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Peter Stamm

Schreiben kann gefährlich sein

Kulturjournalistin Esther Schneider hat den Autor Peter Stamm getroffen und mit ihm über seinen neusten Roman «In einer dunkelblauen Stunde» gesprochen.

03/07/23, 03:00 AM

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Autor Peter Stamm: «Wenn ich ein wildes Abenteuerleben hätte, würde ich vermutlich keine Bücher schreiben.»

Autor Peter Stamm: «Wenn ich ein wildes Abenteuerleben hätte, würde ich vermutlich keine Bücher schreiben.» (Foto: PD)

Was ist real, was fiktiv? Das ist beim Schweizer Schriftsteller Peter Stamm nie so eindeutig. Seine Romane sind oft ein Gemenge aus Realem und Erfundenem und haben dadurch etwas Traumhaftes. Auch die Figuren wirken entrückt und geheimnisvoll. Das ist auch im neusten Roman mit dem Titel «In einer dunkelblauen Stunde» so. Da spielt Peter Stamm mit Dichtung und Wahrheit.

Der Plot: Über den bekannten Schweizer Schriftsteller Richard Wechsler soll ein Dokumentarfilm gedreht werden. Und zwar darüber, wie er ein Buch schreibt. Aber der Autor läuft mitten in den Dreharbeiten davon. Zur gleichen Zeit, da Peter Stamm dieses Buch schreibt, wird auch über ihn ein Dokumentarfilm gedreht. Anders als seine Figur im Buch, läuft er nicht weg, sondern beendet den Film. Der Roman ist eine raffinierte Verwirr- und Verwechslungsgeschichte von Autor zu Autor. Esther Schneider hat mit Peter Stamm darüber gesprochen.

Peter Stamm, führst du die Lesenden gern an der Nase herum?

Ich würde es nicht so nennen. Ich spiele einfach damit, dass ich oft mit meinen Figuren gleichgesetzt werde. Das ist ja nicht autobiografisch. Aber ich mache mir einen Spass daraus, die Lesenden damit anzulocken und sie dann in die Irre zu führen.

Der Autor, der im Roman portraitiert wird, verlässt das Filmset und taucht ab. Wurde es dem Autor zu intim?

Nein, ich musste Wechsler, meinen Autor im Buch, verschwinden lassen, weil ich merkte, dass ich kein ganzes Buch darüber schreiben kann, wie er ein Buch schreibt. Das ist langweilig. Also musste ich ihn scheitern lassen. Denn beim Scheitern geschehen die spannenden Dinge.

Scheiterst du selber beim Schreiben oft?

Manchmal, aber nicht mehr so oft wie früher. Oder anders gesagt, ich verlagere das Scheitern vor das Schreiben. Ich scheitere heute bei der Themensuche. Ich muss nicht mehr hundert Seiten schreiben, bevor ich merke, dass nichts draus wird.

Jemand, der unanständig lebt, muss keine Bücher schreiben.

Peter Stamm, Autor

In deinen Büchern kommen ab und an Männer vor, die einfach davonlaufen. Etwa im Roman «Weit über das Land». Würdest du manchmal auch gern davonlaufen?

Nein, ich selber würde nie aussteigen, das macht man einfach nicht. Ich habe auch meinen Kindern gesagt, als ich das Buch «Weit über das Land» geschrieben habe, in dem ein Vater die Familie verlässt: «Keine Angst, ich laufe nicht weg.» Aber in der Fiktion sind halt böse Figuren, die das machen, was sich nicht gehört, spannender als die guten Figuren.

Du sagst also, du wärst zu anständig, um einfach davonzulaufen. Behindert dich dein Anstand manchmal?

Nein (lacht), ich kann als Autor in meinen Büchern ja unanständig sein. Im Gegenteil, ich denke, jemand, der unanständig lebt, muss keine Bücher schreiben. Die meisten Autoren haben einen langweiligen, normalen Alltag, erleben aber in ihren Büchern Abenteuer. Sogar Bukowski, der ein wildes Image hat, soll unglaublich pingelig und genau gewesen sein. Wenn ich ein wildes Abenteuerleben hätte, würde ich vermutlich keine Bücher schreiben.

Die reale Welt ist mir immer noch wichtiger als die Fiktion.

Peter Stamm, Autor

Verbringst du gern Zeit in deinen fiktiven Welten, wo du Abenteuer erlebst?

Ja. Und deshalb kann Schreiben gefährlich sein. Es verführt mich dazu, das reale Leben zu vernachlässigen. Denn es gibt Momente, da bin ich lieber in der fiktionalen Welt meines Buches, als in der Realität.

Was holt dich dann in die Realität zurück?

Das Kochen. Ich koche gern. Und das Hantieren mit Messern und Pfannen bringt mich zurück in den Alltag. Und das ist gut so. Denn die reale Welt ist mir immer noch wichtiger als die Fiktion.

Das ganze Gespräch ist zu hören im Podcast «LiteraturPur».Da erzählt Peter Stamm unter anderem, warum er Sexszenen langweilig findet und selber nie eine Autobiografie schreiben würde.

Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist. (Foto: MARA TRUOG)

Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist. (Foto: MARA TRUOG) (Foto: MARA TRUOG)

Wie schreibt man über Sex?

Am Freitag, dem 17. März, sind die Schriftsteller*innen Corinna T. Sievers und Peter Stamm zu Gast im Salon Sequoia in Baden, die Moderation übernimmt die Kulturjournalistin Esther Schneider. Das Thema: Wie schreibt man über Sex?

Max Frisch sagte einmal, er habe probiert über Sex zu schreiben, aber es habe nicht funktioniert. Ist es wirklich so schwierig über Sex zu schreiben? Soll man es überhaupt oder lässt man es besser sein? Und schreiben Männer anders darüber als Frauen?

Corinna T. Sievers schreibt sehr explizit über Sex, Peter Stamm hört an der Bettkante auf. Beide haben gerade ein neues Buch veröffentlicht und beide steigen in den Kopf des jeweils anderen Geschlechts. Da schreiben sie unter anderem auch über sexuelle Phantasien ihrer Figuren.

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