Bald nur noch Arbeit auf Abruf?

Wenn das so weiter geht mit der Flexibilisierung des Jobmarktes, werden sich immer weniger Paare Kinder leisten können.

Bildschirmfoto 2020-08-31 um 14
Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? (Bild: Unsplash / Avi Richards)

Die Corona-Krise hat unseren Arbeitsmarkt in kürzester Zeit umgekrempelt – mehr Kurzarbeit, mehr Home-Office, mehr Arbeit auf Abruf. Was wird davon bleiben? Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus? Darüber ist in den letzten Wochen in den Medien viel spekuliert worden. Wobei leider eines auffällt: Alle Kommentator*innen gehen davon aus, dass alles von den Entscheidungen der Firmen abhängt.

Trend zum flexiblen Arbeiten wird weiterhin bestehen

So neulich auch die NZZ. Sie fragt: «Werden die Firmen in Zukunft weniger fixes Personal beschäftigen und stattdessen vermehrt auf Freelancer und temporäre Arbeitskräfte setzen?» Weiter wird berichtet, dass man im Onlinehandel und in der Logistik «zu wenig flexibel eingestellt» sei, um auf Nachfragespitzen zu reagieren. «Dass 40 Prozent der Personaldienstleister» wieder verstärkt auf Temporär-Arbeitskräfte» setzen werden. Und der Geschäftsführer eines Personalvermittlers habe beobachtet, «dass viele Firmen wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und des unsicheren Ausblicks vor allem Mitarbeiter für temporäre Einsätze, für zeitlich befristete Projekte sowie Freelancer» suchen.

Diese Einschätzung scheint realistisch. Vermutlich wird sich der Trend zum flexiblen – auf den schwankenden Bedarf der Wirtschaft ausgerichteten – Arbeiten fortsetzen. Rein betriebswirtschaftlich macht es Sinn, Arbeitskräfte nur nach Bedarf einzusetzen – und wenn die Konkurrenz dieses Sparpotential nützt, müssen alle nachziehen. 

«Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie ist dazu da, unser Überleben zu sichern und die Lebensqualität zu verbessern.»

Volkwirtschaftlich dürfte diese Flexibilisierung aber kontraproduktiv sein. Wer als Freelancer*in einen «unsicheren Ausblick» hat, wird mehr sparen müssen und damit wird die «wirtschaftliche Lage» noch «schwieriger», was nach noch mehr Arbeit auf Abruf ruft. Ein Teufelskreis.

Doch selbst wenn uns ein noch flexiblerer Arbeitsmarkt ein steigendes BIP bescheren würde, wäre dies mit hohen sozialen Kosten verbunden. Bereits heute sind die Verdienstmöglichkeiten so unsicher, die Arbeitswege so lang und die Mieten so hoch, dass sich immer weniger Paare Kinder leisten können oder wollen.

Bajour macht weiterhin Babys.

Bei uns liegt die Geburtenrate bei 1,54 Kindern pro Frau, Deutschland und vor allem Italien sind noch schlechter dran. Dort wächst erstmals eine Generation heran, die mit der Suche nach einem (prekären) Job und dem nötigen Nebenerwerb sowie mit Weiterbildung mehr Lebenszeit verbracht haben wird, als mit der bezahlten Arbeit.

Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Sie ist dazu da, unser Überleben zu sichern und die Lebensqualität zu verbessern. Dabei kommt es immer weniger darauf an, wie viel produziert wird, sondern wie wir die Arbeit und damit die Gesellschaft organisieren.

Sicheres Einkommen geht vor Lohnerhöhung

Ein sicheres Einkommen und ein stabiler Wohn- und Arbeitsort wiegen schwerer als eine Lohnerhöhung um 20 Prozent, deren hohe Unsicherheit mit langen Arbeitswegen oder gar mit einem Umzug erkauft werden müssen.

«Es genügt nicht, nur die Vertreter*innen der Wirtschaft zu fragen, wie sie es gerne hätten.»

Gewiss: Die betriebswirtschaftliche Logik und die Zwänge des Marktes rufen nach flexiblen Arbeitseinsätzen und tiefen Lohnkosten. Diesen Trend zu stoppen, wird nicht leicht sein. 

Wenn dies gelingen sollte, müssten wir das Problem erst einmal erkennen. Nur so könnte der nötige politische  Prozess in Gang gesetzt werden. Das wiederum setzt voraus, dass wenigstens schon mal die Medienschaffenden erkennen, dass Arbeit auf Abruf sehr dunkle Schattenseiten hat. Dazu sind sie da. Es genügt nicht, immer nur die Vertreter*innen der Wirtschaft zu fragen, wie sie es denn gerne hätten. 

Vielmehr sollten Journalist*innen auch mal selber drüber nachdenken, wie sie es selber – wie es ihre Kinder und Nachbarn – denn gerne hätten.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

m7-in-doha-horizontal-courtesy-of-art-basel

Helena Krauser am 23. Mai 2025

MCH Group setzt auf den Konjunktiv

Beim Entscheid, mit der Art Basel nach Katar zu expandieren, stellt die MCH Group die ökonomischen Interessen über die moralischen. Wie steht es überhaupt um die finanzielle Lage der Messe und wie vielversprechend ist der neue Standort?

Weiterlesen
Kommentar Standortpaket Pharma

Ina Bullwinkel am 18. Mai 2025

Ein grosser Löffel für die Wirtschaft

Das Basler Standortpaket kommt zustande, dafür hat sich die Stimmbevölkerung deutlich ausgesprochen. Zwar enthält das Paket ein Zückerli, das vor allem der SP gefällt, am Ende bleibt es jedoch ein Kompromiss, kommentiert Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Pharma Standortpaket Wochenkommentar

Ina Bullwinkel am 09. Mai 2025

Alles für die Pharma

Die Debatte ums Standortpaket zeigt: Wenn es darum geht, etwas vom Kuchen abzubekommen, will die Basler SP nicht verzichten. Lieber akzeptiert sie ein Zückerli, als wie das Referendums-Komitee für Weltgerechtigkeit zu kämpfen. Der Pharma gefällt das.

Weiterlesen
Buchhandlung Labyrinth

Ina Bullwinkel am 07. Mai 2025

Das Labyrinth muss schliessen

Die Buchhandlung Labyrinth am Nadelberg muss schliessen, das teilt das Team in einer Mail seinen Kund*innen mit. Ein Nachfolgeprojekt am selben Standort sei für September dieses Jahres geplant.

Weiterlesen
Comic_Werner_Vontobel

Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und einer der bekanntesten Wirtschaftsjournalisten der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.

Kommentare