Bajour-Spendensammlung: «Es ist wie eine Lawine»
Von Mittwoch bis Freitag lief bei Bajour eine Spendensammlung für die Ukraine. Dahinter stecken Eugenia Senik und Livio Spaini – und viele solidarische Basler*innen.
Eugenia Senik und Livio Spaini können es kaum glauben. «Wir möchten dass die Menschen aufstehen und genau das machen», sagt Eugenia und zeigt in Richtung Eingang Bajour-Büro. Seit Mittwochnachmittag bringen Menschen aus Basel Spenden für die Ukraine an die Clarastrasse. «Den Krieg können wir nicht stoppen», sagt Livio. «Aber wir wollen die Ukrainer*innen unterstützen und ihnen zeigen: Ihr seid nicht alleine, wir sind viele, wir schreien für euch.»
Rollende Planung
Die Aktion entstand spontan, aus persönlicher Betroffenheit, Schock, Hilflosigkeit. «Und Adrenalin», sagt Eugenia. Die Ukrainerin ist Schriftstellerin, lebt seit 2021 in Basel und versucht für Bajour seit dem Ausbruch des Kriegs, mit Worten, Wege aus der Ohnmacht zu finden. Zuerst seien die beiden mit ihrem Tatendrang nur zu zweit gewesen, dann sei es «wie eine Lawine» gewesen, sagt Eugenia. Bajour kam ins Spiel und jetzt sind wir hier, zwischen Kisten voll mit Spendengütern, welche die zivilgesellschaftliche Organisation «Basel stands with Ukraine» dann an die ukrainische Grenze bringt.
Im Entrée des Redaktionsbüros bezeichnen gelbe Klebebandstreifen am Boden die Kategorien. Elektro, Deo, Zahnputz. Auch haufenweise Lebensmittel, Windeln, warme Kleider werden abgegeben. Immer wieder kommen Leute, die fragen, was sie mitbringen sollen. Medikamente, sagt dann meistens jemand. Oder Power-Banks. «Wir gehen einfach mit dem Flow, also rollende Planung, weil wir wissen gar nicht so genau, was es alles braucht», erklären Livio und Eugenia. Zwischendurch schauen sie sich Updates von Hilfsorganisationen oder Botschaften an, entscheiden dann zum Beispiel, dass es keine Kleider mehr brauche.
So viel aufs Velo passt
«Wir wollen etwas machen», das sagen nicht nur Livio und Eugenia. Das sagen auch ausnahmslos alle, die mit vollgepackten Rucksäcken und Taschen zur Tür hereinkommen, wenn sie gefragt werden, weshalb sie hier sind. «Man kann alleine nicht so viel helfen», sagt zum Beispiel Sandra Frauchiger. «Aber wenn jede*r etwas Kleines macht, kommt etwas Grosses zusammen.»
Die 47-Jährige erzählt, sie habe bereits in den letzten Tagen im Keller gewühlt und warme Kleider in Säcke gepackt. «Dann habe ich gehört, dass es das grad gar nicht so braucht», sagt sie. Dann sei sie halt losgefahren, habe gekauft, «was so aufs Velo passt» und es hierher gebracht. Ein paar Stunden später steht Sandra wieder hier und bringt noch einen Schlafsack und eine warme Decke.
Nicht komplett hilflos sein
Manchmal fährt ein Auto vor, der Kofferraum voll Windelpackungen oder Esswaren. Sven Schelker kommt mit einer Tüte voller Medikamente zur Tür rein. Auf die Frage, weshalb er hier sei, ringt er einen Moment um Worte. Dann sagt er: «So hat man nicht das Gefühl, komplett hilflos zu sein.» Er wolle halt mehr machen, als eine Ukraineflagge aufs Profilbild.
Gekommen sind nicht nur Menschen mit Spendengütern, sondern auch Freiwillige, Freund*innen von Eugenia und Livio, oder Kurzentschlossene wie Nadine Hager. Die Sozialpädagogin ist am Donnerstag spontan vorbeigekommen und hat gefragt, ob sie helfen kann. «Und heute bin ich da», sagt die 45-Jährige. «Man kann nichts machen, dann macht man halt das.»
Und immer wieder entfährt jemandem der Anwesenden ein: «Krass» oder ein «unglaublich». Unglaublich die spontane Hilfsbereitschaft. Krass, Babynahrung mit dem Gedanken an die Situation der Menschen auf der Flucht, einzupacken. Manchmal fehlen die Worte.
Notizen der Solidarität
Zwischendurch finden die Helfer*innen kleine handschriftliche Gesten der Solidarität in den eingepackten Sachen. Zum Beispiel ein ausgeschnittenes Herz, auf dem steht: «You’re always welcome in Switzerland, in love, Tom, Babsi, Ron + Sam». Eugenia macht davon ein Foto und schickt es an eine Freundin auf der Flucht in der Westukraine. Kurz darauf kommt ein Bild von einem Plüschtier zurück, das um den Hals eine ähnliche Notiz trägt. «Die Hilfe kommt an», kommentiert Eugenia mit einem vorsichtigen Lächeln.
Zurück zwischen den Kisten hält ein auf dem Boden kniender Helfer etwas in die Luft und fragt: «Weiss jemand was das ist?» – «Für Babies», kommt eine Antwort aus dem Raum zurück. So ist es hier: Irgendjemand weiss immer weiter, alle helfen. Auch als im Verlaufe des Donnerstags irgendwann die Frage im Raum steht, wer die Güter zur Padel-Halle auf dem Klybeckareal bringt. Dort befindet sich die zentrale Sammelstelle von «Basel stands with Ukraine». Unter den Anwesenden wird rumgefragt, gefühlte fünf Minuten später sind ein Lieferwagen und ein Fahrer organisiert.
Gegen 19 Uhr fährt dieser am Donnerstag ein erstes Mal vollbeladen Richtung Klybeckareal. «Zunächst waren wir nur eine Handvoll Leute, die etwas machen wollten», sagt Elena Antoni. «Innerhalb von zwei Tagen haben wir so viele Leute mobilisiert, die helfen», sagt Elena. «Es isch extrem vyl gange.»
Gewisse Spenden hauen sie regelrecht um, zum Beispiel 600 sterilisierte Boxen mit Chirurgenbesteck, oder Kistenweise Funkgeräte. Sie erzählt, dass gestern schon drei vollgeladene Transporter nach Polen aufgebrochen sind. Am Abend sollen vier Richtung slowakische Grenze abfahren, am Wochenende sind weitere Transporte in Planung.
Mit im Gepäck sind dann wahrscheinlich auch die Kisten, die sich heute Nachmittag bereits wieder im Bajour-Büro stapeln. Sie sind bereit für den Transport an die Grenze.
Und freuen uns, wenn du uns als Bajour-Member dabei unterstützt.