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Take Me to Church

Den Kirchen laufen die Gläubigen weg. Jetzt locken die heiligen Hallen mit weltlichen Programmen und Veranstaltungen, um die leeren Sitzbänke wieder zu füllen. Wir haben uns die Umnutzungen genauer angesehen.

09/01/22, 03:00 AM

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Werden bald die Kirchen gerockt?

Werden bald die Kirchen gerockt? (Foto: Adobe/Illustration Florian Scheller)

Klassische Konzerte in Kirchen kennt man schon länger. Aber Rock? Gar Death Metal und Punk? Kein Problem, wenn es nach Bajour-Leser Christian geht. Er kann sich sogar einen Technoclub in einer der Basler Kirchen vorstellen. Julide gesagt: «Ein Rockkonzert in der Kirche wäre cool.» Doch die allermeisten der Bajourgruppe finden, dass ein Blues- oder Gospelkonzert besser in eine Kirche passt. 

In Zukunft werden solche Veranstaltungen immer wahrscheinlicher, da in Basel viele Gotteshäuser umgenutzt werden. So kann der zuweilen verwaiste Platz vor dem Altar wieder für Menschen attraktiv gemacht werden. Und das Zusammenkommen als Gemeinschaft und der Gottesdienst als sozialer Kitt waren ja einst der Zweck der sakralen Bauten. «Kirchen sind Treffpunkte, um Zeit miteinander zu verbringen. Von Beten hat niemand was gesagt», schreibt Bajouremitglied Raphael.

Immer weniger Basler*innen sind Teil der Kirche.

Immer weniger Basler*innen sind Teil der Kirche. (Foto: Infogram)

Minus 100’000 Mitglieder

Zahlen lügen bekanntlich nicht. Und sie sprechen eine deutliche Sprache:  Die evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt verlor in den letzten Jahren jährlich 2 bis 3 Prozent der Mitglieder. 

1980 hatten die Reformierten 80’501 Gläubige. Bei einer Stadtbevölkerung von 201’000 Einwohner*innen bedeutet das einen Anteil von 40 Prozent. Bei fast gleich vielen Einwohner*innen in Basel konnte die ERK 2021 aber nur noch auf 23’941 Mitglieder zählen. Das ist ein Rückgang von 69 Prozent. 

Als Grund für diesen Mitgliederschwund nennt die Evangelisch-reformierte Kirche unter anderem die Bevölkerungszusammensetzung «Heute ist der Kanton ein buntes Gemisch von Menschen aus unterschiedlichen Ländern, Religionen und Kulturen», schreibt die ERK-BS. Auch sind viele reformierte Basler*innen in den letzten Jahrzehnten von der Stadt in die Agglomeration gezogen. 

Die Kirche erwartet, dass diese Entwicklung in Zukunft anhält und sich bei einem Kernbestand von etwa 10’000 Mitgliedern stabilisieren wird.

Auch die Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt muss auf immer weniger Kirchgänger*innen zählen. Ende 2010 waren es 29’101 Mitglieder, 2021 noch 22’370. Was einen Rückgang von rund 23 % bedeutet .

Diese massive Abnahme von Basler Kirchgänger*innen bedeutet nicht nur leere Sitzbänke bei Gottesdiensten und Messen, sondern auch weniger Steuereinnahmen. Und das ist ein Problem für den Unterhalt der Sakralbauten. Etwa 20 Gebäude sind im Besitz der ERK-BS. Alleine die Sanierung des 72 Meter hohen Turms der Elisabethenkirche kostet 13,2 Millionen Franken, es bröckelt der Sandstein. Die Kirche kann die Renovation kaum stemmen: Die Kosten entsprechen fast den gesamten jährlichen Steuereinnahmen der evangelisch-reformierter Kirche.

Eine der Lösungen: Die Kirchen umnutzen. Das wird je länger je mehr getan. Hier die aktuellsten Beispiele. 

«Einen Day Rave kann ich mir in der Pauluskirche gut vorstellen.»

David Rossel, Leiter Kulturkirche Paulus
Die Kulturkirche Paulus lädt zum verweilen ein.

Die Kulturkirche Paulus lädt zum verweilen ein. (Foto: Facebook)

Kulturkirche Paulus

Im Sommer 2021 übernahm der Verein Kulturkirche Paulus den Betrieb für die evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt. Mit dem Ziel, das 1901 eingeweihte Gebäude mit seinen städtebaulichen Akzenten am Ring zu einem lebendigen, öffentlichen Veranstaltungs- und Quartierort umzunutzen. Schwerpunkt wird das Chorzentrum Paulus sein, welches allen Chören der Region eine Heimat bietet, Laien genau so wie Profis. Die Kulturkirche wird auch der Musik-Akademie Basel als Unterrichtsort für die Orgelstudierenden zur Verfügung stehen. Auch in der Kulturkirche Paulus wird in eine verbesserte Infrastruktur investiert. Für insgesamt 1.9 Millionen Franken entstand eine modulare Konzertbühne, eine neue Tonanlage und Beleuchtung, das Foyer wurde aufgewertet.

Die Mietkosten für eine private Veranstaltung (Hochzeit, Firmenevent, usw.) belaufen sich auf 1’200 Franken für einen halben Tag. Ein ganzer Tag kostet 1’800 Franken. Bei Konzerten und Kulturveranstaltungen kostet die Pauluskirche 800 halbtags, resp. 1’200 Franken ganztags. Vorgaben für die Art der Veranstaltung gibt es auch hier keine. «Einen Day Rave mit passender Musik kann ich mir in der Pauluskirche gut vorstellen. Da stossen wir auch nicht an die akustischen Grenzen des denkmalgeschützten Wahrzeichen und halten auch die Lärmschutzverordnungen des Quartiers ein», sagt David Rossel, Leiter der Kulturkirche Paulus. Hier geht’s zum Programm.

Die Martinskirche von innen.

Die Martinskirche von innen. (Foto: Stiftung Martinskirche)

Martinskirche

«Die älteste Konzertkirche (seit 1850) ist gerettet». Diese Schlagzeile machte Ende 2021 die Runde.  Die evangelisch-reformierte Kirche als Eigentümerin konnte den Betrieb nicht mehr gewährleisten. Doch eine im Sommer 2020 gegründete Initiativgruppe aus Kultur, Gesellschaft und Politik übernimmt in Zukunft die Stiftung Martinskirche. Die zentrale Verpflichtung der gemeinnützigen Stiftung umfasst, mit den anvisierten 5.5 Millionen Franken Stiftungsvermögen, den kostengünstigen Betrieb der Konzertkirche für die kommenden 20 Jahre zu gewährleisten. Auch wird durch bauliche Erneuerungen die Infrastruktur an die heutigen Vorschriften und Ansprüche angepasst. 

So gibt es neu eine fixe Tonanlage für das gesprochene Wort und ein neuer Backstagebereich für die Musiker*innen ist auch geplant. Ausserdem werden in einem Anbau neue Toiletten gebaut, eine davon barrierefrei, für Gesamtkosten von 575’000 Franken. «Die sanitären Anlagen waren für einen gefragten Veranstaltungsort in einem unzumutbaren Zustand», sagt Stefan Rommerskirchen, Mitglied des Stiftungsrates.

Vorgaben, die ein Event in der Martinskirche erfüllen soll, gibt es nicht: «Ich kann mich nicht an eine Situation erinnern, dass ein Veranstalter hätte abgewiesen werden müssen», sagt Rommerskirchen. «Aber unser Mietvertrag schliesst nicht aus, nötigenfalls eine Auswahl zu treffen, wenn eine Veranstaltung nicht dem Zweck des Ortes oder dem Geist unserer Statuten entspricht.» Für ein Rockkonzert in der Martinskirche fehlt also nur noch der Veranstalter…

Die ehemalige Don Bosco Kirche erstrahlt in neuen Gewand.

Die ehemalige Don Bosco Kirche erstrahlt in neuen Gewand. (Foto: Don Bosco Webseite)

Musik- und Kulturzentrum Don Bosco Basel 

Die heiligen Räume der ehemals römisch-katholischen Kirche wurden 2016 als erstes entweiht (der Fachausdruck lautet «Profanierung»), damit sie in Zukunft auch für weltliche Zwecke genutzt werden können. Von Januar 2016 bis zum Herbst 2020 wurde die Kirche im Basler Breitequartier für fast 11 Millionen Franken zu einem Probe- und Konzertzentrum umgebaut. «Dieser Ort hat das Potenzial, eine Zentrumsfunktion im Quartier einzunehmen. Es wäre eine verpasste Chance gewesen, wenn wie ursprünglich geplant, nur ein Probezentrum entstanden wäre». Das sagte kurz vor der Eröffnung Christoph Müller, Geschäftsführer und Gründer des Musik- und Kulturzentrum Don Bosco, gegenüber der Baz.

Neben dem Paul Sacher Saal mit 480 Sitzplätzen und einer hervorragenden Probe- bzw. Konzertakustik, gibt es auch noch das Heinz Holliger Auditorium sowie die Studios 1 & 2, für weitere Veranstaltungsformen (Tagungen, Bankette, Ausstellungen...). Auch die Infrastruktur für professionelle Musikaufnahmen steht zur Verfügung.

Vorgaben für eine Veranstaltung gibt es nicht. «Es finden neben den Orchesterproben hauptsächlich klassische Konzerte sowie Chorkonzerte statt», sagt Wilfried Seiler, Facility Manager bei der Don Bosco Kirche. Es gab Jazzkonzerte und Stepptanz-Veranstaltungen sowie – im Rahmen der technischen Möglichkeiten – Theater-Aufführungen. «Grundsätzlich stehen wir allen Veranstaltungen offen gegenüber und klären jeweils ab, was machbar ist», sagt Seiler. Für ein Rockkonzert gab es bis jetzt noch keine Anfrage.

Im Juni 2021 wurde die Kapelle Don Bosco im Untergeschoss des Kulturzentrums wiedereröffnet. Seitdem finden regelmässig Gottesdienste der Pfarrei Heiliggeist statt. Hier geht es zu den kommenden Veranstaltungen.   

Ein Wahrzeichen von Basel.

Ein Wahrzeichen von Basel. (Foto: Webseite)

Elisabethenkiche 

Die Elisabethenkirche wird schon seit 30 Jahren umgenutzt. Nach dem Abschluss der vierjährigen Aussenrenovation für 10 Millionen Franken 1994 ist die Kirche an den Verein Offene Kirche Elisabethen geliehen worden. Die erste City Church der Schweiz bietet «geistliche, kulturelle und soziale Angebote für alle Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder Religion» an.

Vermietet wird die Kirche für jegliche Art von Veranstaltungen: Hochzeiten, Tanzabende und Firmenfeiern. Auch Gault-Millau Köchin Tanja Grandits lädt im 2023 wieder zu einem Benefizdinner mit drei Gängen ein. In der von 1857 bis 1865 erbauten neugotischen Kirche am Klosterberg gibt es neben den vielen Kulturveranstaltungen immer noch jeden Sonntagabend um 17 Uhr Gottesdienste. Regelmässig auch Regenbogen-Gottesdienste von der Lesbischen und Schwulen Basiskirche Basel (LSBK).

Der Kirchenraum ist je nach Veranstaltung sehr variabel strukturierbar und kann bis zu 500 Personen eine Umgebung bieten. Die Mietpreise werden individuell angepasst, der Preis für eine öffentliche Veranstaltung ist mindestens 2’000 Franken aufwärts. Hier geht's zu den kommenden Veranstaltungen

Für viele Basler*innen ein schönes Zuhause.

Für viele Basler*innen ein schönes Zuhause. (Foto: Webseite)

Kirchenzentrum St. Christophorus

Das neue Kirchenzentrum St. Christophorus in Kleinhüningen wurde fast unbemerkt im Sommer 2021 eingeweiht. Doch das multifunktionale Zentrum mit 22 Alterswohnungen, zwei Kindergärten, 12 Mietwohnungen und einer Kapelle hat Seltenheitswert. Nicht weil die dunkle Fassade aus Klinker an das Bernoulli-Silo im Rheinhafen erinnert, sondern weil die baufällige St. Christophorus Kirche aus dem Jahr 1936 abgerissen und mit dem fünfstöckigen 20-Millionen-Franken-Projekt ersetzt wurde (siehe das Video zum Umbau unten).

Für die Römisch-Katholische Kirche Basel-Stadt ist das ein Meilenstein und zeigt Vertrauen in eine Zukunft der Kirche. Die 2.5 und 3.5-Zimmer Wohnungen  sind auf dem freien Markt beziehbar und der begrünte Innenhof frei zugänglich – so wird das Neue Kirchenzentrum St. Christophorus zu einem Quartierzentrum für alle Anwohner*innen, auch ungetaufte. Mehr solcher Projekte sind aktuell nicht geplant: «Die meisten anderen Kirchen der RKK-BS lassen einen Abriss oder einen radikalen Umbau wie an der Kleinhüningeranlage aus Denkmalschutz-Gründen nicht zu», sagt Mediensprecher Matthias Schmitz.       

In der Zukunft

Der Mitgliederschwund hat sein Ende noch nicht erreicht. Die aktuellen Kirchenmitglieder werden sich in den kommenden Jahren nochmals halbieren, so erwarten es die Kirchengemeinden in Basel. Und wie sieht die Zukunft aus? Gibt es weitere Umnutzungspläne? «Nein», sagt Matthias Zehnder, Informationsbeauftragter der ERK-BS*. Auch der Kommunikationsbeauftragte der Katholik*innen, Matthias Schmitz, sagt, «dass es derzeit keine weiteren Pläne für die Umnutzung von Kirchen in Basel gibt. Nur von kirchlichen Nebengebäuden sind verschiedene Projekte in Arbeit». 

Vielleicht finden wir als Gesellschaft auch wieder näher zueinander, wenn wir uns in Kirchen treffen. Auch wenn es nicht zu Gottesdienst und Gebet ist, sondern zu Musik und Tanz. 

*Matthias Zehnder ist ausserdem Co-Gründer und Präsident von Bajour.

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