Kulturszene wünscht sich mehr Kritik

Schweizweit reduzieren die Medienhäuser die Kulturredaktionen auf ein Minimum. In Basel-Stadt wird die Förderung des Kulturjournalismus immer wieder auf politischer Ebene oder unter Medienschaffenden diskutiert. Was aber erwartet die Kulturszene vom Kulturjournalismus und wie sollen diese Forderungen umgesetzt werden?

Kaserne
Die Kaserne Basel beklagt den Rückgang der Berichterstattung und hält eine Idee bereit. (Bild: Donata Ettlin)

Es gibt immer weniger Journalist*innen, die ausschliesslich über Kultur schreiben und die Kulturressorts und -budgets auf den Redaktionen schrumpfen. Der Ruf nach Medienförderung wird deshalb lauter. In Basel wurden schon einige Ideen diskutiert. Eine kantonale Medienförderung wird von der Regierung aber ausgeschlossen, das betonte Kaspar Suter am ersten Basler Medientag. Er sieht den Bund in der Verantwortung.

Nach demselben Muster argumentiert der Regierungsrat, wenn es um eine spezifische Förderung des Kulturjournalismus geht. Auf eine Anfrage von GLP-Grossrat Johannes Sieber antwortete er, dass der Kulturjournalismus im Kontext der Medienförderung betrachtet werden müsse und dieser nach Auffassung des Regierungsrats kein Marketinginstrument sei. Eine Förderung leht der Regierungsrat also ab, trotzdem betont er, dass eine qualitativ hochwertige Kulturberichterstattung und Kulturvermittlung wichtig seien.

Zeit, die Meinung von Kulturschaffenden einzuholen: Wie beurteilen sie ihr Verhältnis zum Kulturjournalismus, wie nehmen sie dessen Abbau wahr, was tun sie, um der ausbleibenden Berichterstattung entgegenzuwirken und was wäre in ihrem Sinne eine gute Förderung der Kulturjournalismus? Dazu hat Bajour Institutionen und Organisationen in der Region befragt. 

Bereits bei der Ausgangslage, ob der Kulturjournalismus Teil der Kulturszene sein sollte beziehungsweise bereits ist, sind sich die Befragten nicht einig. 

«Absolut», findet Karen Gerig, Mediensprecherin des Kunstmuseums. Schliesslich helfe der Kulturjournalismus im besten Fall den Kulturschaffenden und den Institutionen durch sein Feedback, das eigene Schaffen zu reflektieren. Als «intergralen Teil» der Kulturszene beschreibt Mediensprecherin Elisa Bonomi vom Sinfonieorchester Basel den Kulturjournalismus. Sebastian Schlegel vom Musikbüro sieht die Medien nicht als Teil der Szene, «aber sie sind eine wichtige Unterstützung und Bestandteil eines Kosmos' rund um sämtliches Kulturschaffen», schreibt er.

Alain Schnetz und Sebastian Schlegel vom Musikbüro
Sebastian Schlegel und Alain Schnetz vom Musikbüro Basel. (Bild: zVg)

Johanna Tydecks, Mediensprecherin der Kaserne, erlebt eine Entfremdung des Kulturjournalismus von der Kulturszene. Zwar habe es einige «Aktivitäten» für die Szene von Seiten der Kulturschaffenden gegeben, die aus der prekären Situation des Kulturjournalismus heraus geboren wurden – sie erwähnt unter anderem das Frida Magazin und Agendabasel – aber der Tenor im grossen Ganzen sei ein anderer. «Was heute unter ‹Kultur› in den grossen Zeitungen veröffentlicht wird, ist manchmal Lebensberatung, Mode, Lifestyle: Themen, die eigentlich Gesellschaftsphänomene umfassen», so Tydecks. Viel berichtet wurde auch über kulturpolitische Themen – vor allem finanzieller Art, was dazu führe, dass Kultur als Geldschleuder oder Systemprofiteur wahrgenommen werde. Schlussendlich gehöre die Kulturkritik aber zur Szene, wie auch der politische Journalismus zur Politik, findet Tydecks: «Es gibt eine gegenseitige Abhängigkeit.»

Die Aufgabe des Kulturjournalismus

Diese gegenseitige Abhängigkeit ist Alltag sowohl von Kulturschaffenden als auch von Kulturjournalist*innen. Doch wie sich dieses Wechselspiel im Idealfall gestaltet, und was es von der jeweils anderen Seite bedarf, wird unterschiedlich aufgefasst. Die Ansprüche sind zahlreich und divers. Da ist einerseits die vermittelnde Rolle: «Ohne Kulturjournalismus ist es für das Publikum schwieriger, auf Angebote aufmerksam zu werden», schreibt Gerig vom Kunstmuseum.

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Das Sinfonieorchester Basel. (Bild: Pia Clodi)

Andererseits solle der Journalismus auch die szeneinternen Anliegen thematisieren, wie Produktionsprozesse und Arbeitsbedingungen, schreibt Marcel Schwald, Regisseur und langjähriges Vorsitzmitglied von t.Punkt, dem nationalen Berufs- und Branchenverband aller Akteur*innen des professionellen freien Theaters. Am häufigsten genannt wurde von den von Bajour angefragten Institutionen und Organisationen aber die gesellschaftliche Relevanz. «Kunst denkt anders, sie zeigt uns die Komplexität der Gesellschaft», schreibt Tydecks von der Kaserne. Und Bonomi vom Sinfonieorchester betont die Wichtigkeit, den Kulturjournalismus nicht als verzichtbares «Feuilleton» zu betrachten, sondern als essentiellen Teil der gesellschaftlichen Berichterstattung zu stärken. Die Bewertung der künstlerischen Qualität, insbesondere der technischen Fähigkeiten, durch die Medien scheint bei den Angefragten hingegen eine weniger grosse Rolle zu spielen.

Die Ausbleibende Berichterstattung in den lokalen Medien

Die Kulturredaktionen wurden in den letzten Jahren immer kleiner. Das merken die Basler Kulturschaffenden deutlich. Alle Teilnehmer*innen der Umfragen beklagen einen Rückgang in der Berichterstattung. Einzig das Kunstmuseum räumt ein: «Wir haben noch Glück, da die meisten Ausstellungen wenigstens in den lokalen Medien besprochen werden.» Ganz anders geht es Marcel Schwald. Von 2011 bis 2017 seien seine Theaterprojekte immer mit je einer Kritik oder Vorschau in der BaZ, bz, Badischen Zeitung und Tageswoche, meistens auch SRF erschienen, berichtet Marcel Schwald. «Heute kommt es vor, dass nicht eines der genannten Medien eine Vorschau oder eine Kritik schreibt», so Schwald. Verlässlicher Partner sei in den letzten Jahren das SRF gewesen, «und da wird nun gekürzt und gespart».

Literaturhaus Basel
Publikum vor dem Literaturhaus in Basel. (Bild: Valerie Wendenburg)

Noemi Parisi vom Literaturhaus besorgt die Entwicklung, dass es zunehmend kostenpflichtige Angebote gibt, um kleine Hinweise in Medien zu veröffentlichen – hier spürt man den Versuch der Medien, Einnahmen zu generieren. Die Medienkrise wird so auch zur Kulturkrise. Auch Marcus Rehberger vom Theater Roxy beobachtet, dass das Interesse an lokalen Künstler*innen, die im Roxy Premiere feiern und dann erfolgreich auf Tour gehen, in der Region sehr gering ist – an den Gastspielorten sehe das allerdings ganz anders aus: «In den anderen Städten erhalten sie dann Presse und Aufmerksamkeit», so Rehberger. 

Keine Presse mehr und nun?

Wegen der geringeren Berichterstattung in den Medien gehen die Institutionen und Kulturschaffende neue Wege, um Publikum für ihre Kunst zu finden. Sie gestalten umfangreichere Medienmitteilungen mit mehr Angeboten, haben ihre Aktivität auf Social Media verstärkt, verschicken Newsletter und Flyer per Post, laden Journalist*innen persönlich zu Probenbesuchen und Interviews ein, veranstalten eigene Vermittlungsformate und Gesprächsrunden und senken die Eintrittspreise.

Marcel-Schwald-Foto
«Ich würde mir schon einen Draht zum Mainstream, zu Greti und Pleti wünschen»
Marcel Schwald, Regisseur

Das Roxy versucht, wenn möglich, die zeitlichen Abstände zwischen der ersten und letzten Vorstellung zu vergrössern, um den Journalist*innen zu signalisieren, dass sich ihre Leser*innen auch nach Erscheinen einer Rezension die Vorstellung noch anschauen können. Das Musikbüro lässt über geförderte Musikproduktionen kurze «Reviews» schreiben. Die Kaserne Basel hat in den letzten zwei Jahren keine Saisonstart-Medienkonferenzen mehr abgehalten, sondern persönliche Gespräche mit einzelnen Redaktor*innen angeboten. Doch auch da bleibt das Ergebnis offen. «Die Erfahrung zeigt, dass nicht einmal persönliches Pitchen viel bringt», so Gerig vom Kunstmuseum. Durch den Abbau in den Kulturredaktionen gelange nur noch sehr wenig der kulturellen Produktion an die breite Öffentlichkeit, stellt Marcel Schwald fest. «Ich würde mir schon einen Draht zum Mainstream, zu Greti und Pleti wünschen», sagt er. 

Dass die ausbleibende Berichterstattung nicht nur Auswirkung auf die Publikumszahlen hat, erläutert Bonomi vom Sinfonieorchester: «Die Wahrnehmung der klassischen Musik wird durch die geringe Medienpräsenz geschwächt, das erschwert die Akquise von Fördermitteln und Sponsor*innen.»

Die Art der Berichterstattung

Monatelanges Proben und dann kommt die Journalistin und verreisst das Stück. Ist keine Kritik besser als negative Kritik? Die angefragten Institutionen und Kulturschaffenden sagen klar Nein. Alle wünschen sie sich ausführliche Interviews, Rezensionen oder Ausstellungsbesuche. Viele betonen, dass es ihnen wichtig ist, dass die Journalist*innen über das berichtet, was ihnen grundsätzlich auch zusagt und sie sich nicht von vornherein verschliessen, weil sie berichten «müssen». Ausserdem sei Expertise und Reflexion gefragt. Ein Aspekt, der mit den schwindenden Ressourcen auf den Redaktionen in Konkurrenz steht.

Karen N. Gerig
«Eine kritische Einordnung empfinde ich als interessanter, auch wenn sie negativ ausfällt.»
Karen Gerig, Mediensprecherin Kunstmuseum Basel

Das Literaturhaus wünscht sich, dass die Berichterstattung mit den Events koordiniert wird. «Es wäre eine Dienstleistung fürs Publikum, darauf hinzuweisen, dass der Autor oder die Autorin demnächst live zu erleben ist», so Parisi. Gerig vom Kunstmuseum, würde sich freuen, wenn Journalist*innen nicht nur Vorschauen anhand der Kataloge schreiben würden, sondern sich die Ausstellungen selbst anschauen würden.

Wie ist es nun aber, wenn die wenigen Berichte dann auch noch negativ sind? Ist Kritik erwünscht? Die Antwort der Befragten ist ein «Ja, unbedingt! Aber …» Karen Gerig schreibt, sie beobachte, dass heute meistens Berichterstattung gemacht wird, in dem Sinne, dass keine Wertung des Erlebten stattfindet. Das Ziel sei hier meistens, dass die Leser*innen informiert werden. Eine kritische Einordnung fände sie hingegen interessanter, auch wenn sie negativ ausfällt: «Denn diese erlaubt uns die Reflexion unseres eigenen Schaffens». Der Meinung, dass reine Beschreibungen von Kunst «dröge» seien, stimmen auch andere Angefragte deutlich zu. Parisi berichtet, dass es für das Literaturhaus wichtig ist, dass den Journalist*innen die Machtposition, die sie innehaben, bewusst ist und sie verantwortungsvoll damit umgehen. «Wird unsachlich oder falsch berichtet, um Aufmerksamkeit zu generieren, kann das für unser Haus und unsere Arbeit negative Folgen haben.»

Roxy Theater Birsfelden
Zuschauer*innen warten vor dem Theater Roxy in Birsfelden. (Bild: Noëmi Laux/Bajour)

Die Kaserne empfindet negative Kritik als «interessant» und «lehrreich» und nur als ärgerlich, wenn «schnoddrig geurteilt» wird. Rehberger vom Roxy findet, der Respekt hört dann auf, wenn sich «die schreibende Stimme in Befindlichkeiten suhlt» und ist der Meinung: «Das liest dann auch kein Mensch gerne.»

Förderung des Kulturjournalismus

Die Ausgangslage ist für die Kulturszene also unbestritten negativ. Was also tun, um den Kulturjournalismus zu stärken? Karen Gerig sieht durch die Reduktion der Kulturredaktionen auch die Förderung des Nachwuchses und damit des «Know-how-Transfers» geschwächt. Deshalb kommt sie zu dem Schluss, dass es eine Aufwertung des Kulturjournalismus auf mehreren Ebenen bräuchte, nicht nur finanziell. 

Mehrere Angefragte sprechen sich stark dafür aus, dass der Kulturjournalismus unabhängig von den Klickzahlen bewertet wird und als essenzieller Bestandteil der Redaktionen gilt. Einige wünschen sich explizit eine staatliche Förderung des Kulturjournalismus, besonders, wenn private Konzerne ihn als nicht profitabel abstempeln, müsste der Staat – kantonal oder national – einspringen, um dieses Ressort zu erhalten. Für das Theater Basel ist es vor allem wichtig, dass der Kulturjournalismus seine Unabhängigkeit nicht verliert, egal durch welche Finanzierungsform er gefördert wird, schreibt Mediensprecher André Kraft. 

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Das Schauspielhaus des Theater Basel an der Heuwaage. (Bild: Ingo Hoehn)

Die Kaserne Basel ist der Meinung, dass in Basel die Förderung durch einen Fonds möglich sein sollte, der sich aus Konzessionseinnahmen aus der Werbung im öffentlichen Raum und der Gasttaxe finanziert. Die kürzlich von GLP-Grossrat Johannes Sieber eingebrachte Idee, das Kulturfördergesetz dahingehend anzupassen, dass der Kanton rechtlich die Möglichkeit hat, den Kulturjournalismus zu fördern, trifft bei einem Grossteil der Angefragten auf Zustimmung. 

Von der Idee, Veranstaltungsdaten mittels durch den Kanton finanzierte Inserate in Tageszeitungen und anderen Publikationen zu verbreiten, sind die meisten angefragten Kulturschaffenden hingegen nicht sehr begeistert, sie wollen keinen Effort in weitere Ankündigungstexte stecken, sondern den Fokus auf fundierte inhaltliche Auseinandersetzung mit den künstlerischen Positionen setzen, egal ob negativ oder lobend, das ist in dieser Umfrage klar geworden. Der mögliche finanzielle Support für die Radaktionen, der dadurch entstehen könnte, entspricht aber durchaus den Forderungen nach kantonaler Förderung.

Ob, die gesellschaftliche Reflexion über Themen, die von den Kulturschaffenden aufgegriffen werden, tatsächlich in der Breite stattfindet, wenn mehr über Kultur berichtet wird, oder diese Texte dann – wegen der immer geringer werdenden Aufmerksamkeitsspanne und der flimmernden Konkurrenz durch Social Media – einfach nicht gelesen werden, ist eine andere Frage. Dass der Wegfall von Kultur- und Wissenschaftsjournalismus bewegt und betrauert wird, hat allerdings eindeutig die lautstarke Kritik an den jüngst kommunizierten Sparplänen des SRF gezeigt.

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