Erklären können
Um die unendlich vielen Informationen, zu denen wir Zugang haben, zu verarbeiten, brauchen wir Einordnung. Eine solche kann Qualitätsjournalismus bieten. Doch dieser wird nach und nach abgebaut. Bajour-Kolumnistin Cathérine Miville macht sich Gedanken.
«Interfinity 2025» ist passé. Eine sprachlich interessante Formulierung zum Ende eines nicht minder spannenden interdisziplinären Musikfestivals. Nachdem in den letzten Ausgaben Themen wie Quantenphysik oder KI inhaltlich im Zentrum standen, beschäftigte sich «Interfinity» dieses Jahr mit Antibiotikaresistenzen. Ein Wissenschaftsbereich, der aktuell nicht nur in der Medizin hohe Aufmerksamkeit geniesst. Als Lai*in muss man sich nicht selten zwangsweise damit beschäftigen. Nur, unsere Wissensbasis ist da leider dünn.
An dieser Stelle setzt «Interfinity» ein und macht als Vermittler zwischen Wissenschaft und Gesellschaft komplexe Zusammenhänge in spartenübergreifenden Performances (be-)greifbar und erlebbar.
Die Festival-Leitung nutzt dabei auch das in Basel gebündelt vorhandene wissenschaftliche Knowhow und lund zu einer top besetzten Gesprächsrunde ein. Es erforderte höchste Konzentration über zwei Stunden im neuen Biozentrum den Inputreferaten, Gegenreden und abschliessenden Statements von neun Spitzen-Wissenschaftler*innen zu folgen – und das in englischer Fachsprache. Es waren dennoch zwei höchst anregende Stunden. Nicht zuletzt, weil mir wieder deutlich wurde, dass mein Bedürfnis nach inhaltlich verständlich aufbereiteten Informationen wächst.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Ich sass also in dieser wunderbaren Umgebung mitten in einem Publikum, das bestimmt zu einem nicht kleinen Teil aus wissenschaftlich höchst informierten Menschen bestand und da erinnerte ich mich an einen Satz, den mir mein Vater sagte, als ich ungefähr sechs Jahre alt war. Carl, der damals noch hauptberuflich Redakteur bei der A-Z war, schickte sich an, beruflich zu einem Vortrag über «Nanopartikel» zu gehen. Ich wollte wissen, ob er überhaupt etwas von diesen kleinsten Dingelchen verstehen würde. «Nein», sagte er, «muss ich nicht. Ich muss es ja nur erklären können.»
Seine Antwort habe ich damals als Scherz aufgefasst. Heute weiss ich, dass er – der sich bis zu seinem Tod im Kern als Herzblut-Journalist verstand – damit eine Prise der aus seiner Sicht grundlegenden Voraussetzungen für diesen Beruf formulierte, die mich nachhaltig begleitete.
Schwierig genug, dass die Politik täglich unseren Eindruck bestätigt: Die Welt spielt zunehmend verrückt. Expert*innen und Politiker*innen haben an Vertrauen verloren, seit ungeahnt kreative Fake-News weltweit ganz selbstverständlich und sehr erfolgreich als probates Mittel zur Durchsetzung ureigener Interessen eingesetzt werden.
«Den zur Meinungsbildung notwendigen Transfer losgelöster Informationen in einen fundierten Kontext schaffen wir im Alltag selber nur noch bedingt.»Cathérine Miville
Gleichzeitig werden die vielschichtigen Zusammenhänge, die unser Leben real beeinflussen, objektiv komplexer. Eigentlich haben wir ja so leicht wie nie zuvor Zugang zu unendlich vielen Informationen. Bei der Verarbeitung dieser Info-Flut sind wir aber allzu oft überfordert. Um beurteilt werden zu können, müssten die Infos fundiert überprüft, aufbereitet, hinterfragt und übersetzt werden.
Den zur Meinungsbildung notwendigen Transfer losgelöster Informationen in einen fundierten Kontext schaffen wir im Alltag selber nur noch bedingt – nicht nur aus Zeitgründen. Uns fehlen daher in zunehmendem Mass entsprechend kompetente Lots*innen, die fähig sind, professionell untermauerte Grundlagen zu erarbeiten und entsprechend gut zu formulieren.
Diesen qualifizierten Input benötigen wir dringend, um uns ein eigenes Bild von Problemfeldern machen zu können. Dabei können Kulturveranstaltungen, die sich grundlegender Themen annehmen, sehr anregend sein. Das ist schon eine ganze Menge, reicht für sich isoliert jedoch nicht wirklich.
«Wo sollen junge Menschen den Mut hernehmen, sich für diesen Beruf zu entscheiden, wenn die Arbeitsplätze für Journalist*innen genauso stetig reduziert werden, wie der Platz für Textstücke in Printmedien?»Cathérine Miville
Es ist bestimmt schon deutlich geworden. Mich bewegt der Rückgang von Qualitätsjournalismus. Dabei frage ich mich, wo sollen junge Menschen den Mut hernehmen, sich für diesen ausgesprochen anspruchsvollen und aufreibenden Beruf zu entscheiden, wenn die Verlage und Medienanstalten die Zahl entsprechender Arbeitsplätze für Journalist*innen in Redaktionen genauso stetig reduzieren, wie der Platz für ausführlichere Textstücke in Printmedien. Und bei entsprechenden Sendeplätzen sieht es nicht besser aus.
Bei der SRG werden beliebte Formate der Wissenschafts- und der Kulturredaktion eingestellt. Der lautstarke Protest von Hörer*innen wird wohl leider wirkungslos verhallen. Es gilt: kein Platz, kein Geld. Kein Wunder, dass Journalist*innen zunehmend Stellen in der Industrie, in Behörden und Institutionen annehmen und fortan mediengerecht «his or her masters voice» formulieren.
Die durch und durch von Kultur geprägte Stadt Basel leistet sich marginalisierte Kulturberichterstattung. Gleichzeitig läuft die Diskussion, ob staatliche Förderung des (lokalen) Kulturjournalismus zu dessen Abhängigkeiten oder gar zur Einschränkung der freien Meinungsäusserung führen könnte. Für mich ein absurdes Argument. Logisch weitergedacht müsste konsequenterweise die staatliche Kulturförderung zum Schutz der Kunstfreiheit eingestellt werden.
Und auch wenn uns in Amerika gerade vorgeführt wird, wie rasch es gehen kann, dass die Freiheit der Lehre an Universitäten von der Regierung torpediert werden kann, bin ich doch absolut überzeugt, die staatliche Unterstützung von Wissenschaft und Forschung wird hier nicht zur politischen Einflussnahme und Einschränkung der inhaltlichen Souveränität führen.
«Nur informierte Menschen können ihre demokratischen Rechte wirklich nutzen und einsetzen.»Cathérine Miville
Warum also den Fachjournalismus im Regen stehen lassen? Zunächst wird aktuell «nur» über die Förderung des Kulturjournalismus diskutiert. Die Debatte ist jedoch von der Befürchtung geprägt, andere Bereiche könnten ebenso Ansprüche stellen. Ja, warum denn auch nicht?
Fundierter Journalismus ist ein wichtiges Instrument der Meinungsbildung. Nur informierte Menschen können ihre demokratischen Rechte wirklich nutzen und einsetzen. Schlecht oder (bewusst) falsch informierte Menschen sind anfällig für Machenschaften populistischer Rattenfänger*innen.
Qualitätsjournalismus hat eine zentral wichtige Aufgabe im gesellschaftlichen Diskurs. Seine Förderung und der Schutz seiner inhaltlichen Unabhängigkeit sind aus meiner Sicht gleichermassen staatliche Aufgaben, die breit, über den Kulturetat hinaus, finanziert gehören.
Wenn diese Aufgaben nicht wahrgenommen werden, wird sich die Frage, ob qualifizierter Kulturjournalismus durch staatliche Förderung seine inhaltliche Unabhängigkeit verliert, von selbst erledigen. Es wird ihn und auch anderen Fachjournalismus in nicht allzu ferner Zukunft einfach nicht mehr geben.