplaner / Dozent Nachhaltigkeit

Nordtangente und Rheintunnel: Äpfel und Birnen!

Ich verstehe nicht recht, warum hier nicht recht danach gefragt wird, inwiefern Nordtangente und Rheintunnel überhaupt vergleichbar sind. Ein paar Punkte dazu: 1. Das ASTRA (Bundesamt für Strassen) bewertet in der Kostenwirksamkeitsanalyse die Wirkung des Rheintunnels auf das untergeordnete Netz NEGATIV. (Quelle: Strategisches Entwicklungsprogramm Nationalstrassen (STEP-NS 2022), Schlussbericht Nationalstrassen, S.57; Indikator VQ6). 2. gemäss Umweltverträglichkeitsbericht zum Rheintunnel (S.57) wird es auf der Osttangente (Gellertdreieck/Breite) NICHT leiser. 3. Nordtangente war internationaler Verkehr auf Stadtstrasse. Der ist jetzt unten. Oben verbleibt Quartierverkehr. Das ist ein Zurückstufen der Strasse um ca. 2 Kategorien. ANDERS beim Rheintunnel. Osttangente behält 70-80% des Verkehrs, d.h. ca. 50'000-60'000 Fahrzeuge. Wer kommt darauf, diese Anzahl mit dem Verkehr auf der Nordtangente (Stadtebene) zu vergleichen? (Kommentar 1/2)

Reiner
11. November 2024 um 17:31

Daten

Herr Rutschmann ja in der Aufklabbox kann man die Sachen nachlesen. Ist da aber nicht sofort ersichtlich. In der Grafik steht Definitiv Verkersaukomen in Basel und in Rot Dreirosenbrücke. Das ist aber nur der Verkehr auf der oberen Fahrbahn. Das ist der irefürende Punkt und verfälscht die Wahrnemung. Zudem wie Sie selbst zugeben fürt der Tunnel durch das St Johan und auch Durch die Brücke.

Lars
11. November 2024 um 19:12

Trugschluss

Also wenn ich den Bericht überfliege hat der Verkehr in Basel doch abgenommen. Dan Braucht es doch gar kein Rheintunnel mehr. Liber den öv ausbauen.