Bajour setzt sich auf Corona-Lohn
Im März stellten wir befristet neue Leute an und zeigten, was wir können. Ende April ging uns das Geld aus. Die Lösung heisst: Corona-Lohn. Minus 2100 Franken. Konkret: Im Mai und Juni verdienen alle, inklusive Chef, 5500 Franken.
Marguerite setzt ihren strengen Blick auf. Den, den sie sich für heikle Momente aufspart, und sagt kurz und knapp: «Nein, Leute, diesen Artikel können wir so nicht bringen. Der verhebbet nicht.»
Marguerite, schwarze, kurze Haare, türkise Ohrringe* ist die neue Bajour-Blattmacherin. Sie schaut, dass wir in unseren Artikeln keinen Saich verzellen und schreibt hässliche Sätze schön.
Wir von Bajour kennen Marguerite erst seit ein paar Wochen und haben sie noch nie richtig gesehen, nur im Videochat. Aber wir wissen schon, wie sehr sie ihre Freund*innen in Beirut vermisst, wie gut ihr Mitbewohner kocht und noch ein paar andere Sachen, die wir hier nicht erzählen dürfen.
Wir haben Sandie huere gärn
Marguerite hat sich in vier Wochen unverzichtbar vermacht, inhaltlich. Aber auch als Mensch – unter uns: Wir haben diese auf den Tisch hauende Marguerite huere gärn. Genau so wie Jolanda und Christo, unsere Facebook-Moderator*innen, die immer genau den richtigen Tonfall treffen, wenn es in unserer Gärngschee-Gruppe räblet.
Oder Sandie mit den blauen Haaren, die während der Morgensitzung immer eine Zigi raucht und Chef Hansi sagt, er müsse uns mal fragen, wie es uns geht. Oder Miriam, Elias, Seraina, Olivier, Adelina und Lars. Sie alle sind erst seit Corona bei uns. Aber jetzt wollen wir sie nicht einfach so hergeben.
Mussten wir aber fast. Denn es ist so: Wir von Bajour haben im März und April bewusst über unsere Verhältnisse gelebt. Wir haben neue Leute in grossen und kleinen Pensen und in befristeten Verträgen angestellt, obwohl wir uns das auf Dauer gar nicht leisten konnten.
Ab wie ein Zäpfli
Der Grund ist einfach: Wir haben an euch geglaubt. Und ihr habt uns nicht enttäuscht. Corona ist passiert und plötzlich hatten wir 15’000 Mitglieder in unserer Gärngschee-Gruppe, die Leser*innen-Zahlen sind explodiert, die Memberanmeldungen gingen ab wie ein Zäpfli. In der Krise verlangen Menschen unabhängigen Journalismus. Den wollen wir bieten.
Eine so grosse Community bringt neuen Wind und viel Hoffnung, aber auch eine grosse journalistische Verantwortung: Facebookgruppen muss man betreuen, die Diskussion moderieren, die Nachbarschaftshilfe koordinieren, Leser*innen informieren, die Themen journalistisch begleiten. Das überforderte unser siebenköpfiges Team. Also holten wir Leute. Und starteten gleichzeitig ein Crowdfunding, um diese Leute zu bezahlen. Erst mal für einen Monat. Vielleicht auch für länger.
Und tatsächlich haben wir Unterstützer*innen gefunden: Über 1000 zahlende Member haben wir bereits im Bajour-Unterstützer*innen-Team – das macht uns stolz. Daneben brachte das Crowdfunding über 23’000 Franken. Aber leider ist das noch nicht genug. Die Betonung liegt dabei ganz klar auf noch. Es dauert einfach länger.
Alles Geld fliesst in den Journalismus
Sicher sind wir auch ein bisschen Corona-Opfer. Vor Spendenaufrufen à la Bajour kann man sich derzeit kaum noch retten. Ein Teil der Leser*innen hat plötzlich berechtigte Angst um den Job. Verständlich. Und mit der Konjunktur schmiert aktuell die Zahlungsbereitschaft ab.
Ein Teil denkt ausserdem sicher immer noch: Bajour ist ja eh von einer reichen Stiftung finanziert, die brauchen meine Unterstützung gar nicht. Das wäre allerdings die falscheste aller Annahmen. Richtig ist zwar: Wir erhalten von der Stiftung für Medienvielfalt eine Million Franken als Anschubfinanzierung. Darauf kann man ein Fundament bauen. Alles fliesst in den professionellen Journalismus. Da sind wir dran.
Aber um wirklich journalistisch was zu bewegen, müssen wir wachsen. Und zwar aus eigener Kraft. Unser Ziel: In drei Jahren vom Siebner-Team zu einer rund 20-köpfigen Lokalredaktion werden, die in Basel wirklich was zu sagen hat und den grossen Erwartungen gerecht werden kann. Das heisst, wir müssen jährlich mindestens eine Million Franken von möglichst vielen Unterstützer*innen auftreiben und alles Geld muss in den Journalismus fliessen. Wir sind dran, aber noch nicht dort. Genauer sind wir derzeit bei rund 1,3 Millionen.
Fränzi ist dabei, alle sind dabei
Und deshalb mussten wir letzte Woche einen Entscheid fällen. Chef Hansi teilte uns nämlich mit: «Leute, bei aller Freude über Crowdfunding und Memberzahlen: Wir haben zu wenig Geld für dauerhaft 14 Leute». Und wir vom Team so: «What?» Die Gesichter wurden schon lampig vor Traurigkeit und der Aussicht, wieder eine Miniredaktion zu werden. Da sagte Co-Geschäftstätschmeister Vali: «Wenn wir alle auf 2100 Franken pro Monat verzichten, reicht das Geld für alle Leute im Team, auch für die Neuen.»
Zuerst ist einmal Stille. Das würde bedeuten, dass der Einheitslohn auf 5500 Franken gesenkt wird. Mal zwölf. Nicht mal dreizehn. Ich sage: «Ich bin dabei. Ich muss zwar mal mit meiner Familie rechnen. Aber grundsätzlich bin ich glaubs dabei.»
Wir entscheiden noch nichts, ausser, dass wir alle in uns gehen und rechnen.
Eine Woche später, nächste Lohnsitzung. Es ist emotional. Wir reden nicht nur über Geld, sondern über Wertschätzung. Darüber, wer sich wie aufgehoben und respektiert fühlt im Team. Dann sagt Fränzi: «Ich bin dabei.» Naomi ist dabei, alle sind dabei. Bei Bajour ist so etwas möglich, weil wir ohnehin Einheitslohn haben: Egal ob Community-Manager*in, Redaktor*in oder Oberchef*in.
Wir haben uns sogar überlegt, mit Bildern unseres dünnsten Redaktors, Daniel Faulhaber, dem Mitleid der Leser Nachdruck verleihen und die nächste Kampagne #FüttertFauli zu starten.
Das Kollektiv beschloss, sich so unternehmerisch zu verhalten, wie man es sich von den grossen Wirtschaftslenker*innen gerne wünschen würde. Und schnitt sich entschlossen ins eigene Fleisch. Sämi sagte noch irgendwas von «Kämpfen» und Fauli murmelte was von «alles für die Firma». Dann endete die Videokonferenz.
In der Corona-Krise muss man mal ein bisschen umverteilen
Die Corona-Wirtschaftskrise ist nicht fair. Ob man zu den Gewinner*innen oder Verlierer*innen gehört, hat nichts mit Leistung zu tun. Die Journalist*innen bei der «BaZ» können nichts dafür, dass sie auf Kurzarbeit sind, obwohl die Leser*innenzahlen steigen und ihre Aktionär*innen Dividenden einstreichen. Die Beizer*innen können nichts dafür, dass sie auf Corona-riskantem Terrain wirtschaften. Putzfrauen* und Physiotherapeut*innen auch nicht.
In der Krise muss man zusammenhalten und mal ein bisschen umverteilen. Was für Vermieter*innen gelten sollte, gilt auch für Bajour-Mitarbeiter*innen.
Jetzt schauen wir mal, wie wir mit dem enger geschnallten Gürtel auskommen. Mit dem Spendenbeutel und den Unterstützungsappellen für den unabhängigen Journalismus werden wir Sie jedoch weiter behelligen. Wir haben uns sogar überlegt, mit Bildern unseres dünnsten Redaktors, Daniel Faulhaber, dem Mitleid der Leser Nachdruck verleihen und die nächste Kampagne #FüttertFauli zu starten. Damit es nicht so weit kommt, klicken Sie hier. Nur durch Ihre Unterstützung werden wir zu der kraftvollen, unabhängigen Basler Journalist*innen-Stimme, die sich so viele wünschen.
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*In der ersten Version stand «französischer Mund» statt «türkise Ohrringe». Diese Formulierung stiess auf berechtigte Kritik in- und ausserhalb der Redaktion. Deshalb habe ich die Stelle umformuliert. (afo)