Raus aus meinem Privatleben!

Der Drang gewisser Politiker*innen, anderen ihre Vorstellung eines guten Lebensmodells aufzudrängen, ist schwer zu bremsen, findet Kolumnist Luca Urgese. Darin widerspiegle sich aber ein problematisches Verständnis des Verhältnisses des Staates zu seinen Bürger*innen, schreibt er.

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Die Beziehung zwischen zwei Menschen geht den Staat nichts an, findet Kolumnist Luca Urgese. (Bild: Adobe Stock)

Eine Beziehung zwischen zwei Menschen ist etwas überaus Persönliches. Tag für Tag entstehen und enden Beziehungen überall auf der Welt. Jedes Paar entscheidet für sich, wie es das gemeinsame Zusammenleben ausgestalten will und welche Beziehungsform es für sich selbst richtig und gut findet.

Zur Person

Luca Urgese, Jg. 1986, politisiert seit 2014 für die FDP im Grossen Rat. Von 2016 bis 2021 war er Parteipräsident. Im März kandidierte Urgese für den Regierungsrat, unterlag jedoch Mustafa Atici. In seiner Kolumne «Caffè Urgese» schaut er mit der bürgerlichen Brille auf Basel. Er äussert sich als Politiker und nicht als Mitarbeiter der HKBB.

Spätestens seit der letzten Sondersession des Nationalrats wissen wir, dass der Staat eine stärkere Rolle in dieser Beziehung beansprucht. Ich spreche dabei nicht vom gesetzlichen Institut der Ehe – diese ist ein Fall für sich. Vielmehr hat der Nationalrat mit der Überweisung eines Vorstosses zum Ausdruck gebracht, dass sich der Staat stärker darum kümmern sollte, dass Paare glücklich sind und Beziehungen nicht auseinanderbrechen.

Was gibt dem Staat das Recht, sich in meine Beziehung einzumischen?

In einem ausführlichen Interview mit EVP-Nationalrat Marc Jost, der das entsprechende Postulat eingereicht hat, wird deutlich, dass dieser ein klares Verständnis einer «guten» Beziehung hat. Das sei ihm unbenommen. Ebenso steht es ihm frei, dieses Verständnis in seiner Tätigkeit als Theologe an diejenigen zu verbreiten, die seinen Rat in Anspruch nehmen. Problematisch wird es allerdings dann, wenn dieses Verständnis anderen Menschen, finanziert durch Steuergelder, aufgedrängt werden soll.

Doch was geht es den Staat an, wenn jemand seine Beziehung beenden will? Was gibt ihm das Recht auf jemanden einzuwirken mit dem Ziel, dass eine Beziehung fortgesetzt wird? Nichts.

Der Drang zur Erziehung der Menschen ist allumfassend

Bekanntlich ist das nicht der einzige Bereich, in dem die Politik auf die Lebensgestaltung der Menschen einwirken will. Es kann gar nicht weit genug gehen. Ein paar Beispiele gefällig? (Bei weitem ohne Anspruch auf Vollständigkeit!)

  • Unter dem Begriff Suffizienz soll die Wohnfläche pro Person begrenzt werden.
  • Eltern dürfen ihren Kindern nur «gesunde Znünis» in den Kindergarten mitgeben.
  • Fett- und zuckerhaltige Lebensmittel sollen nicht mehr beworben werden dürfen.
  • Private Grundeigentümer sollen dazu «motiviert» werden, ihren Rasen durch Wiesen zu ersetzen.
  • Damit genügend Schweizer Filme angeschaut werden, müssen Anbieter wie Netflix Quoten erfüllen.
  • Katzenbesitzer, die ihre Katzen aus dem Haus lassen, sollen diese kastrieren lassen müssen.
  • Und dass die Basler Verkehrspolitik es sich zum Ziel gemacht hat, Auto fahren möglichst unattraktiv zu machen, ist hinlänglich bekannt.

Wohnen, Erziehung, Ernährung, Konsum, Haustiere, Unterhaltung oder Mobilität. Der Drang, die Menschen in allen Bereichen zum «richtigen» Leben zu erziehen, ist allumfassend. Es kommt nicht von ungefähr, dass erst kürzlich eine Anti-Bevormundungs-Kampagne mit dem Titel «Bin kein Baby» lanciert wurde.

Der Staat ist nicht neutral

Dabei geht es nicht immer um Verbote. Mehr oder weniger sanft und subtil wird mit Empfehlungen, Beratungen, Kampagnen, Massnahmen oder Anreizen gearbeitet. Und sehr häufig schwingt dabei der moralisierende Unterton mit, dass wer nicht entsprechend dem Idealbild des Staates handelt, eigentlich ein schlechter Mensch sei.

Viele Menschen gehen bei all dem davon aus, dass der Staat neutral ist und ja nur das Beste für die Menschen will. Doch das ist ein Trugschluss. Der Staat, dieses anonyme Gebilde, ist nicht neutral. Er setzt sich selbst aus vielen Menschen mit ihren Werten und Vorstellungen zusammen, die das staatliche Handeln prägen.

Begegnung auf Augenhöhe statt freiheitsfeindliches Hierarchieverständnis

In einem demokratischen Staat müssen wir den Anspruch haben, dass dieser seinen Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnet und sie als mündige Menschen betrachtet. Und in einem liberalen Staat müssen wir den Anspruch haben, dass dieser sich möglichst aus dem Privaten heraushält. Je mehr Vorgaben der Staat hingegen über das «richtige» Leben macht, desto mehr erhebt er sich über die Bürgerinnen und Bürger und schafft ein freiheitsfeindliches Hierarchieverhältnis zwischen sich und den ihm Unterworfenen.

Wer das «Primat der Politik» auch im Privaten propagiert, hält die Menschen letztlich für unmündig, weshalb es notwendig ist, sie anzuleiten und ihnen das «richtige» Leben vorzugeben. Der spricht ihnen das Recht ab, ihr Leben nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Auf diesem Pfad sind wir schon viel zu weit fortgeschritten.

Und deshalb in aller Deutlichkeit: Raus aus meinem Privatleben!

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Kommentare

Lukas
19. Mai 2025 um 15:31

Freiheitsbegriffe?

Freiheit nur als negative Freiheit zu verstehen, also sie auf die Abwesenheit staatlicher Einmischung zu begrenzen, hat leider so viele unfreiheitliche Folgen. All die Beispiele aus dem Artikel betreffen nicht nur das Privatleben eines Einzelnen, sondern auch das seiner Mitmenschen - was für sich natürlich nicht ein Argument für oder gegen die Sinnigkeit der aufgelisteten "Erziehungsmassnahmen" ist. Aber Verhalten, dass Anderen oder der Allgemeinheit Schaden zufügt (als Beispiel für das Autofahren sei auf den Bericht "Externe Kosten und Nutzen des Verkehrs" des ARE verwiesen) schränkt die Freiheit aller ein. Es wäre schön, wenn wir nicht länger ignorieren würden, dass wir in ganz vielen unserer privaten Entscheidungen die Freiheit Anderer beanspruchen und verantwortungsvoller handeln würden. Dann wäre vielleicht auch weniger staatliche Erziehung nötig.