«Für die einen sind wir zu lasch, für die anderen zu streng»
Nazifrei, Feminist*innen-Demo, FCB: Die Polizist*innen sind häufig im Einsatz und regelmässig in der Kritik. Auch von Bajour. Jetzt wollten wir einfach einmal wissen: Wie geht es den Polizist*innen? Und haben Polizist Harald Zsedényi gefragt.
Harald Zsedényi, standen Sie am letzten Samstag in der Stadt im Einsatz bei der Coronademo und der Gegendemo?
Ja, ich war im sogenannten rückwärtigen Raum im Einsatz, also in der Zentrale.
War es ein intensiver Arbeitstag für die Polizei?
Wir hatten einen grossen Koordinationsaufwand. Und es war wieder ein Samstag, den ich und viele Kollegen opfern musste. Demonstrationen sind meistens kurzfristige Einsätze, an denen die Polizeibeamten flexibel eingesetzt werden. Wir wissen, dass das dazugehört, aber die Arbeitsbelastung nimmt aufgrund solcher Ereignisse zu.
Wieviel Personal ist an einem solchen Tag im Einsatz?
Genaue Zahlen darf ich nicht nennen. Aber wenn auswärtige Kollegen aus Solothurn und dem Aargau nach Basel kommen, können Sie davon ausgehen, dass alle verfügbaren Kräften unseres Korps ebenfalls im Einsatz sind. Auswärtige Beamte kommen nur dann zum Zug, wenn wir «ausgeschossen» sind.
Die Demozüge der Massnahmengegner*innen und die antifaschistische Gegendemo konnten getrennt gehalten werden, die Demos verliefen friedlich: Kann man von einer gelungenen Intervention sprechen?
Es ist nicht an mir, den Einsatz zu beurteilen. Persönlich finde ich, dass wir unsere Ziele erreicht haben.
Die wären?
Die Sicherheit aller Beteiligten und Unbeteiligten wahren, der öffentliche Raum schützen, Gewalt verhindern.
Harald Zsedényi ist seit 34 Jahren Polizist in Basel. Ausserdem ist er Geschäftsführer und Vizepräsident des Polizeibeamten-Verbands Basel-Stadt.
Man liest ständig über die Polizist*innen. Wir wollen jetzt einmal von einem Polizisten wissen: Wie geht es Ihnen?
Mir geht es gut. Ich bin mittlerweile 34 Jahre im Beruf und mache ihn sehr gern. Und ich kann sagen, dass auch die meisten meiner Kollegen zufrieden sind. Die Arbeitsbelastung ist aber ein Problem. Wir sind oft mit Einsätzen konfrontiert, die man nicht planen kann.
Wie lange dauert eine Schicht?
Wir haben eine 42-Stundenwoche, unsere Schichten gehen aber zum Teil bis zu 12 Stunden. Ausserdem sind wir im Aussendienst fremdgesteuert.
Was heisst das? Wie sieht ein typischer Tag bei der Polizei aus?
Der Punkt ist eben, dass es keinen typischen Tag gibt. Wir wissen nie, was uns erwartet. Die Polizei ist ja rund um die Uhr im Dienst. Beim Schichtwechsel gibt es eine Lagebesprechung, dann schaut man, was reinkommt. Verkehrsunfälle, Diebstähle, Einbrüche, Lärmklagen, oder häusliche Gewalt gehören zu unserem Alltag und können immer passieren. Das heisst: Wenn kurz vor Schichtende noch etwas geschieht, dann kann man die Angelegenheit nicht immer übergeben.
Und schiebt stattdessen Überstunden?
Ja.
Viele?
Sagen wir es so: Schon im regulären Betrieb ist immer eine Gruppe am Wochenende im Einsatz. Das sind drei Nächte hintereinander, an welchen wir oft länger arbeiten. Aber auch unter der Woche kann ein Dienst länger gehen. Wir versuchen zu kompensieren, aber das geht nicht immer zum gewünschten Zeitpunkt. Wir können nicht eine Woche am Stück frei machen. Wir haben ausgerechnet, dass wir im Schnitt nur 13 Wochenenden im Jahr frei haben.
«Das geht an die Nieren, wenn man schon wieder anrufen muss, um abzusagen, oder wenn man der Familie beichtet: Ihr müsst ohne mich in den Europapark.»Polizist Harald Zsedényi über Einsätze am Wochenende
Sieht man da seine Familie überhaupt noch?
Die Freizeitgestaltung und das soziale Leben leiden ganz klar darunter. Familienfeste, Ausflüge oder Anlässe finden meist an den Wochenenden statt – dabei zu sein, ist nicht immer einfach. Und das geht an die Nieren, wenn man schon wieder anrufen muss, um abzusagen, oder wenn man der Familie beichtet: Ihr müsst ohne mich in den Europapark. Wird noch eine Demo angesagt, sind das Extraschichten.
Wie verläuft so ein Demonstrationstag für die Polizei? Erzählen Sie mal von vorne bis zum Ende des Einsatzes.
Wenn eine solche vorliegt, dann beginnt es mit der Bewilligung. Wir prüfen, ob wir sie erteilen können, welche Route die Demo einschlagen kann, wie der Verkehr nicht behindert wird. Manchmal finden andere Veranstaltungen statt, wie der Markt zum Beispiel. Die Geschäfte und das Gewerbe müssen auch berücksichtigt werden. Wir schauen, ob es ein Aufgebot braucht und planen entsprechend. Dann gehen wir raus. Wenn die Demo vorbei ist, gibt es eine Besprechung und den Rapport.
Die Situation zwischen Aktivist*innen und Polizei ist aufgeheizt, etwa bei den Nazifrei-Demos. Macht es einen Unterschied, wer demonstriert? Also ob eine linke oder eine rechte Demonstration ist?
Nein. Für die Polizei macht es keinen Unterschied. Das darf es nicht. Für uns ist es auch nicht relevant, ob eine Demonstration bewilligt ist oder nicht. Kommt es zu einer Konfrontation versuchen wir das Problem zu erkennen, zu deeskalieren und als letztes greifen wir durch. Dabei bewegen wir uns im Rahmen des Gesetzes.
Passieren also keine Fehler?
Doch, das ist normal, niemand ist perfekt. Und wir pflegen eine Fehlerkultur. Wir besprechen die Einsätze, ziehen Schlüsse und diese fliessen wiederum in die nächste Planung ein. Darüber wird aber nicht prominent berichtet. Und sollte tatsächlich etwas schief laufen, dann kommt es zu einer Untersuchung. Das ist nicht lustig, auch wenn nichts dabei rauskommt, das nehmen wir in Kauf.
Haben Sie den Eindruck unter Beobachtung zu stehen?
Es ist richtig, dass die Polizeiarbeit öffentlich diskutiert wird. Und wir werden es nie allen recht machen können. Für die einen sind wir zu lasch, für die anderen zu streng. Wir können arbeiten, wie wir wollen und machen dennoch für gewisse Personen immer etwas falsch. Hinzu kommt, dass alle ein Handy in der Tasche haben und wir auch in komplexen Situationen gefilmt werden können. Das erhöht die Belastung zusätzlich. Wir müssen achtsam sein und schnell adäquat reagieren können. Das ist wohl die grösste Herausforderung in unserem Beruf.
Wie bleibt man in brenzligen Situationen ruhig und besonnen?
Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen. Den Leuten geht es nicht um meine Person, sondern um die Funktion. Die dicke Haut legt man sich mit der Zeit automatisch zu.
Wurden Sie schon mal mit Steinen beworfen oder tätlich angegriffen?
Ja leider schon mehrmals. Doch auch hier muss man Ruhe bewahren.
Gibt es Situationen, die Sie besonders belasten?
Wenn Gewalt im Spiel ist, kann es sehr belastend werden. Besonders wenn es um Kinder geht, trifft mich das sehr. Oft auch, weil wir nicht wissen, was nach unserer Intervention passiert.
Schöne Momente gibt es auch?
Ja, sehr oft. Einmal konnte ich eine ältere Dame mit Demenz, die auf der Freien Strasse herumgeirrt war, überzeugen mitzukommen. Als wir sie zurück ins Altersheim begleitet haben, hat sie es realisiert und gestrahlt vor Freude. Das zu erleben, war sehr schön. Dann weiss ich, warum ich den Job gern mache.
«Im kantonalen Vergleich sind wir eher am unteren Rand.»Polizist Harald Zsedényi über den Lohn
Dennoch hat das Polizeikorps Basel-Stadt Mühe, genügend qualifizierte Kräfte zu finden. Woran liegt das?
Nicht an der Qualifikation. Wir haben gut ausgebildete Kollegen. Aber wir sind unterdotiert. Die Arbeit ist komplexer geworden, wir müssen sehr genau sein, die Arbeitszeiten sind schwierig. Das machen nicht alle mit.
Sie haben also zu wenig Ressourcen.
Unser Verband fordert schon lange mehr Personal und eine Verbesserung der technischen Mitteln. In verschiedenen Kantonen wird bei der Polizei aufgestockt, bei uns noch nicht nicht.
Wie ist der Lohn?
Im kantonalen Vergleich sind wir eher am unteren Rand. Früher verdiente man als Polizist mehr, als auf einer Baustelle. Heute ist das nicht immer der Fall, obwohl wir eine Zweitausbildung absolviert haben.
Gibt es Abgänge? Leute, die den Job hinschmeissen?
Wir beobachten, dass einige den Kanton wechseln. Der Bedarf ist gross und wenn man es sich aussuchen kann, dann spielt der Lohn schon eine Rolle.
Hat Corona die Arbeit der Polizist*innen verändert? Spüren Sie die gereizte Stimmung im Alltag?
Ich muss sagen, ich spüre die Angespanntheit mehr im Privaten, als im Beruf. Durch Corona hat sich unsere Arbeit verlagert, während des Lockdowns gab es zum Beispiel weniger Auseinandersetzungen, dafür mehr Wegweisungen. Nun kehren wir wieder langsam zur Normalität zurück.