«Mahnwachen sind nun mal keine Demonstrationen»

287 Demonstrationen zählte die Polizei 2022. Bürgerliche fühlen sich in ihrer Kritik («immer mehr Demos») bestätigt. Ein zweiter Blick zeigt: Bei den meisten Demos handelt es sich um Standkundgebungen.

Krieg in der Ukraine Demonstration Basel
Demozüge wie diesen gegen den Krieg in der Ukraine gab es 69 Mal im Jahr 2022. (Bild: Eleni Kougionis)

Zum ersten Mal veröffentlicht die Basler Polizei eine Demostatistik. Die Bilanz: 287 Demonstrationen, 188 davon bewilligt. Das tönt nach viel, nach sehr viel sogar, wenn man die mitgelieferte Grafik anschaut: Sie zeigt einen linearen Anstieg bei den Demonstrationen seit 2015.

Demonstrationsstatistik 2022
Demonstrationsstatistik 2015–2022 (Bild: Kantonspolizei Basel-Stadt)

Entsprechend empört sind einige der Reaktionen in der Diskussion auf Bajour.ch. Für das Gewerbe sei die «stetige Zunahme (...) besorgniserregend», heisst es zum Beispiel beim Gewerbeverband. «Immer mehr Kundinnen und Kunden haben Angst, in eine Demo zu geraten und meiden deswegen die Innerstadt», sagt Direktor Reto Baumgartner.

Gar keine Freude an der Diskussion hat Leser Martin Rodewald. Seine Kritik geht an Bajour. Und an die Polizei. Deren Grafik verwende falsche Begriffe. Denn: Die Polizei rechnet auch Standaktionen und Mahnwachen zu den Demonstrationen, obwohl Aktivist*innen bei ersteren an einem Ort bleiben, während sie bei zweiterem durch die Stadt ziehen. Rodewald ist sich sicher: Standaktionen und Mahnwachen «bringen meines Erachten auch keinen Polizeieinsatz mit sich». Er bittet deshalb darum, differenziert zu informieren.

Martin Rodewald
Martin Rodewald bittet um mehr Differenzierung.

Ay, ay. Bajour hat die Daten daher aufgeschlüsselt und eine neue Grafik erstellt.

Bittesehr:

Nach Rodewalds Lesart handelt es sich nur bei und 69 Kundgebungen um «richtige Demonstrationen», das entspricht rund einem Viertel. Der grosse Rest sind Standkundgebungen (165) und Mahnwachen (53).

Warum wirft die Polizei alle drei Kategorien in einen Topf? 

Polizeisprecher Rooven Brucker erklärt am Telefon: «Wir fassen die Kategorien so zusammen, weil das Bewilligungsverfahren und unser Arbeitsablauf bei allen drei Kategorien gleich ist.» 

Brucker räumt allerdings ein, dass es beim Polizeiaufwand Unterschiede geben könnte: «Man kann wahrscheinlich sagen, dass Mahnwachen im Normalfall am wenigsten Einsätze unsererseits erfordern.» Es komme aber immer auf den Einzelfall darauf an «und da kann es durchaus zu einem Einsatz bei einer Mahnwache oder einer Standkundgebung kommen».

Stören denn Standkundgebungen und Mahnwachen die Drämmli und die flanierende Bevölkerung gleichermassen wie Demozüge? Man könnte sich beispielsweise vorstellen, dass der Tramverkehr durch Mahnwachen an Ort und Stelle weniger beeinträchtigt wird als eine Gruppe, welche die Clarastrasse entlang marschiert. 

«Im Normalfall sind es die Demonstrationen, die den Verkehr am meisten stören», erklärt Brucker. «Gerade bewilligte Standkundgebungen und Mahnwachen finden eher an Standorten ohne hohes Verkehrsaufkommen statt.» Zum Wohlbefinden der Bevölkerung oder der Gewerbetreibenden kann der Polizeisprecher sich allerdings nicht äussern: «Es ist nicht unsere Aufgabe zu beurteilen, wer sich wie gestört fühlt.»

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Michelle Isler

Das ist Michelle (sie/ihr):

Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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