«Es kommt oft anders, aber meistens doch irgendwie gut»

Der Basler Autor Tim Altermatt hat mit seinem Debütroman «Mimikry» ein Buch über Gentrifizierung, Nostalgie und seine Leidenschaft zur Musik geschrieben. Im Mai ist er im Bajour-Buchclübli im Labyrinth zu Gast.

Tim Altermatt
Tim Altermatt hat ein sehr persönliches und auch politisches Buch über das Erwachsenwerden geschrieben. (Bild: Valerie Wendenburg)

Tim Altermatt, in Ihrem Buch geht es um den Plattenladen «Drittel», der kurz vor dem Aus steht. Der Verkäufer Milo versucht, das Geschäft zu retten. Wie steht es mit Ihrer Liebe zur Musik?

Wie die meisten Menschen – zumindest in meiner Generation – liebe ich Musik. Gleichzeitig ist sie für mich auch immer schon eine Möglichkeit gewesen, mich zu identifizieren.

Inwiefern?

Ich bin musikalisch stark durch mein Elternhaus geprägt. Mein Vater hat eine grosse Plattensammlung. Es war mir schon früh ein Bedürfnis, meine Liebe zur Musik auch physisch auszudrücken. Ich hatte in meinem Kinderzimmer im Elternhaus einen Plattenspieler und zwei grosse Lautsprecher. Die Plattencover meiner liebsten Bands nagelte ich alle an die Wand neben meinem Bett. So war Musik immer sehr präsent und sichtbar in meinem Leben. 

Im Buch geht es gleich zu Beginn um Supertramp – sind die Songs 2025 wieder aktuell oder sind Sie ein Musik-Freak?

Einige der älteren Bands haben heutzutage wieder enorme Comebacks gefeiert. Supertramp ist jetzt nicht mehr mega im Trend, aber Queen oder Fleetwood Mac haben beispielsweise mehr als 50 Millionen monatliche Hörer*innen auf Spotify, manche ihrer Songs wurden über eine Milliarde mal gestreamt. Ältere Musik übt also teilweise noch immer eine sehr starke Anziehung auf uns aus.

Tim Altermatt
zur Person

Tim Altermatt wurde 1998 geboren und wuchs in Basel auf. Er studiert an der Universität Basel Geschichte und Philosophie und veröffentlichte bereits mehrere Texte in Anthologien und Gedichtsammlungen.

Im Buch arbeiten die Figuren Mara und Milo im Plattenladen und hören die gleiche Musik wie ihre meist ältere Kundschaft. Ist Musik für Sie ein verbindendes Element zwischen den Generationen?

Ja, auf jeden Fall. Mein Buch ist es im besten Falle auch. Musik kann aber auch trennend sein. Milo versucht, sich über die Musik von anderen abzugrenzen. Vieles lehnt er einfach aus Reflex ab, hat Scheuklappen auf und versteckt sich auch hinter seiner Musik. 

Ist Musik für ihn also auch ein Schutz?

Absolut. Milo ist – als es um die Existenz des Geschäfts geht – zwar schon bereit, gewisse Kompromisse einzugehen. Dennoch hält er fast schon trotzig an seiner Musik fest und identifiziert sich mit ihr. Sie ist in dieser ungewissen Phase seines Lebens eine seiner wenigen Gewissheiten und Fixpunkte und gibt ihm Selbstbewusstsein.

Mit dieser Beharrlichkeit will er das «Drittel» ja auch retten …

Genau. Dieses Thema ist mir sehr wichtig. Einerseits liebt er Tradition und verteidigt alte Werte – und dennoch muss er ab und zu etwas hinter sich lassen. Tradition kann einem enorm viel Kraft und Halt geben. Aber es erschwert auch, Dinge neu zu denken. Das beschäftigt mich im Hinblick auf sehr viele gesellschaftliche Themen, wenn es schwer ist, Kompromisse zu finden. 

«Ich habe ein sehr offenes Buch geschrieben, das zur kritischen Reflexion und zum politischen Diskurs einlädt.»
Tim Altermatt, Autor

Zum Beispiel?

Ich sehe diese Konflikte in vielen Bereichen. Prominent gerade beim Thema Künstliche Intelligenz, welche die Art und Weise, wie wir Kunst und Informationen generieren, völlig auf den Kopf stellt. Aber auch beim Thema Bargeld, Digitalisierung, Gentechnik oder Streaming. Alles Bereiche, in denen viele von uns das Altbekannte irgendwie schützen wollen, weil wir uns aus gewissen Gründen noch oder noch nicht davon trennen möchten. Da sagen viele: Okay, das könnte man zwar mittlerweile effizienter oder besser machen, aber wir lassen es lieber so, wie es uns vertraut ist und wie wir es zu schätzen gelernt haben. 

Mimikry hat also auch eine politische Komponente, wenn auch eher unterschwellig.

Das Buch ist eher diplomatisch geworden. Darüber bin ich im Nachhinein auch froh, denn dadurch ist es ein sehr offenes Buch, das zur kritischen Reflexion und zum politischen Diskurs einlädt, statt zu belehren.

Buchclübli
Buchclübli im Labyrinth

Im nächsten Buchclübli mit Vali im Labyrinth sprechen wir am Donnerstag, 8. Mai, über das Buch Mimikry von Tim Altermatt. Er wird auch anwesend sein. Das Buch erhältst du mit einem Rabatt von 10 Prozent im Labyrinth. Hast du Lust, Roman und Autor kennenzulernen?

Zur Anmeldung

Sie setzten sich dafür ein, dass Dinge erhalten bleiben – was ist besser an Schallplatten als an Playlists?

Schallplatten sind nicht per se besser. Aber ich denke, dass wir trotz allem noch immer sehr physische Wesen sind. Wir spüren Dinge gerne, wir halten sie gerne in den Händen, betasten und untersuchen sie. Ich persönlich schätze die Nachvollziehbarkeit der physischen Dinge sehr. Wenn ich eine Platte kaufe, dann nehme ich sie selbst nach Hause, sortiere sie ein und leg sie dann auf den Plattenteller. Im digitalen Raum hingegen werden die Dinge nach einer uns unbekannten Logik von Algorithmen geordnet und kuratiert. Dadurch fehlt ihnen eine persönliche Verortung und ich glaube, genau diese Verortung ist das, was den Dingen dann auch in unserem eigenen Leben einen wichtigen Platz gibt.

Sie haben das Buch bereits vor vier Jahren geschrieben ... Hat sich seitdem viel verändert?

Es hat sich sehr vieles gewandelt. Mittlerweile habe ich mein Elternhaus verlassen und lebe in einer WG. Die Boxentürme und mein Plattenspieler haben nun keinen Platz mehr in meinem Zimmer und daher habe ich meinem Vater alles übergeben. Er hat mich damals an die Schallplatten herangeführt und jetzt trete ich meine Sachen wieder an ihn ab – damit schliesst sich für mich ein bisschen ein Kreis. Während ich Mimikry geschrieben habe, habe ich ja noch daheim gelebt. Damals mussten meine Platten eine Hauptrolle in meinem Buch spielen, weil sie eine zentrale Rolle in meinem Leben gespielt haben.

«Mimikry ist sicher auch ein Buch über das Erwachsenwerden.»
Tim Altermatt, Autor

Also steckt viel Tim im Milo?

Absolut. Ich habe mich im Buch auch kritisch mit mir selbst auseinandergesetzt. Mit meinem Musikverhalten und meiner eigenen Identifikation über die Musik, die ich höre. Es ist sicher auch ein Buch über das Erwachsenwerden. Die Message des Buches, wenn es eine gibt, ist: Vieles im Leben wird nicht so werden, wie wir es uns erträumen. Es kommt oft ganz anders, aber meistens dann eben doch irgendwie gut. Und Kompromisse gehören einfach dazu. Das mussten Milo und ich beide lernen. Aber genau das macht den eigenen Lebensweg ja auch so vielschichtig und, meiner Meinung nach, auch so interessant.

Gibt es in Ihrem Umfeld viele Leute, die wieder mehr auf Analoges setzen und nostalgisch unterwegs sind?

Ich glaube, diese Magie des Alten wird, je weiter sich die Technik ändert, immer stärker. Ich kenne viele Leute, deren Lieblingsfilme älter als sie selbst sind. Die meisten pflegen eine Mischung aus neu und alt und sind da recht undogmatisch unterwegs. Ich glaube auch, dass das eine reizvolle Mischung ist. 

Warum haben Sie den Titel «Mimikry» gewählt?

Der Begriff stammt eigentlich aus der Biologie und bezeichnet den Vorgang, wenn eine Spezies eine andere nachahmt, um sich somit einen Überlebensvorteil zu verschaffen. Das lässt sich mühelos auf das Thema Gentrifizierung und Aufwertung übertragen: Die neueren Geschäfte und Läden versuchen gerne, das, was sie einst verdrängt haben, nachzuahmen, um eben genau diesen Wunsch nach dem Altbekannten zu stillen. Dann haben wir beispielsweise global agierende Grosskonzerne, die ihre Plakate plötzlich auf Baseldeutsch machen oder teure Bars, die auf alternativ machen, um authentisch zu wirken.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Ich arbeite gerade an einem neuen Buch. Es spielt in der Ufologie-Szene und befasst sich mit der Frage, was geschieht, wenn Leute beginnen, an Sachen zu glauben, die die meisten Menschen für absurd oder verrückt halten. Ich denke, abweichende Meinungen und der Umgang damit sind heutzutage ein sehr relevantes Thema. Es wird aber sicher ein ganz anderes Buch als Mimikry, ich habe viele Ideen und möchte jetzt mal etwas völlig Neues versuchen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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