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Revision des Sexualstrafrechts

Ständerat: Hort der alten weissen Männer

Der Nationalrat spricht sich für die Zustimmungslösung «Nur Ja ist Ja» aus. Gemäss der Politologin Cloé Jans steht nun der Ständerat unter hohem Druck aus der Bevölkerung.

12/06/22, 05:32 PM

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Unterwaesche haengt an einer Waescheleine, waehrend einer Aktion zur Petition "Nur Ja heisst Ja", am Montag, 30. Mai 2022 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Zustimmungs- oder Widerspruchslösung? Diese Aktion spricht sich klar für «Nur Ja heisst Ja» aus. (Foto: KEYSTONE / PETER KLAUNZER)

Eine weitere Hürde im Langstreckenlauf zur Reform des Sexualstrafrechts ist überwunden: Aufgrund eines Schulterschlusses von Grünen, SP und GLP stimmte der Nationalrat am Montag mit 99 zu 88 Stimmen für die Zustimmungslösung «Nur Ja ist Ja». Damit positioniert er sich anders als der Ständerat, der sich im Juni für die Widerspruchslösung aussprach. Nun geht das Geschäft zurück an den Ständerat. 

Zustimmungs- vs. Widerspruchslösung

Nach aktuell geltendem Gesetz können nur «Personen weiblichen Geschlechts» vergewaltigt werden. Die Revision sieht eine Ausweitung des Vergewaltigungsbegriffs auf jede Form von vaginaler und analer Penetration sowie erzwungenen Oralverkehr vor. Nötigung, also psychische oder physische Gewalt, soll nicht mehr als Voraussetzung für eine Vergewaltigung gelten.

Umstritten ist die Ausformulierung des neuen Sexualstrafrechts. Der Bundesrat und der Ständerat befürworten das Nein-heisst-Nein-Prinzip. Eine Vergewaltigung begeht demnach, wer gegen den Willen einer Person den Beischlaf, oder eine «beischlafsähnliche Handlung» vornimmt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist. Die Ja-heisst-Ja-Lösung fordert eine Einwilligung der Sexualpartner*innen. 

«Ständerat, zieh nach!», fordert nun Beat John, Geschäftsleiter der Opferhilfe beider Basel bei unserer heutigen Frage des Tages. «Konsens ist in allen Lebensbereichen die Basis des Handelns.» Auch die grosse Mehrheit der Bajour-Leser*innen spricht sich für «Nur Ja ist Ja» aus. Zurückhaltend äussert sich dagegen die Mitte-Grossrätin Andrea Strahm. Sie sagt, als Juristin müsse sie sich fast für die Widerspruchslösung aussprechen, «weil ich nämlich nicht glaube, dass ‹Ja heisst Ja› den Opfern hilft, wenn es um eine Verurteilung geht». Strahm argumentiert, am Schluss sei es vor allem eine Beweisfrage und mit dem Grundsatz «in dubio pro reo» werde das vor Gericht sehr schwierig. 

Wird der Ständerat nun nachziehen müssen? Das haben wir Cloé Jans gefragt. Sie ist Politologin und Leiterin operatives Geschäft beim gfs Bern. Das Politikforschungsinstitut befasst sich mit Fragen der Schweizer Politik und hat dieses Jahr in Zusammenarbeit mit Amnesty International eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zur Wahrnehmung sexueller Beziehungen und Gewalt durchgeführt.

Politologin Cloé Jans.

Politologin Cloé Jans. (Foto: zvg)

Frau Jans, der Nationalrat findet: «Nur Ja heisst Ja». Dem Ständerat reicht ein «Nein heisst Nein». Wie ordnen Sie diese Differenz ein?

Der Ständerat wird im Majorz gewählt und ist generell etwas konservativer. Das ist eine strukturelle Frage.

Also auch ein bisschen der Hort von alten weissen Männern?

Ja, in der Tendenz. Das darf man, glaube ich, schon so sagen. Aber es ist auch der Rat, der weniger polarisiert und wo die Politiker*innen viel Erfahrung haben. Es ist auch der letzte Stopp auf der Ochsentour, wenn man in den Bundesrat will.

Und der Nationalrat? 

Dieser wird im Proporz gewählt als Vertretung vom Volk und ist tendenziell progressiver oder offener für solche Fragen. Im Moment sind SVP und FDP – bei denen viele für die Widerspruchslösung votiert haben – im Nationalrat noch in der Minderheit und es hat auch mehr Frauen. Diese haben relativ geschlossen für die Zustimmungslösung gestimmt.

Heisst das: Bürgerliche Frauen haben für Ja heisst Ja gestimmt?

Ja, für Nein heisst Nein waren im Nationalrat vor allem SVP- und FDP-Männer.

Am Anfang sah es aber so aus, als könnte es im Nationalrat auch eine grössere Unterstützung für die Widerspruchslösung geben, oder nicht?

Das Nein im Ständerat hat die Befürworter*innen der Zustimmungslösung mobilisiert. Und die Kampagne hat sehr viel bewirkt in den letzten Wochen und Monaten. Den Politiker*innen wurde immer und immer wieder gesagt, dass die Zustimmungslösung der beste Weg ist, Opfer von sexueller Gewalt zu schützen. Die Message war: «Wenn ihr wirklich etwas für die Opfer tun wollt, dann müsst ihr jetzt hören und den Habitus des alten weissen Mannes verlassen.»

Gemäss Ihrer Befragung spricht sich auch die Bevölkerung für die Zustimmungslösung aus. Nun geht das Geschäft zurück in den Ständerat. Hält das Stöckli an seiner Position fest?

Es ist natürlich schwierig, vorauszusagen, was passiert. Klar ist aber, dass der Ständerat jetzt unter genauer Beobachtung und unter hohem Druck steht. Jetzt hat der Nationalrat für die Zustimmungslösung gestimmt und zwar nicht nur entlang der Parteigrenzen, sondern auch entlang der Geschlechter. Da muss man sich jetzt schon sehr gut rechtfertigen, wenn man bei Nein ist Nein bleibt.

Ist es ungewöhnlich, dass die Öffentlichkeit den Räten so genau auf die Finger schaut?

Es gibt immer wieder solche Dossiers, aber ich würde schon sagen, dass die Aufmerksamkeit in diesem Fall aussergewöhnlich hoch ist. 

An was liegt das?

Das Thema ist extrem zeitgemäss, es geht um Gleichberechtigung, me too, Frauen und Männer. Man könnte sagen, es ist ein progressives Thema, das stark durch Junge geprägt ist.

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