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Arbeit und Sinnsuche

«Alle erwarten, dass man etwas Erfüllendes macht»

Ist deine Arbeit sinnvoll? Sind die Jungen nicht mehr bereit zum Ackern um des Ackerns Willen? Eine Sinnsuche auf dem Basler Marktplatz zwischen Strassenmusik, IV-Rente und Brezel-Kostümen.

Shania Siracusa

01/26/23, 04:51 PM

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Wer den ganzen Nachmittag als Brezel verkleidet auf dem Basler Märtplatz steht und Gutscheine an Passant*innen verteilt, hat viel Zeit, über die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit nachzudenken. So wie Leandro.

Brezel ist sein Brotjob: Leandro.

Brezel ist sein Brotjob: Leandro. (Foto: David Rutschmann)

Leandro kann sich den Wortwitz nicht verkneifen: «Das hier ist nur mein Brotjob.» Eigentlich studiert der 31-Jährige Germanistik und Geschichte. Lehrer*innen, Journalist*innen – das seien für ihn sinnvolle Berufe. «Aber man muss seinen Lebenssinn nicht zwingend in der Arbeit suchen. Ich denke, es ist wichtig, einen guten Arbeitgeber zu haben.»

Eigentlich Maskenbildnerin: Elisha

Eigentlich Maskenbildnerin: Elisha (Foto: Shania Siracusa)

Auch für seine Arbeitskollegin Elisha ist das Gutscheineverteilen nur ein Aushilfsjob. Gelernt hat die 23-Jährige Maskenbildnerin. Doch die Filmindustrie in der Schweiz ist klein, Elisha hat nicht wirklich Erfahrung in dem Job. «Keine Ahnung, ob er mich zu 100 Prozent erfüllen würde.»

Sie findet Berufe wichtig, die unsere Gesellschaft am Laufen halten, aber eben nicht wirklich Anerkennung erhalten. Zum Beispiel die vom Abfalldienst. Aber auch Vollzeitmamis würden völlig unterschätzt werden.

Christine ist gerne Hebamme.

Christine ist gerne Hebamme. (Foto: Shania Siracusa)

Wer an Vollzeitmamis denkt, muss auch an Hebammen denken. Christine übt diesen Beruf aus, die 31-Jährige sieht ihn als sehr sinnvoll an: «Wenn ich morgen nicht zur Arbeit gehe, dann geht es einer gebärenden Frau schlechter.» Wenn aus Arbeit Mehrwert entstehe, dann sei sie sinnvoll. 

Wann bringt Arbeit einen Mehrwert? Martin hadert mit der Frage, sie ist für ihn unlösbar. «Ich konnte sie mein ganzes Leben noch nicht beantworten», sagt der 47-Jährige. Seine Arbeit im Computer-Support liess ihn immer wieder am Sinn des eigenen Jobs zweifeln – dabei war er doch eigentlich für ein Pharmaunternehmen tätig und war also quasi ein kleines Rädchen in einer Maschine, die Sinn stiftet. In der Technik-Welt habe er sich aber nicht wohl gefühlt, letztlich «flüchtete» er sich in die IV-Rente, wie er selbst sagt.

Was denkst Du?

Was denkst Du?

Was ist Dir am Wichtigsten in der modernen Arbeitswelt? Geld? Karriere? Eine gesunde Work-Life-Balance? Oder eben eine als sinnvoll empfundene Tätigkeit. In unserer «Frage des Tages» wollen wir mehr erfahren über Arbeit und Leben, Sinn und Ambition. Erzähl uns von deiner Auffassung.

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Andreas ist ebenfalls bereits pensioniert, dennoch empfand er seine Arbeit als Geschäftsleiter in der Möbelbranche als sinnstiftend: Er habe nützliche Gebrauchsgegenstände verkauft, habe andere damit inspirieren können. 

Der 61-Jährige hat den Eindruck, gerade die jüngere Generation habe einen anderen Blick auf die Arbeitswelt als seine das hatte. «Ich glaube, sie sehen eher skeptisch, wo wir als Gesellschaft stehen und wollen es ihren Kindern einfacher gestalten. Deswegen setzen sie mehr auf Erfüllung und nicht auf das Geld.»

Diesen Tenor hat auch ein Essay in der BaZ, welcher vom geänderten Sinn der Arbeit bei der Jugend handelt. Doch stimmt das wirklich? Sehen Jugendliche die Arbeit so anders?

«Wer seinen Beruf liebt, braucht keinen einzigen Tag im Leben zu arbeiten.» Johanna, 15.

«Wer seinen Beruf liebt, braucht keinen einzigen Tag im Leben zu arbeiten.» Johanna, 15. (Foto: David Rutschmann)

Johanna ist 15 und noch Schülerin. Sie beantwortet die Frage mit dem Konfuzius-Zitat «Wer seine Arbeit liebt, braucht keinen einzigen Tag im Leben zu arbeiten». Ihr ist also Selbsterfüllung wichtig in dem Beruf, den sie wählen wird. Wichtiger auch, als einen gesellschaftlichen Sinn darin zu sehen? «Ja, denn bin ich immer noch unglücklich. Für mein Umfeld bin ich erträglicher, wenn ich zufrieden bin.»

Die 21-jährige Eva spürt in ihrer Generation fast schon einen Druck, etwas Erfüllendes zu arbeiten.

«Wenn man Geld in den Vordergrund stellt, wird man meistens verurteilt, weshalb einem das eigene Wohlbefinden nicht am Herzen liegt.»

Eva, 21

Dabei ist der Anspruch der Sinnsuche ein Privileg, findet sie: «Nicht jeder*r kann es sich leisten, glücklich zu sein.» Die Frage ist für sie viel mehr, wie glücklich man sein kann, wenn man am Existenzminimum lebt. 

Ob das die drei jungen Hippies, die auf das Drämmli warten, genauso sehen? «Wenn ich die Jobangebote durchscrolle, dann springen mir Gesundheitsberufe als einzige sinnvolle Arbeit ins Auge», sagt einer. Bevor er irgendeinen Job macht, geht er lieber wandern oder reisen und erkundet damit die Welt. Bevor er erklären kann, wo das Geld dafür herkommt, müssen sie aufs Drämmli.

Immer auf Sinnsuche.

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