«Eine Frage der Grundwerte und Weitsicht»
Bald startet Basel in die Festivalsaison - die Untervertretung von Frauen auf der Bühne führt im Vorfeld zu Kritik. Veranstalter*innen begegnen der Genderdiversität unterschiedlich.
Mit der BScene startet Basel im April in die Festivalsaison. Indie, Pop, Hip-Hop und Rock sind dabei, es wird getanzt, geschauspielert und gesprayt. Divers, könnte man sagen. Doch Diversität hört da nicht auf, finden seit einigen Jahren Menschen aus der Kulturszene. Wichtig sei auch die Ausgeglichenheit und Repräsentation aller Geschlechter.
Sängerin Sophie Hunger rief im Sommer 2022 gar zum Boykott des Moon & Stars in Locarno auf, da das Festival fast nur Männer im Line-Up führte. Auch das Floss-Festivals auf dem Rhein geriet darauf in die Kritik.
Wie sieht es ein Jahr später aus?
Das Floss hat sein Programm noch nicht veröffentlicht. Floss-Kapitän Tino Krattiger verspricht in einem Haltungspapier aber, der Präsenz von Künstlerinnen mehr Beachtung zu schenken.
Aber ist das überhaupt so einfach?
In der Grün80 findet Ende Juni/Anfang Juli das Summer Stage statt. Das Festival wirbt mit neun grossen Namen im Line-Up, davon zwei Bands mit je einer Frau, die anderen sind Männer. Ähnlich sieht es beim Hip-Hop-Festival AM-Jam aus, das im August Hip-Hop-Fans nach Hölstein im Waldenburgertal lockt. Von sechs Main Acts ist nur einer weiblich.
Umsatz vs. Repräsentation
Die Betreiber des Summer Stage-Festivals, Act Entertainment, wollten ihre Überlegungen bezüglich Genderdiversität an ihrem Festival nicht mit uns teilen. Elia Mahler, Geschäfts- und Programmleiter des AM-Jam, meinte hingegen, er spüre den politischen und gesellschaftlichen Druck: «Wir fragen Künstler*innen an, die aktuell sind und neue Musik am Start haben», erklärt er am Telefon. Frauen würden aber im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen öfter gebucht und seien früh ausgebucht. Um genug Tickets zu verkaufen, müsse das Festival «publikumsorientiert» handeln. Das heisst, es müssen bekannte Namen aufs Line-Up, um mehr Leute anzuziehen.
«Momentan ist leider Fakt, dass es auf zehn gute Rapper nur eine gute Rapperin gibt», sagt Mahler, selbst langjähriger Rapper. Die grossen Europäerinnen wie Nina Chuba, Badmomzjay oder Juju seien ab September 2022 bereits ausgebucht gewesen, fürs Am-Jam habe es nicht mehr gereicht. Aber auch beim Nachwuchs in der Region herrsche ein Angebotsproblem: «Wir fördern in einem Rap-Newcomer-Contest die nächste Generation. Im letzten Jahr hatte sich aber bei 31 Anmeldungen nur eine Frau gemeldet.»
Neben Rap bietet das AM-Jam auch Hip Hop-Tänzer*innen und Graffiti-Sprayer*innen eine Plattform. Diese Auftritte haben die Genderquote am AM-Jam im letzten Jahr deutlich ausgeglichen. «Insgesamt standen 2022 bei uns mehr Frauen auf der Bühne als Männer», betont AM-Jam-Geschäftsleiter Mahler.
Genderdivers ohne Quoten
Basler Festivals wie die BScene, das Imagine Festival oder das Jugendkulturfestival JKF legen seit Längerem einen Fokus auf ein ausgeglichenes Programm und auf regionale Acts. Alle drei verbindet die Teilfinanzierung durch Stiftungen oder NGOs, wodurch die Veranstalter*innen wiederum an Bestimmungen und Werte geknüpft sind. Das JKF soll beispielsweise junge Künstler*innen aus der Region fördern, aber auch Vielfalt und Qualität auf die Bühne bringen. Diese Festivals betreiben ein passives Booking, sprich Kunstschaffende müssen sich bewerben. Beim JKF entsteht so das gesamte Festivalprogramm, bei der BScene werden einige Slots gefüllt. Das Anmeldefenster gibt Künstler*innen die Möglichkeit, sich selbst anzumelden.
Die Bewerbungen seien sehr ausgewogen, sagt Geschäftsleiterin Selina Catania. Wenige Plätze am BScene werden auch proaktiv gebucht, mit Budget und so, und diese müssen ausgeglichen sein, jedoch ohne festgelegte Quote. «Ich bin überzeugt, dass ein diverses Musikprogramm Einstellungssache ist», sagt sie. Aus Erfahrungen des Bookingteams weiss sie, dass es im Raum Basel nicht schwierig sei, FLINTA*Artists zu buchen. Selinas Meinung nach, ist die Präsenz von Frauen an Festivals weniger eine Herausforderung als eine «Frage der Grundwerte und der Weitsicht» dafür, wie vielfältig und kreativ die Kunstszene inzwischen sei.
Auch beim JKF gehen laut Geschäftsleiterin Elena Conradt jedes Jahr so viele Anmeldungen von Bands und Sänger*innen ein, dass eine Fachjury anhand verschiedener Kriterien selektieren müsse. Gender oder sonstige persönliche Merkmale gehören aber nicht in diesen Katalog. Vielmehr würden Punkte wie Musik, Eigenständigkeit, Auftritt und Repräsentation der Jugendkultur angeschaut. Dass die Acts in Tanz, Spoken Word, Theater, Kunst und Musik am JKF divers sind, ist für Conradt dennoch zentral. «Das Festival fungiert als Lernfeld und als Plattform, wovon alle jungen Menschen profitieren sollen.»
Eine schweizweite Initiative für Förderung von Genderdiversität ist Helvetia rockt. Sängerin und Produzentin Alexia Thomas, aufgewachsen im Baselland, leitet ab Mai als Coach Workshops bei Helvetia rockt. «Ich möchte die FLINTA*Community fördern, Awareness für das Thema schaffen und eigene Erfahrungen weitergeben.» Menschen in der Kulturszene ermutigen und ein Netzwerk schaffen, sind der Newcomerin ein Anliegen. Obwohl sie früh mit Klavier spielen begonnen, immer in Schulchören gesungen und sich das Producing selbst beigebracht hatte, hätte sie mehr Unterstützung und Kraft gebraucht, früher den Schritt in die Musikbranche zu wagen. «Es scheint so, als ob es bei Männern viel schneller geht», beobachtete Alexia und möchte den Menschen in ihren Workshops deshalb Selbstbewusstsein und Mut zu Wagen mitgeben.
In Musikworkshops und Songwriting-Camps unterstützt Helvetia rockt Frauen, Mädchen und non-binäre Menschen, ihr volles Potential zu entfalten. Der Verein verbindet Artists und Newcomers und leistet Sensibilisierungsarbeit für FINTA-Personen in der Musikwelt. Auch in Basel finden regelmässig Events von Helvetia rockt statt. Am 22. April sind sie am Bscene mit einem Gratis-Coaching in Beatmaking dabei.
Und was sagen die Künstler*innen selbst?
Die Basler Sängerin-Songwriterin Anouchka Gwen spüre durchaus eine stärkere Fokussierung auf Diversität: «Es werden mehr TINFA*-Personen gebucht und auch ernster genommen. Was mir auch aufgefallen ist bezüglich meiner Positionalität, werden auch mehr BIPOC gebucht. Trotzdem denke ich, dass es viel Arbeit braucht, um die Plattformen inklusiver zu machen und die Diversität nicht oberflächlich und performativ zu halten.»
Unter FLINTA* verstehen wir alle Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nonbinäre, Trans und Agender Personen, also Personen ohne Geschlechtsidentität. Mit TINFA* sind dieselben Menschen gemeint.
BIPOC steht für Black, Indigenous und People of Color.
Die Bezeichnungen sind im Glossar von Kritische Männlichkeit weiter ausgeführt.
Auch die bekannte Basler Sängerin Anna Rossinelli findet, es gebe noch viel Luft nach oben. «Um ehrlich zu sein, spüre ich persönlich im Vergleich zu vor ein paar Jahren keine Veränderung bei den Bookinganfragen. Es gab zwar einige Anfragen, die klar darauf zurückzuführen waren, dass das Festival zuvor für eine zu kleine oder fehlende Genderdiversität kritisiert worden war, aber das waren höchstens eine Hand voll.»
Rapper Moony, mit bürgerlichem Namen Philip Döbeli, sagt, es finde aktuell eine Umverteilung statt und die Diversität spiele eine immer wichtigere Rolle in der Musikszene. «Ich wünsche mir, dass die Veranstaltungskultur mit der Diversität als Selbstverständlichkeit umgeht.»
Ob er als männlich gelesener Artist den schleichenden Diversitätstrend negativ spüre, verneint Moony. «Ich habe ich nicht das Gefühl, dass der Diversitäts-Ansatz einer Person den Platz auf der Bühne «nimmt», die künstlerisch dem Zeitgeist entspricht.»
Vorbilder auf der Bühne
Die verschiedenen Perspektiven zeigen, dass die unterschiedlichen Ausrichtungen der Basler Festivals die Genderdiversität der Programme beeinflussen. Umsatzorientierte Festivals mit schwachem regionalen Fokus verweisen auf den nichtdiversen und eingeschränkten Markt. Derzeit beeinflussen Corona-Spätfolgen und Teuerung die finazielle Situation der Basler Veranstaltungen negativ. Dies könnte auch zur Folge haben, dass am bewährten marktorientierten Kurs festgehalten wird, um Einbussen zu vermeiden und weiterhin zu bestehen. Doch wer, wenn nicht grosse Festivals, können den talentierten Nachwuchs ins Rampenlicht stellen und Nachfrage schaffen? Wenn es eine Geldfrage ist, sind Fördergelder die Lösung?
Bei den Festivals, welche Fördergelder mit klarem Auftrag erhalten, funktionierte es bisher nämlich. Dass FLINTA*Artists Tickets verkaufen, bedeutet, dass es dieses Publikum in Basel gibt und auswärtige Gäste anzieht. Sicherlich spielen auch persönliche Überzeugungen und Werte der Veranstalter*innen eine Rolle. Um den Wandel in der Festivalbranche hin zu gleicher Repräsentation von Künstler*innen und Förderung aller Talente zu befeuern, ist klar, dass Vorbilder hinter und auf den Bühnen entscheidend sind.
Festival season @Basel
Eine Übersicht der Festivals möchten wir dir natürlich nicht vorenthalten. Wir präsentieren dem Datum nach die Festivals in und rund um Basel, darunter einige Geheimtipps von Gärn gschee. Die Chance, eine Genderdiversitätsampel mitzuliefern, liessen wir uns nicht entgehen: rot = Frauenanteil im Programm kleiner als 20 Prozent, gelb = Frauenanteil zwischen 21 und 49 Prozent, grün = Frauenanteil 50 Prozent oder grösser.
Bewertet wurden nur die Festivals mit Programm und anhand des aktuell publizierten Line-Ups.
April 🎉
🟢 Bscene 21.-22.04.
Mai 💃
Tanzfest Basel 10.-14.05.
Juni/Juli 🌸
🔴 Hafenfest Basel 2.-4.06. 101 Jahre Hafen Kleinhünigen
Imagine 9.-10.06.
Pärkli Jam 23.-25.06.
🔴 Summer Stage 29.06-1.07.
Openair Hill Chill 30.06.-1.07.
Juli ☀️
TraTra Festival 7.-8.07.
🔴 Tension Electronic Music Festival 29.-30.07.
August 🎷
🔴 AM-Jam 5.08.
Floss 8.-26.08.
Em Bebbi si Jazz 18.08.
Klosterbergfest Basel 25.-27.08.
September 🕺
JKF Basel 1.-2.09.
Transparenzhinweis der Redaktion: Unser Bajour Geschäftsführer Niccolo Brunetti ist im Vorstand der BScene, ausserdem beim Hip-Hop Festival AM-Jam als Beisitzender tätig.
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