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Mutig in die Lücken hinein

Kultur, Satire, Lokaljournalismus: Die Konzentration in der Medienbranche hat Raum für neue Projekte geschaffen. Deren Erfolg hängt weniger von den Inhalten als vom Geschäftsmodell ab.

11/10/21, 11:13 AM

Aktualisiert 11/24/21, 09:51 PM

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Was hat die Medienbranche mit dem Biermarkt gemeinsam? Vieles, sagt Kulturjournalist Mathias Balzer.

Was hat die Medienbranche mit dem Biermarkt gemeinsam? Vieles, sagt Kulturjournalist Mathias Balzer.

Dieser Artikel ist zuerst am 4. November 2021 in Die Wochenzeitung WOZ erschienen. Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

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Wer die Veränderungen in der Schweizer Medienlandschaft verstehen will, muss auf den Biermarkt schauen. Das sagt Mathias Balzer, in Chur und Basel lebender Kulturjournalist und einer der diversen neuen Mediengründer*innen. Gleich drei ambitionierte Projekte sind derzeit dabei, via Crowdfunding Geld für den Aufbau von Redaktion und Plattform aufzutreiben. Dazu kommen zahlreiche neue lokale und szenenbezogene Titel, die in den letzten Jahren an den Start gegangen sind.

In den neunziger Jahren, nach dem Aufbrechen des Bierkartells, gingen viele Schweizer Brauereien ein oder wurden von den Multis Heineken und Carlsberg aufgekauft. Damit entstand eine gewaltige Marktkonzentration, aber auch Nischen, die heute von über tausend meist kleinen Brauereien besetzt werden. Carlsberg und Heineken, das sind Tamedia, Ringier und CH Media, die den Markt weitgehend unter sich aufteilen, dabei aber aufgeben, zusammenlegen oder verkümmern lassen, was nicht rentiert.

Ein Feuerwerk der Formen

Balzers Kulturmagazin heisst «Frida», erscheinen soll es einmal die Woche online. Mindestens 96 grössere Texte für 96 Franken pro Jahr verspricht er den Abonnent*innen. Das Bedürfnis nach neuen Inhalten, glaubt er, sei immens. «Die Situation ist dramatisch.»

Ein halbes Jahr lang reiste Balzer durchs Land, sprach mit Kulturschaffenden, Veranstalter*innen, Museums- und Theatermacher*innen. Der Befund sei eindeutig: Schweizer Kultur finde kaum mehr Resonanz, weil viele Titel ihre Kulturteile kleingespart oder in Lifestyle-Plattformen umgewandelt hätten. «Und wenn etwas besprochen wird, ist es eine neue Netflix-Serie und nicht die lokale Premiere.»

«Wenn etwas besprochen wird, ist es eine neue Netflix-Serie und nicht die lokale Premiere.»

Mathias Balzer, Kulturjournalist und «Frida»-Gründer, über die Kulturteile in den Zeitungen

Eng geworden ist es auch für Satiriker*innen in der Schweiz. Ein grosser Knall soll diesen Raum weiten: die «Petarde», eine Plattform für das Witzgewerbe. Tom Künzli, einer der Initiant*innen, zeichnet seit vielen Jahren Karikaturen für verschiedenste Titel. Auch für den «Nebelspalter», bis dieser von rechten Krawallmachern übernommen wurde.

Das Ende des alten «Nebelspalters» habe ihn motiviert, etwas Neues zu schaffen, sagt Künzli, «aber eigentlich ist es seit zwanzig Jahren prekär». Nur wenige könnten von ihrer Arbeit leben, dazu gebe es immer weniger Publikationsplätze. Paradoxerweise, glaubt Künzli, sei die Lust des Publikums auf Satire aber enorm.

Die «Petarde» will vorerst zehn Satiriker*innen ein «bedingungsloses Witzeinkommen» (Künzli) gewähren. 500 Franken im Monat, unabhängig vom gelieferten Material. Es soll Zeichnungen geben, Texte, Videos, Memes – ein Feuerwerk der Formen. Mitwirken wollen auch einige etablierte Kolleg*innen, die mit ihrer Arbeit genügend Geld verdienen, Renato Kaiser, Patti Basler oder Ruedi Widmer etwa. Für sie, sagt Künzli, liege der Reiz darin, schnell und ohne redaktionelle Zwänge publizieren zu können.

Die «Petarde» könnte so auch einen Raum schaffen, den es bislang nicht gibt: «Bei klassischen Medien müssen wir so viel diskutieren. Wie viele finden eine Karikatur gut, wie viele Leser verlieren wir. Es geht nur noch ums Marketing. Das ist der Tod der Satire.»

«Bei klassischen Medien geht es nur noch ums Marketing. Das ist der Tod der Satire.»

Tom Künzli, Karikaturist und Mit-Initiant «Petarde», über redaktionelle Zwänge

Wie «Frida» will sich die «Petarde» über ein Crowdfunding das nötige Startkapital beschaffen. Beide Sammelaktionen sind gut angelaufen. 120'000 Franken benötigt das Team um Künzli; kommt mehr Geld zusammen, wollen sie mehr Witzeinkommen vergeben. Den Betrieb sichern sollen Mitgliederbeiträge. 1500 Member braucht die «Petarde», um langfristig überleben zu können. Wenig ist das nicht, da alle Inhalte für alle kostenlos abrufbar sind.

Ködern wollen die Macher*innen neue Mitglieder mit Anreizen wie einem kuratierten Newsletter, Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl der Künstler*innen sowie Vergünstigungen bei Live-Events. Künzli sagt: «Klar haben wir das Scheitern auf dem Schirm. Wir halten jetzt einfach mal den Haken raus und schauen, ob wir den Fisch an Land ziehen können.»

Keine grossen Sprünge

In Chur, bei Mathias Balzer, hat man lange am Geschäftsmodell herumgetüftelt. Er weiss, neue Medienprojekte scheitern nicht an den Inhalten, sondern an den Finanzen. Das Crowdfunding soll keine Anschubfinanzierung bringen, sondern Abonnent*innen an das Magazin binden. Das Kapital für den Aufbau der Plattform hat Balzer vom Staat erhalten: 82'000 Franken aus einem Transformationsfonds, der während der Coronakrise aufgesetzt worden war. Dazu könnte Balzer in der Not auf ein privates Darlehen zurückgreifen.

Seine Arbeit, die seiner Frau Brigitte und seines Sohnes Luis, die bei «Frida» massgeblich mitwirken, finanzieren sie quer über einen eigenen Verlag und ein Kulturbüro. Viele Töpfe, in denen ein bisschen Geld liegt. Mindestens drei Jahre wollen sie mit «Frida» durchstehen bei einem Redaktionsbudget von 200'000 Franken. Langfristig benötigen sie 2500 Abonnent*innen. Gratis, so viel ist klar, wird es bei «Frida» nichts geben – eine Lektion anderer Neugründungen, die es nicht schaffen, ohne Bezahlschranke kostendeckend zu arbeiten.

«Die Lage ist bedrohlich. Kommt das Steuergeld nicht, wird es für uns existenziell.»

Christian Hug, Geschäftsführer «zentralplus», über die Abstimmung zur Medienförderung

«Die Rechnung geht noch nicht auf», bestätigt auch Christian Hug, Geschäftsführer von «zentralplus», einem Medien-Start-up der letzten Generation. Das Innerschweizer Lokalportal mit Büros in Zug und Luzern ist im neunten Jahr. Eine beachtliche Leistung – und doch gelang es «zentralplus» nie, sich aus der Abhängigkeit eines privaten Geldgebers zu lösen, Onlinewerbung wirft dafür viel zu wenig ab.

Im Sommer hat Hug das Geschäftsmodell umgestellt, früher waren alle Inhalte kostenlos, nun wirbt er für freiwillige Abos. «Klappt das nicht, müssen auch wir uns eine Paywall überlegen», sagt er. Das würde die Reichweite deutlich begrenzen, doch die bisherige lässt sich auch nach neun Jahren nicht kapitalisieren.

Worum geht es bei der Medienförderung?

Worum geht es bei der Medienförderung?

Am 13. Februar 2022 stimmen wir in der Schweiz über die Medienförderung ab. Gegner reden von «Subventionsjägern» und «Staatsmedien», Befürworter von einem «Ja zur Meinungsfreiheit», weil die Demokratie starke Medien brauche. Beides stimmt so sicher nicht, sagt Medienexperte und Bajour-Mitgründer Matthias Zehnder.

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Die Anpassung geschieht auch hinsichtlich des geplanten neuen Mediengesetzes, in dessen Rahmen Onlinemedien Fördergelder gemessen an der Zahl der Spender*innen und Abonnent*innen erhalten sollen. 1,5 Millionen Franken beträgt der jährliche Finanzbedarf von «zentralplus», zwölf Journalist*innen beschäftigen die Luzerner*innen, keine kleine Kiste. Hug hofft inständig auf die staatliche Medienförderung, über die nächsten Februar abgestimmt wird. «Die Lage ist bedrohlich», sagt er. Kommt das Steuergeld nicht, «wird es für uns existenziell».

Christian Hug verfolgt die Bewegungen in der Branche genau. Dass gleich drei Gründungen an den Start gehen wollen, überrascht ihn nicht, «wo sich eine schmerzhafte Lücke auftut, kann Neues entstehen». Der dritte Neuling im Bunde: die «Hauptstadt» aus Bern (siehe WOZ Nr. 42/2021). Das Portal will den Platz beanspruchen, der sich durch die Verschmelzung der Tamedia-Titel «Berner Zeitung» und «Bund» aufgetan hat. Mit schlauem Marketing und viel lokalem Rückenwind geriet das Crowdfunding schnell zum Erfolg.

600'000 Franken kostet der Betrieb laut «Hauptstadt»-Mitgründer Joël Widmer pro Jahr. Grosse Sprünge sind damit nicht möglich: Finanzieren lassen sich gerade einmal fünf Vollzeitstellen. Aber die Ziele der Berner*innen sind ehrgeizig. Schon im vierten Betriebsjahr will man mit 4000 Abonnent*innen eine schwarze Null schreiben.

Kommt die Medienförderung, dürfte mit der «Hauptstadt» eine deutlich schlagkräftigere Konkurrenz zu Tamedia erwachsen. Ansonsten gilt in Bern wie in Luzern oder Chur: Gegründet ist ein Medium schnell, sich zu etablieren, ist schwer, langfristig zu bestehen, eine Rarität – zumindest unter den heutigen Rahmenbedingungen.

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