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Fertig Auto-Schonklima

Ein Start ist gemacht – jetzt drohen der Klimapolitik harte Fronten

Bis 2037 soll Basel klimaneutral werden. Zwar weiss die Regierung noch nicht, wie das gehen soll. Aber eins ist klar: Benziner und Diesel müssen von den Strassen. Am Auto drohen sich die Klima-Fronten zu verhärten. Rettet uns der Elektro-Verkehr?

11/29/22, 04:00 AM

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Das Verbrennungsmotoren-Verbot per 2050 ist schon wieder überholt.

Das Verbrennungsmotoren-Verbot per 2050 ist schon wieder überholt. (Foto: giphy)

«Es ist ein sehr ambitionierter und sinnvoller Entscheid – und er ist realistisch, wenn man sich sehr anstrengt», sagt Stefan Kessler vom Beratungsbüro Infras zur Klimagerechtigkeits-Abstimmung. Kessler und sein Team erstellten für den Regierungsrat den Bericht «Netto-Null Treibhausgas-Emissionen Kanton Basel-Stadt», auf dessen Grundlage die Diskussion vor der Abstimmung geführt wurde. Sie kennen die Basler Klima-Eckdaten also genauestens.

Der Infras-Bericht gelangte zum Ergebnis, dass Basel bereits in vielen Bereichen gut unterwegs sei: Sei es mit dem Fernwärmeausbau, dem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen Heizöl und Erdgas oder im Gebäudebereich.

Der grosse Politikbereich, der bisher von der Klimaschutzdebatte ausgenommen war, ist der Verkehr. Zwar hat Basel-Stadt Verbrennungsmotoren ab 2050 verboten. Aber das Ziel ist jetzt schon wieder überholt. Und Autos und Lastwagen werden immer energieeffizienter, doch gleichzeitig steigt ihre Zahl.

Kommt dazu, dass viele Familien aus Basel in ein Häuschen ins Baselbiet wegziehen, oder ins Solothurnische, wo noch günstige Grundstücke zu haben sind, und weiterhin in Basel arbeiten und mit dem Auto pendeln – so verschwindet das Fahrzeug aus der Basler Statistik, aber nicht von den Strassen. Verschärfend tritt hinzu: Eine für den Klimaschutz unerwartete Folge der Corona-Pandemie ist, dass das Auto wieder genau so viel gebraucht wird wie vorher. Die Emissionen aus dem Verkehr sind wieder auf dem Vor-Corona-Niveau.

Frage des Tages

Frage des Tages

Basel-Stadt steckt sich das ambitionierteste Klimaziel der Schweiz. Was heisst das für Basler Autobesitzer*innen? Verkaufen? Zum E-Auto wechseln? Oder einfach abwarten?

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Der Experte bestätigt das Verkehrs-Klimaschutzproblem. Stefan Kessler von Infras sagt: «Im Bereich Mobilität hat sich in letzter Zeit sehr wenig bewegt.» Hier wäre laut Kessler zwar einiges möglich, aber «diese Massnahmen besitzen wenig Akzeptanz». Mit anderen Worten: Sobald es um das Auto geht, herrscht politisch eine scharfe Auseinandersetzung.

Bis heute haben es weder Lenkungsabgaben auf Treibstoffe geschafft, die Klimabilanz des Verkehrs zu verbessern; noch die Verlagerung auf den ÖV, Versuche mit Road Pricing, Congestion Charge oder Carsharing. Bereits am Sonntag warnte der Gewerbeverband Basel-Stadt vor «Verbotsmassnahmen» und gegenüber dem Regionaljournal Basel sagte SVP-Grossrat Beat K. Schaller: «Ich kann nur hoffen, das ist mein Appell an Rot-Grün, dass sie mit diesem Auftrag mit Augenmass umgehen.»

Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel, votiert gegenüber Bajour für pragmatische Lösungen: «Neue, emissionsarme Antriebsformen helfen uns, ideologische Gräben zu überwinden, um Mobilität zu ermöglichen», so Dätwyler. «Für uns steht fest, dass eine zukunftsfähige Mobilität leistungsfähig, kosteneffizient, klima- und umweltverträglich sowie nachfragegerecht ausgestaltet sein muss.»

Wie viel Strom braucht E-Mobilität?

von Stefan Schuppli

Eine technische Hypothese wird derzeit oft diskutiert: Durch die Elektrifizierung des Privatverkehrs steige der Stromverbrauch rasant an. Zudem werde die Netzstabilität gefährdet, wenn alle schnell laden wollen. 

Murat Aydemir, der sich als Leiter Industrie der Firma GETEC im Areal Schweizerhalle intensiv mit Photovoltaik und Stromverbrauch auseinandersetzt, hält dagegen. «Stimmt nicht. Wenn ein E-Auto eine Schnellladung macht, dann braucht man viel Strom, aber die Zeit ist sehr gering. Ein Auto kann man in einer Stunde für 400 Kilometer laden. Aber Sie fahren ja pro Tag nicht 400 km. Und diese hängen nicht alle gleichzeitig am Netz.» Der Gleichzeitigkeitsfaktor liege meistens  bei 5 Prozent. 

Überdies versuche man ja Klimaziele zu erreichen. «Ein Elektroauto stösst kein CO2 aus und ist in einem Benzin-Äquivalent-Vergleich von 1,2 bis 2 Liter/100km sieben bis achtmal effizienter.»

Noch besser schneiden E-Bikes ab. «Die Masse, die sie bewegen, ist viel geringer. Eine E-Bike-Batterie ist hundert mal kleiner als eine E-Auto-Batterie. Der Energieverbrauch ist vernachlässigbar», sagt der Energiepraktiker.

Wenn viele Autos gleichzeitig geladen werden sollten, dann brauche es einen Pufferspeicher, eine Grossbatterie. Diese sorge für Netzstabilität. Solche Grossbatterien, mit denen auch Schnellladungen möglich seien, haben heute die Grösse eines Containers. Mit einem solchen Batteriecontainer, der eine Kapazität von 4 MWh umfasst, könne man 40 E-Autos laden, ohne das Netz zu überlasten. Damit werde im Übrigen auch die Stromversorgung dezentraler.

Der Anstieg des Stromkonsums, der von der E-Mobilität verursacht wird, bewegt sich in den kommenden 28 Jahren um insgesamt 10 bis 20 Prozent. Aydemir hat ein Beispiel durchgerechnet: Wenn 50 Prozent aller Personenwagen elektrisch werden und alle pro Jahr 20’000 km fahren, braucht die Schweiz dazu 7,52 TWh Strom, das sind 13 Prozent mehr. Zum Vergleich: Bis 2050 möchte die Schweiz 34 TWh Strom photovoltaisch produzieren.

Auf der anderen Seite gibt es klare Ansagen: Florian Schreier, Geschäftsführer VCS beider Basel, angefragt von Bajour für die «Frage des Tages» schreibt: «Einfach gesagt: Wir müssen uns sicher von der heutigen Menge von Autos im Privatbesitz verabschieden. Die Autos, die es dann noch gibt, werden geteilt und sie werden elektrisch fahren.» Und wenn man dann für eine spezifische Anforderung das Auto noch braucht, kann man eines ausleihen. Für gewisse Aufgaben wird das Gewerbe weiterhin Autos brauchen, aber auch dort werden es sicher elektrisch angetriebene sein.»

Am Montag nach der Basler Klimaschutzabstimmung ist klar, das Schonklima für Klimaschutzfragen weicht knallharter Interessenspolitik der politischen Lager, der kein Sonntagsspaziergang zu werden verspricht – dass sich der Basler Regierungsrat bisher vor Festlegungen drückte, macht es nicht einfacher.

Während er mit dem «Energiekonzept beider Basel» oder dem «Luftreinhalteplan beider Basel» in den 80er- und 90er-Jahren jeweils Nägeln mit Köpfen machte, drückte er sich in diesem Fall zunächst vor politischen Festlegungen und delegierte die Debatte an die Expert*innen und die Stimmbevölkerung. Jetzt muss er einen Weg aufzeigen.

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