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Geht das nicht billiger?

Herzstück steht S-Bahn-Ausbau im Weg

Vorschläge zu einem einfachen S-Bahnausbau haben politisch keine Chance – lieber wartet man auf die 9-Milliarden-Generalüberarbeitung des Bahnknotens Basel. Für günstigere Lösungen gebe es eine «Denkblockade», sagen Kritiker*innen.

11/16/22, 04:00 AM

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Reisende gelangen ueber die Rolltreppen in die Bahnhofshalle im Bahnhof SBB in Basel, am Montag, 16. Mai 2022. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Das Herzstück soll den Bahnhof SBB entlasten, eine Umsetzung dauert aber noch sehr lange. (Foto: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Wer heute mit der S-Bahn von Liestal nach Deutschland will, muss am Basler Bahnhof SBB umsteigen. Und das soll vorerst auch so bleiben, wenn es nach dem Basler Regierungsrat geht. In einer der nächsten Sitzungen im Dezember steht im Grossen Rat eine Direktverbindung von Liestal an den Badischen Bahnhof zur Debatte, doch die Regierung empfiehlt den Anzug zur «kurzfristigen Optimierung im Betrieb der Regio S-Bahn» abzuschreiben. 

Die Nachfrage für ein solches Projekt lohne sich in Anbetracht der Kosten nicht, argumentiert sie. Und ein Satz macht hellhörig: «Die Angebote wären nicht aufwärtskompatibel zum Herzstück der trinationalen S-Bahn Basel.» Sprich: Einen solchen Vorschlag könnte man nicht im Rahmen des grössten und ambitioniertesten Bahnprojekts der Region weiterentwickeln.

Doch diese Begründung ist für Expert*innen nicht schlüssig. Etwa für Marc Eschenbacher, der sechs Jahre lang Netzentwickler der SBB in der Region Basel war. Der heute unabhängige Verkehrsberater sagt: «Ich habe den Eindruck, dass die Regierung keine Unruhen in die bisherige Planung zum S-Bahnausbau bringen will und deshalb die Umsetzung einfacher Lösungen nicht vorantreibt.»

Das Herzstück

Die grossen Bahnhöfe Basel SBB, St.Johann und Badischer Bahnhof sollen durch Tunnel (die mitunter unter dem Rhein geführt werden sollen) miteinander verbunden werden. Das Ziel: Verbesserte Bahnhöfe, also auch kein Rush-Hour-Gedränge mehr am Bahnhof SBB – und neue Bahnstationen bei der Roche, bei Novartis und am Rhein, inmitten der Basler Altstadt. 

Die Vision steht seit Jahrzehnten, die Ausgestaltung wird ebenso lang wild diskutiert. Bis Mitte des Jahrhunderts soll das Herzstück existieren, so sieht es die Planung aktuell vor. Kostenrahmen laut Schätzungen des Bundesamts für Verkehr: 9 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Der Gotthard-Basistunnel hat 12,7 Milliarden Franken gekostet.

Tatsächlich ist die Direktverbindung Liestal–Badischer Bahnhof nicht die erste Vorlage, die abgeschmettert wird. Eschenbacher selbst hat eine Reihe Massnahmen entwickelt, mit denen sich aus seiner Sicht schnell und einfach das jetzige S-Bahn-Netz verbessern liesse, die Kosten lägen im niedrigen dreistelligen Millionenbereich, das Ganze wäre innert sieben Jahren umsetzbar, so Eschenbacher. Er beschreibt die Vorschläge als die tief hängen Äpfel, die sich einfach pflücken lassen. «Das Herzstück sitzt hingegen in der Baumkrone.»

Der frühere SVP-Grossrat Alexander Gröflin brachte das Optimierungsangebot für die S-Bahn in der Grenzregion 2020 in den Grossen Rat, doch ohne Chance. Das Hauptargument damals: Die Vorschläge könnten das Herzstück torpedieren. 

Laut Eschenbacher hat die Haltung System und er ist auch nicht der einzige, der Kritik am Herzstück formuliert. Auch Verkehrsplaner Philippe Oswald, der bis Anfang 2010 Verkehrsprojekte im Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt betreute, kritisierte das Herzstück immer wieder. In der BaZ bezeichnete er es als «überdimensioniert» und die Finanzierung als «problematisch».

Blockiert die Politik also günstige, einfache Lösungen, um ein Millionenprojekt zu schützen, dessen Nutzen umstritten ist?

Selbst Herzstück-Befürworter Michael Hug, LDP-Grossrat und Mitglied der Baukommission, formuliert es so: «Man will das Herzstück nicht torpedieren, deshalb gibt es bei Diskussionen zu ergänzendem ÖV-Ausbau quasi eine Denkblockade.»

Das Herzstück bezeichnet in der Bahntechnik die Schnittstelle einer Weiche. Sie ermöglicht das Splitting der Gleise und schafft eine Verdoppelung der Fahrtrichtungen. «Auf das Herzstück genannte Bahnprojekt trifft das nicht zu», sagt Beat Leuthardt.

Das Herzstück bezeichnet in der Bahntechnik die Schnittstelle einer Weiche. Sie ermöglicht das Splitting der Gleise und schafft eine Verdoppelung der Fahrtrichtungen. «Auf das Herzstück genannte Bahnprojekt trifft das nicht zu», sagt Beat Leuthardt. (Foto: zvg)

Dabei gäbe es durchaus Gründe, über alternative Vorschläge zumindest mal nachzudenken. Raphael Fuhrer, Verkehrsplaner an der ETH in Zürich und Verkehrspolitiker für die Grünen im Grossen Rat, und Florian Schreier, Geschäftsführer des Verkehrsclubs beider Basel, sehen durchaus Vorteile in Lösungen wie der Liestal-Badischer-Bahnhof-Verbindung und anderen Vorschlägen zu einem einfachen S-Bahn-Ausbau. 

Doch Florian Schreier sagt auch: «Solche Verbesserungsvorschläge auf dem bestehenden Netz bergen immer das Risiko, dass aus Übergangslösungen permanente Lösungen gemacht werden.» Ein einfacher S-Bahn-Ausbau könnte also durchaus das Herzstück gefährden.

Herzstück, l’intouchable

Und das will SP-Politiker Schreier nicht: Eine umfassende Entlastung, ein modernisiertes Netz und zukunftsfähige Bahnhöfe für mehr Kapazität, dafür brauche es eben doch die gigantische, teure Lösung, findet der regionale VCS-Chef. «Niemand will diesen teuren Tunnel bauen, nur weil’s lustig ist.». Gerade auch die Station Basel-Mitte sei wichtig. Die direkt im Zentrum der Innenstadt liegende Station ist ein USP des Herzstücks.

Doch auch diese Station zwischen Spiegelhof, Hauptpost und Schifflände ist umstritten. Paul Stopper, Verkehrsplaner, argumentiert beispielsweise, die Altstadt erreiche man ja schon heute gut mit dem Tram. Ob die Trams weiter gefördert oder rückgebaut werden sollen, ist ein mindestens ähnlich grosser Streitpunkt in der Basler Verkehrspolitik – der ehemalige Grünen-Grossrat Beat Leuthardt beispielsweise findet den Tram-Nahverkehr notwendig.

Einig ist man sich: Die Feinverteilung in der Stadt ist weiterhin gefordert. 70’000 Arbeitsplätze, rechnet Marc Eschenbacher vor, befinden sich zwischen St. Albanvorstadt, Lonza, Gundeli, Theater und Aeschenplatz – das Herzstück wird die Erreichbarkeit hier laut Eschenbacher nicht verbessern. Und wenn wir Basel City landwärts verlassen, werde die Feinverteilung sowieso noch wichtiger. Denn auch das Herzstück könne die Zersiedelung nicht aufhalten, wenn eben keine Park+Ride- und gute Busangebote mitgedacht werden. 

Auch der «einfache S-Bahnausbau» ist nicht so einfach

Die Kritik am Herzstück ist nicht neu, sie wurde in den letzten Jahren immer wieder geäussert. Mittlerweile ist der Zug für ein Umschwenken auf günstigere Lösungen vielleicht ganz abgefahren. Denn die Finanzierung und der Ausbau der Bahninfrastruktur liegt seit 2016 alleinig beim Bund. Dieser plant immer mit grosser Vorlaufzeit.

Die Region musste kämpfen, um die Projektierungskosten für die Planung Herzstück bis 2035 durch den Bund abzusichern, unter anderem mit einer überparteilichen Petition. Wenn man jetzt neue Mittel für zusätzliche Optimierungen des bestehenden Netzes fordern will, kommt deshalb erst der Zeitraum 2040 bis 2050 für die Realisierung infrage. Bis dahin soll es schon ein Herzstück geben. 

Herzstück hin oder her: Einige kurzfristigen Optimierungen sind doch geplant: So sollen bis 2030 die Stationen Morgartenring und Solitude in Betrieb gehen, welche für Pendler*innen aus Allschwil und zur Roche wichtig sind. Nach Aesch und Liestal soll es Viertelstundentakte ab Basel SBB geben.

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