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Verbote als Chance

«Verbote sind nicht per se etwas Schlechtes»

In der Energiekrise wird viel über Verzicht und Verbote gesprochen. Weshalb die Wahrnehmung von Verboten als Eingriff in die persönliche Freiheit sinnvolle Regulierungen verhindert und was es jetzt braucht, um langfristig aus der Energiekrise rauszukommen, erklärt Felix Nipkow von der Schweizerischen Energie-Stiftung im Gespräch mit Roxane Steiger von P.S.

12/19/22, 03:58 PM

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Felix Nipkow beschäftigt sich bei der Schweizerischen Energie-Stiftung mit Fragen der Energiesuffizienz.

Felix Nipkow beschäftigt sich bei der Schweizerischen Energie-Stiftung mit Fragen der Energiesuffizienz. (Foto: THOMAS EGLI)

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In Zusammenhang mit der Energiekrise wird wie zum Beispiel in der Kampagne des Bundes an den individuellen Verzicht appelliert. Weshalb? 

Felix Nipkow: Das ist vielleicht der Fantasielosigkeit geschuldet, was es alles an politischen Massnahmen gäbe, um Anreize für das Energiesparen zu setzen. In Ihrer Frage sind Sie auf den Verzicht eingegangen. Eines der Grundprobleme ist, dass man immer Verzicht im Kopf hat, wenn man vom Energiesparen spricht, anstatt, dass man auch die Vorteile eines geringeren Energiekonsums sehen würde. Die Vorteile beziehen sich dabei nicht ausschliesslich auf den Energiebedarf, sondern auch auf den Alltag der Menschen. 

Der Ökonom und Politologe Philipp Lepenies zeigt in seinem Buch «Verbot und Verzicht» auf, dass Verzicht zu einer liberalen Gesellschaft als Bürgerpflicht gehört. Können Sie das ausführen?

Lepenies spricht in seinem Buch über eine Kultur, in der Verzicht und Verbote – gerade in die Konsumfreiheit – als Eingriff in die persönliche Freiheit wahrgenommen werden. Es gilt als total verpönt, von Regierungsseite Verbote zu erlassen oder Anreize für Verzicht in die Politik einzubringen. Er prangert diese Kultur an und sagt, dass die Folge davon sei, dass sinnvolle Regulierungen verhindert werden. Natürlich sind solche Regulierungen nicht das einzige, was wir brauchen, aber sie sind ein wichtiger Teil, um mit den verschiedenen Krisen umzugehen, in denen wir heute stecken. Wir müssen also einen Diskurs über Verbot und Verzicht führen, um aufzuzeigen, dass Verbote nicht zwangsläufig einen Eingriff in die persönliche Freiheit bedeuten. Oftmals handelt es sich bei Regulierungen darum, die Freiheit der Gesellschaft zu optimieren. Deshalb soll gemäss Professor Lepenies der Staat nicht als Gegner wahrgenommen werden, sondern wir sollten uns in einer funktionierenden Demokratie als Teil des Staates fühlen.

Worauf müssen wir als Individuen angesichts der Energiekrise denn konkret verzichten?

Im Moment scheint es mir, dass es keinen Verzicht braucht, und es wird auch kaum verzichtet. Wenn der Bund in seiner Kampagne sagt, wir sollten weniger heizen, dann kann man das als Aufruf zum Verzicht empfinden. Gleichzeitig kann man diese Interpretation auch umkehren. In einer weniger überhitzten Wohnung hat man eine höhere Luftfeuchtigkeit. Dadurch wird man weniger krank, da die Schleimhäute weniger austrocknen. Das kann man auch als Gewinn sehen. Zudem ist es nicht so, als hätte der Staat tatsächliche Verbote erlassen. Bisher gibt es im Zusammenhang mit der Energiekrise also keinen Verzicht und keine Verbote. 

Aber gäbe es Verbote, die jetzt auf individueller Ebene sinnvoll wären? 

Absolut. Auf der individuellen Ebene ist immer die Frage, welche Art von Verzicht genau gemeint ist. Es gibt die Möglichkeit, zu freiwilligem Verzicht aufzurufen. Mit Ihrer Frage beziehen Sie sich auf Verzichtsvarianten wie zum Beispiel, dass keine Pools mehr geheizt oder keine Weihnachtsbeleuchtung an privaten Balkonen angebracht werden dürfen. Da gibt es eine ganze Reihe an sinnvollen Massnahmen, die man sich überlegen könnte. Allerdings weniger angesichts der Energiekrise, die uns diesen Winter bevorsteht, sondern vor allem längerfristig. Es gibt Unmengen an verschwendeter Energie, die man mit einfachen Verboten massiv einsparen könnte. Ein Beispiel sind extrem grosse Autos. Diese verbrauchen zu viel Energie. Hierzu könnte man ganz einfach strengere Grenzwerte für den Verbrauch von Autos einführen, was de facto einem Verbot von Spritfressern entspräche.   

Ich habe das Gefühl, dass oft nur vom privaten Konsum gesprochen sind. Doch haben wir in der Schweiz nicht viele Hebel, die struktureller Natur sind, mit denen unser Energieverbrauch deutlich reduziert werden könnte?

Die Frage ist, was man unter strukturell versteht. Befindet sich das Beispiel mit den Autos auf individueller oder struktureller Ebene?  

Ich würde als Beispiel die Industrie nennen. Also einen Sektor, auf den wir alle für unsere Grundversorgung angewiesen sind.

Da gibt es auch ziemlich viel Potenzial. Man konnte lesen, dass die Wirtschaft, motiviert durch die hohen Preise, viel Gas einsparen konnte. Man hat also ein Sparpotenzial gefunden und umgesetzt, ohne die Produktion zu vermindern. Die Frage ist auch, was unsere Wirtschaft leisten soll, damit sie uns etwas bringt. In meinen Augen werden extrem viele Sachen produziert, die das Wohlbefinden der Gesellschaft nicht verbessern und auf die man verzichten könnte. Die Frage ist, wie man hinbekommt, dass auf diese Sachen verzichtet wird. Erreicht man dies mit einem Werbeverbot? Das ist eine Massnahme, die der Klimastreik vor zwei Jahren schon in die Diskussion eingebracht hat. Oder mit einem Verbot von Single-Use-Produkten? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man da politisch handeln könnte. 

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Man spricht im Zusammenhang von Klima und Energie auch oft von Anreizmechanismen. Diese scheinen aber nicht zu greifen. Funktionieren nur Verbote und Regulierungen in Situationen, in denen das Verhalten von allen zählt? 

Nein, es könnten durchaus beide Varianten funktionieren. Lenkungsabgaben sind zum Beispiel sehr gut geeignet, um Anreize zu setzen. Man müsste sie aber so gestalten, dass die Anreize gross genug sind, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. In der Vergangenheit hat man Lenkungsabgaben oftmals so ausgestaltet, dass deren Wirkung sehr gering war. Es wurde mit tiefen Abgabesätzen nur wenig Geld generiert, das entweder rückverteilt oder für die Gebäudesanierung eingesetzt werden konnte. Trotzdem werden aber in der Schweiz immer noch zu wenig Gebäude saniert. Mit einem höheren Abgabesatz könnte man hier viel mehr herausholen, mehr Anreize zum Sanieren – und mehr Geld dafür. Das zeigt eigentlich auch das Dilemma auf: ökonomische Anreize werden politisch bevorzugt, aber man schafft es nicht, sie so auszugestalten, dass die gewünschte Wirkung eintrifft. Bei den Verboten ist es noch schlimmer. Dort bringt man es gar nicht hin, sie zu erlassen. Das beschreibt auch Herr Lepenies in seinem Buch: Man will auf keinen Fall verbieten und verzichten, sondern in jedem Fall die persönliche Konsumfreiheit maximieren. Auf wessen Kosten das geht, wird in der Debatte ausgeblendet. 

Wie Sie sagen, ist der Begriff Verbotspolitik sehr negativ konnotiert. In vielen Debatten ist er quasi ein Totschlagargument. Ist das einfach eine sehr tief sitzende ideologische Prägung?

Ja, ich sehe keinen anderen Grund. Heute gibt es ja schon viele Verbote in unserer Gesellschaft. Verbote sind nicht per se etwas Schlechtes. Es ist verboten, schneller zu fahren, als auf entsprechenden Strassen erlaubt ist. Es ist verboten, Diebstahl oder Sachschaden zu begehen. Mit diesen Verboten sind alle einverstanden. Bei neuen Verboten ist man irgendwie in einer Blockade angekommen. Verbote scheinen als etwas grundsätzlich Schlechtes zu gelten. Es wäre interessant, diesen Diskurs aufzubrechen und zu diskutieren, welche Verbote Sinn machen und dem Gesamtwohl dienen.  

Wie können wir denn einen langfristigen und nachhaltigen Umgang mit Energie gestalten?

Grundsätzlich gibt es drei Säulen, die wir beachten müssen. Die erste betrifft die Frage, woher die Energie kommt. Das ist klar: Sie muss erneuerbar sein. Die zweite ist: Wie setzen wir die Energie effizient ein? Das heisst, wir benutzen zum Beispiel für die Beleuchtung LED und keine Glühbirnen. Das heisst dort, wo wir Licht brauchen, erzeugen wir dieses mit möglichst wenig Energie. Das Dritte betrifft die Energiesuffizienz. Hier gehen wir der Frage nach, wo Energieverbrauch überhaupt sinnvoll und notwendig ist. Licht in einem Raum zu haben, in dem ich gar nicht drin bin, ergibt keinen Sinn. Dasselbe gilt zum Beispiel für Schaufensterbeleuchtungen in der Nacht. Es gibt zahlreiche Beispiele auch ausserhalb des privaten Bereichs, wo Licht verschwendet wird. Und natürlich wird auch beim Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie immer noch viel Energie verschwendet für Sachen, die niemandem etwas nützen.

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Sie haben ganz am Anfang die Vorteile eines geringeren Energiekonsums auf unser aller Alltag angesprochen. Nun möchte ich darauf zurückkommen: Können wir auch mit weniger Energie gleich gut oder besser leben? 

Ein Beispiel, das mir da sofort einfällt, ist der Verkehr. Oftmals ist die Meinung, dass Verkehr etwas Gutes ist, das uns Mobilität und Bewegung bringt. Das ist gerade in den Städten gar nicht wahr. Wenn wir keine Autos in den Innenstädten hätten, hätten wir mehr Mobilität, da wir mehr Möglichkeiten hätten, uns frei zu bewegen. Zum Beispiel auch für Kinder: Es hat mir auch bei meinen eigenen Kindern Eindruck gemacht, wie sehr man sie da­rauf dressieren muss, sich im Verkehr so zu bewegen, dass es für sie nicht lebensgefährlich ist. Das schränkt sie in ihrer Mobilität extrem ein. Indem man also gewisse Verhaltensweisen einschränkt, könnte man viel mehr Freiheiten gewinnen.  

Momentan wird viel vom Heizen gesprochen. Wie sieht es in diesem Bereich aus? 

Heizen ist etwas sehr Individuelles. Es ist zum Beispiel nachgewiesen, dass ältere Menschen einen höheren Wärmebedarf haben als jüngere Menschen. Eine absolute Temperatur im Wohnzimmer von 19 Grad vorzuschreiben, ist in meinen Augen weder sinnvoll noch fair. In einer WG mit StudentInnen, in der praktisch nur zum Schlafen jemand zu Hause ist, ist es wenig sinnvoll, auf 21 Grad zu heizen. Gleichzeitig würde es in einem Altersheim keinen Sinn ergeben, nur auf 18 Grad zu heizen. Jede Person muss für sich selbst beantworten, wie viel Wärme sie braucht.

Deshalb würde ich beim Heizen eher beim Betrieb ohne Nutzen anfangen. Das heisst, dass Räume, in denen man sich selten oder nie aufhält, grundsätzlich weniger geheizt sein sollten. Im Homeoffice kann ich nicht bei 17 Grad arbeiten, sonst fallen mir die Hände beim Tippen ab. Im Schlafzimmer reichen aber 16 Grad locker aus, da ich im Schlaf unter meiner warmen Decke nicht viel Wärme brauche. Schliesslich müssen wir selbstverständlich mit erneuerbaren Energien
heizen.

Als Laie ist es schwierig einzuschätzen, wo wir gerade in der Energiekrise stehen. Wie tief sind wir drin und was müssen wir jetzt tun, um nicht noch tiefer hineinzuschlittern?

Man spricht sehr häufig vom Winter, der jetzt kommt und der drohenden Gasknappheit aufgrund der russischen Gaspolitik. In diesem Bereich hat sich die Situation tendenziell entspannt. Die Speicher sind einigermassen gefüllt und es droht kein akuter Mangel. Das ist aber auch eine sehr volatile Geschichte, die sehr politisch und schwer abzuschätzen ist. Nicht untergehen sollte in der Diskussion allerdings die längerfristige Perspektive. Wir stecken mit unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die schwierig zu beschaffen sind und die Klimakrise befeuern, sehr tief in der Krise drin. Dort bräuchten wir dringend Lösungen, die eigentlich schon lange vorhanden sind. Die Politik macht einfach nicht schnell genug vorwärts, um diese umzusetzen – und das seit Jahrzehnten. Seit ich geboren bin, kennt man den Begriff des Klimawandels und weiss, dass CO2 diesen antreibt. Man ist aber immer noch nicht so weit, dass man ernsthaft dagegen vorgeht. Dass dort eine Handlungsblockade vorliegt, bereitet mir grosse Sorgen. Um gleichzeitig ein wenig versöhnlicher zu wirken: Ich glaube, das Problem kommt langsam in der Politik an. Gerade seit dem russischen Krieg in der Ukraine hat man gemerkt, dass diese Abhängigkeit der fossilen Energien für ein Land wie die Schweiz eine sehr existenzielle Bedrohung sein kann. Dank den erneuerbaren Energien, Energiesuffzienz und -effizienz können wir rasch davon wegkommen. 

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