Kultur in Basel – und keine*r schreibt drüber?!
Wer rezensiert noch die Premieren in Basels Theatern, wer kritisiert die Ausstellungen und nimmt sich Zeit für aufstrebende Musiker*innen, wenn an der Kulturberichterstattung immer mehr gespart wird? In Basel zeigt sich, wo der Journalismus Federn lässt.
Die Kulturberichterstattung steckt in der Krise. In letzter Zeit wurden Stellenprozente in den Kulturressorts von Tagesanzeiger, Berner Zeitung und Bund gestrichen. Die neueste Meldung über ein vermeintliches Eindampfen der Kulturseiten kommt von der Basler Zeitung. Dort schmeisst Christine Richard aus Protest das kulturjournalistische Handtuch – sie hat jahrelang als Redaktorin gearbeitet, seit ihrer Pensionierung schrieb sie Kolumnent. Damit ist jetzt fertig.
Richard reagiert damit laut Onlinereports darauf, dass BaZ-Chefredaktor Marcel Rohr intern bekannt gegeben habe, der klassische Kulturteil in der Printausgabe werde ab Jahreswechsel «massiv eingedampft» und in den Lokalbund integriert. «Ich kann das Verenden der ‹klassischen› Basler Kulturseite nicht mit meinem journalistischen Gewissen und auch Wollen vereinbaren und stelle deshalb meine Mitarbeit ein», sagte sie ihren Kolleg*innen zum Abschied laut Onlinereports.
Sie verstehe die Veränderung als «Affront – gegen unsere strahlende, international hoch angesehene Kulturstadt Basel; gegen unsere kulturinteressierte Leserschaft; gegen die Basler Künstler und Veranstalter …». Christine Richard ist sichtlich enttäuscht.
Auf Nachfrage sagt uns BaZ-Chefredaktor Rohr, die Information sei falsch, dass es in der Zeitung künftig keine Basler Kulturseite mehr geben wird. «Richtig ist: Wir integrieren die Basler Kultur in den Lokalseiten im zweiten BaZ-Bund und erhöhen dort die Seitenzahl von 4 auf 5.» Es werde in der Kultur sogar ein Mehrwert geschaffen, weil künftig im ersten Bund zwei statt eine Kulturseite aus Zürich publiziert würden. «Ob und wie stark wir die Berichterstattung in der klassischen Hochkultur aus Basel reduzieren, ist noch nicht definiert», schreibt Rohr per E-Mail.
Wahr bleibt also: Die Kulturseite wandert ins Lokale und steht nicht mehr für sich, es kommt mehr Content aus Zürich und die Zukunft der Basler Kulturberichterstattung bleibt erst einmal ungewiss.
Was macht das mit den Kulturschaffenden in der Region?
Im Kunstmuseum Basel hat man keine Freude. «Wir beobachten seit Jahren mit Besorgnis, wie die Kulturberichterstattung in den lokalen (wie auch nationalen) Medien abnimmt. Der Platz dafür in den Zeitungen, aber auch auf deren Onlineportalen wird zusehends kleiner», sagt Direktor Josef Helfenstein. Vakante Stellen würden nicht besetzt und die klassische Kulturberichterstattung werde «an den Rand gedrängt, mit Lifestylethemen verschmolzen oder regelrecht eliminiert».
Helfenstein wünscht sich mehr Platz in den Medien sowie eine grössere Vielfalt an journalistischen Stimmen und hofft, die grossen Tageszeitungen würden wieder mehr Bewusstsein für die Kulturberichterstattung entwickeln, damit Kultur auch in Zukunft möglichst viele Menschen erreiche. Er bezieht sich auch direkt auf die Neuerung bei der Basler Zeitung. «Neueste Entwicklungen wie bei der Basler Zeitung, wo die lokale Kultur künftig auf den Lokalseiten abgehandelt wird, beunruhigen uns als kulturelle Institution sehr.»
Ähnliche Kritik äussert der langjährige Kulturbeobachter Claude Bühler. Er ist Redaktor und Produzent bei Telebasel und rezensiert als freier Mitarbeiter für Onlinereports Schauspielpremieren am Theater Basel. Bühler sagt: «Ich beobachte, dass die Kulturberichterstattung ganz massiv abgenommen hat. Seit rund einem Jahr hat die BaZ die Berichterstattung von Premieren zurückgefahren.»
Das trifft auch auf andere Medien zu: Auch Bajour hat derzeit keine Person angestellt, die ausschliesslich über Kultur berichtet.
Die Krise in der Kulturberichterstattung ist weder lokal, noch neu, zu diesem Phänomen gibt es Forschung und immer wieder Diskussionen. Der Anteil der Kulturberichterstattung in den Medien beträgt konstant rund 10 Prozent. Aber weil die Medien allgemein weniger berichten, sinkt, in absoluten Zahlen, auch die Kulturberichterstattung.
Damit bestätigt die Wissenschaft die Erfahrung am morgendlichen Frühstückstisch: In den Lokalzeitungen und auch anderswo gibt es nicht mehr so viele und auch nicht mehr so ausführliche Kulturberichte zu finden, wie auch schon. Und die Berichte, die erscheinen, drehen sich häufig um Gesellschafts- oder Peoplethemen und nicht um die Premiere vom Vorabend.
Auch in der Leitung der Kaserne spürt man den Kulturjournalismus auf Sparflamme. «Wenn vor einigen Jahren noch mehrere Rezensionen zu einer Produktion erschienen sind, freuen wir uns heute bereits, wenn überhaupt berichtet wird», schreibt Sandro Lunin auf Anfrage. Auch die Anmeldungen zu Pressekonferenzen würden sinken. «Wir wünschen uns wieder ein grösseres Interesse der Medien an den Theater- und Tanzproduktionen der freien Szene», schreibt Lunin weiter. Die Kaserne vermisse zum Beispiel gut recherchierte Vorankündigungen und Portraits der Künstler*innen.
Egal, wo man sich umhört, die Eigenschaft Basels als «Kulturstadt», wird bei der Frage nach Kulturjournalismus immer wieder betont. «Berichte über unsere Arbeit und das, was wir hier schaffen, dienen der Meinungsbildung – besonders in einer Kulturstadt wie Basel darf dies nicht fehlen», sagt etwa Benedikt von Peter, Intendant des Theaters Basel.
«Gerade für eine Stadt wie Basel, die sich gerne und zu Recht ‹Kulturstadt› nennt, ist der langsame Tod der Kulturberichterstattung verheerend», sagt auch Museumsdirektor Josef Helfenstein. Dem pflichtet Claude Bühler bei: «Früher hat Christine Richard von der Basler Zeitung eine halbe oder ganze Seite mit einer Premieren-Kritik vollschreiben dürfen, heute gibt es das nicht mehr», bedauert er.
«Das ist frappierend für mich: Die BaZ kann es machen und niemand reklamiert es. Und das in einer Stadt, die in den 60er-Jahren dafür gestimmt hat, dass der Staat Picasso-Bilder ankauft», sagt Bühler. Von solchen Dimensionen sei in der Kulturstadt Basel heute nichts mehr übrig. «Früher hätte es einen Aufstand gegeben, wenn die Kulturberichterstattung so eingedampft worden wäre.»
Aber nicht nur die Anzahl der Artikel leidet. Sandro Lunin von der Kaserne beobachtet auch noch etwas anderes. Während die Qualität der Berichte nicht grundsätzlich schlechter geworden sei, würde die Leitung bemerken, «dass zunehmend wechselnde, freie Mitarbeiter*innen für die Kulturberichterstattung eingesetzt werden – langfristige journalistische Begleitungen, die eine kritische Gesamtsicht des Programms spiegeln können, existieren zwar, werden aber spürbar seltener».
Mit dieser Kritik trifft Lunin den wunden Punkt des heutigen Journalismus, egal ob in der Kultur oder anderswo: Durch wegbrechende Werbeeinnahmen können sich die Redaktionen, gerade von lokalen Tageszeitungen, nicht mehr so viele festangestellte Redaktor*innen leisten wie früher. Es werden öfter freie Journalist*innen beauftragt, die sich mal mit besseren, mal mit schlechteren Honoraren zufriedengeben müssen.
So manche Besprechung einer Premiere wird dann vielleicht weggelassen, um das ohnehin kleine Budget nicht noch mehr zu belasten. Auch wir bei Bajour kennen dieses Problem. Und während viele Redaktionen im Zwiespalt sind, wohin das Geld fliessen soll, wird auf kulturelle Berichterstattung offensichtlich häufiger verzichtet als auf politische.
Wir haben beim stellvertretenden Leiter der Abteilung Kultur vom Kanton Basel-Stadt nachgefragt, wie es um die Berichterstattung bestellt ist. Werner Hanak teilt mit, es sei nicht die Aufgabe seiner Abteilung, die Medienberichterstattung zu kommentieren. «Ich halte aber gerne fest, dass für Kulturschaffende, Kulturinstitutionen und die ganze Kulturlandschaft Basel eine vielfältige und differenzierte Kulturberichterstattung und -kritik von essenzieller Bedeutung ist. Weniger ist in diesem Fall nicht mehr.»
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