Nazifrei: «Pannen» bei der Staatsanwaltschaft

Die Aufsichtskommission kritisiert in ihrem Bericht, die Staatsanwaltschaft habe sich bei den Nazifreiprozessen in ein «ungünstiges Licht» gebracht.

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(Bild: Roland Schmid)

Die Aufsichtskommission Staatsanwaltschaft Basel-Stadt hat eine eigentlich harmlose Aufgabe: Sie soll prüfen, ob die Stawa die Verfahrensfristen einhält. Doch der neue Bericht des Kontrollorgans ist ein politischer Sprengsatz. 

Es geht um ein Thema, das in Basel immer wieder Schlagzeilen macht: Die BaselNazifrei-Demonstration.

Am 24. November 2018 demonstrierte die rechtsextreme PNOS gegen den UN-Migrationspakt. Tobias Steiger, ein bekannter Rechtsextremer und früherer Sektionspräsident der Basler PNOS, exponierte sich mit einer Rede, worauf der Schweizer Israelitischen Gemeindebunds (SIG) Anzeige wegen antisemitischer Äusserungen machte. Eine unbewilligte Gegendemonstration versuchte die PNOS-Demo unter dem Motto «BaselNazifrei» zu verhindern. Die Polizei intervenierte. Es kam zu Ausschreitungen.Danach folgte eine Reihe von Prozessen gegen die unbewilligte Gegendemonstration. Bajour hat über die folgende Prozessreihe ausführlich berichtet. Doch gegen den ehemaligen Pnos-Chef Steiger ging drei Jahre lang kein Strafantrag ein.

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«Wie in Basel Demonstrieren gefährlich wurde»

Die Hintergründe der Anti-Pnos-Demo vom 24. November 2018. Was ist damals eigentlich genau passiert? Eine Vogelschau auf Basel und die Eskalationsspirale zwischen Demonstrant*innen und der Basler Justiz.

Der Bericht der Aufsichtskommission hält nun unmissverständlich fest, dass bei der Strafverfolgung der Akteur*innen dieses 24. November durch die Staatsanwaltschaft «nicht nachvollziehbare» Entscheidungen getroffen wurden. Nicht nur die Staatsanwaltschaft, auch die Kantonspolizei und der an der Demonstration anwesende Nachrichtendienst FG9 müssten sich die Frage gefallen lassen, warum sie mit «grossem Aufwand» (Zitat der Kriminalpolizei) und vielen Einzelverfahren, die Gegendemonstrant*innen verfolgte. Warum aber gleichzeitig gegen den ehemaligen Pnos-Chef Steiger erst im April 2021 und erst nach kritischen Medienberichten, ein Strafantrag erging. 

Staatsanwalt sah das Medieninteresse als «nicht gegeben»

Gegen Steiger war bereits im Vorfeld der Demonstration Strafantrag wegen Rassendiskriminierung gestellt worden. Mindestens eine Anzeige kam nach der Rede am 24. November dazu. Rassendiskriminierung ist ein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft muss in solchen Fällen eine Untersuchung einleiten. Das hat sie auch getan, nur eben sehr langsam. 

Und zwar weil, heisst es im Bericht des Kontrollorgans, der für den Rassendiskriminierungsfall zuständige Staatsanwalt das Geschädigteninteresse im Fall Steiger als «gering» und das Medieninteresse als «nicht gegeben» ansah. In einem Bericht zuhanden der Kommission kreuzte er auf einer Einschätzungsskala diese beiden Antworten an.

«Beide Angaben sind für die Aufsichtskommission nicht nachvollziehbar und unzutreffend», schreibt das Kontrollorgan in seinem Bericht. Die Stawa habe von der Anzeige durch den Schweizer Israelitischen Gemeindebund (SIG) gewusst, ein Geschädigteninteresse war offensichtlich vorhanden. 

«Was das Medieninteresse angeht, so scheint der Verfahrensleiter die Brisanz des Falles für die öffentliche Wahrnehmung völlig verkannt zu haben», schreibt das Kontrollorgan weiter.  

Erst als die SRF-Sendung 10 vor 10 am 22. April 2021 mit einem Beitrag die Frage aufwarf, ob die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt «auf dem rechten Auge blind» sei, wurde das Verfahren beschleunigt. Am 28. April, zwei Wochen später, erging der Strafbefehl gegen Steiger. Am 6. Mai wurde Steiger wegen mehrfacher Rassendiskriminierung per Strafbefehl verurteilt. Gegen den Strafbefehl wurde Einsprache erhoben, der Fall ist nun beim Strafgericht hängig.* 

Warum verfolgte die Stawa die Demonstrant*innen intensiver als den Rechtsextremen? 

Der erste Staatsanwalt, Sasha Stauffer, legte gegenüber dem Kontrollorgan Wert auf die Feststellung, «dass niemand innerhalb der Staatsanwaltschaft Verfahren nach politischen Überzeugungen prioritär führe oder vernachlässige».

Weiter wird erim Bericht mit der Erklärung zitiert: «die Verfahren gegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegendemonstration («Basel Nazifrei») seien gestützt auf den vom Regierungsrat politisch erlassenen Katalog für prioritäre Verfolgung vorrangig geführt worden.» 

Das Aufsichtsorgan geht mit der Staatsanwaltschaft nach diesen Untersuchungen hart ins Gericht und schreibt, sie habe sich 

«in dieser Sache selbst in ein ungünstiges Licht gebracht hat, indem sie Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegendemonstration mit «grossem Aufwand» (Kripo) und in einer grossen Anzahl von Einzelverfahren zur Rechenschaft zieht und harte Strafen fordert, während sie in Bezug auf den Anlass, gegen den sich die Gegendemonstration gerichtet hatte, der ebenfalls strafbare Handlungen beinhaltete, objektiv nicht mit derselben Dringlichkeit die notwendigen strafrechtlichen Ermittlungen an die Hand genommen hat.» 

Kurzananalyse:

Der Bericht der Aufsichtskommission ist brisant. Er kommt zum Schluss: Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ist gegen rechte Demonstrant*innen nicht mit derselben Dringlichkeit vorgegangen wie gegen linke. Diesen Vorwurf haben in den vergangenen Jahren viele Politiker*innen, Anwält*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen genau so formuliert. Das Kontrollorgan bestätigt nun diese Kritik.

Es ist bereits das dritte Mal innert Monaten, dass die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wegen ihres Vorgehen nach unbewilligten  Demonstrationen öffentlich gerügt wird. Das Bundesgericht entschied im April, dass sie DNA-Profile von Klimaaktivist*innen zu unrecht erhoben hatte, die Profile wurden gelöscht. Und im August wurde bekannt, dass die Stawa der Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan die Immunität zu entziehen wollte, sie habe an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen. Die zuständige Kommission des Nationalrats sah das anders und lehnte den Antrag ab. Als nächstes muss die zuständige Kommission des Ständerats über den Antrag befinden 

Die politische Diskussion über die kritisierte Schlagseite der Stawa ist nicht vorbei. Die Kommission empfiehlt mit Blick auf den Fall der anti-PNOS-Demonstration, «die Prioritätensetzung bei der Verfolgung von Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern zusammen mit dem Regierungsrat zu überprüfen».

* In der ersten Version des Textes fehlte der Hinweis auf die Einsprache gegen das Urteil von Tobias Steiger. Wir entschuldigen uns.

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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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