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Freiwillige Schulsynode

Und welche Kinder sollen nun in die Förderklassen?

Die Freiwillige Schulsynode Basel-Stadt präsentiert einen Vorschlag, wie Förderklassen für besonders verhaltensauffällige Kinder aussehen sollten. Doch entscheidende Fragen würden nicht geklärt, kritisiert Primarlehrerin Nadine Bühlmann.

03/21/23, 05:35 PM

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Basel ist stolz auf die integrative Schule, doch das Modell wird auch stark kritisiert.

Basel ist stolz auf die integrative Schule, doch das Modell wird auch stark kritisiert. (Foto: zvg)

Wie sollen Schüler*innen mit Verhaltensauffälligkeit, Lernschwäche oder Behinderung in Basel unterrichtet werden? Seit der Lancierung der «Förderklassen-Initative» vor rund einem Jahr wird darüber viel diskutiert.

Über was wird diskutiert?

Seit zehn Jahren gehen fast alle Schüler*innen in Regelklassen, also auch jene mit Lernschwäche, Behinderung oder Verhaltensauffälligkeit. Die Lehrpersonen können Unterstützung von Fachpersonen wie Heilpädagog*innen erhalten – das nennt sich integrative Schule. Mit der «Förderklassen-Initiative» sollen für diese Kinder spezielle Förderklassen eingeführt werden. Kritiker*innen sehen darin eine Rückkehr zum Kleinklassen-System. Die Initiative kam im August 2022 zustande, der Grosse Rat überwies sie im Januar 2023 an die Regierung, die nun Bericht erstatten muss.

Am Dienstag nun hat die Freiwillige Schulsynode Basel-Stadt (FSS), der Berufsverband der Lehrpersonen, an einer Medienkonferenz ein Positionspapier vorgestellt, wie aus Sicht der Lehrpersonen die Förderklassen aussehen sollen.

Marianne Schwegler sieht die Eckpunkte als «massgeblich für eine erfolgreiche Umsetzung der Förderklassen» an.

Marianne Schwegler sieht die Eckpunkte als «massgeblich für eine erfolgreiche Umsetzung der Förderklassen» an. (Foto: David Rutschmann)

FSS-Vizepräsidentin Marianne Schwegler sagte, diese Eckpunkte seien aus Sicht des FSS-Vorstands «massgeblich für eine erfolgreiche Umsetzung der Förderklassen». Man habe «intensive Diskussionen» geführt, folgende Eckpunkte letztlich aber einstimmig abgesegnet: 

  • Die Förderklassen sollen aus einer kleinen Lerngruppe von maximal 10 Schüler*innen bestehen und auf jeder Schulstufe zugänglich sein.

  • Die Förderklassen sollen mit Doppelbesetzung geführt werden, am besten durch eine schulische Heilpädagog*in oder eine «erfahrene Lehrperson» zusammen mit einer Sozialpädagog*in.

  • Für die Förderklassen soll es eigene Klassenzimmer geben.

  • Es soll Kriterien geben, wann ein Kind in die Förderklasse kommt. Dazu legt die FSS noch keinen Vorschlag vor.

  • Es soll eine Mindest- und Maximaldauer zum Verbleib eines Kindes in der Förderklasse geben. Diese ist im Positionspapier nicht festgelegt, an der Medienkonferenz war dann aber von mindestens einem Jahr bis maximal zwei Jahre die Rede.

Der Vorschlag der FSS kommt nicht bei allen Lehrpersonen gut an. Kritisch sieht beispielsweise Primarlehrerin Nadine Bühlmann die Förderklassen. Sie ist Primarlehrerin an der Vogelsangschule und hat sich bereits vor einem Jahr gegenüber Bajour kritisch zur Idee der Förderklassen geäussert

Nadine Bühlmann, Primarlehrerin Vogelsang

Nadine Bühlmann findet das Modell «rückwärtsgerichtet». (Foto: zvg)

An dem Vorschlag der FSS stört sie unter anderem, dass dieser sich zwar Strukturfragen von Personal- und Platzaufwand widme, aber die «soften Themen» noch offen lasse: Welche Kinder sollen in die Förderklasse gehen? Wer soll diese Einteilung vornehmen? Eltern oder Lehrer*innen? «Das sind doch die Fragen, welche Eltern und Kinder am meisten betrifft und welche geklärt werden müssen. Ich würde als Mutter nicht wollen, dass gegen meinen Willen entschieden wird, ob mein Kind in eine Förderklasse gehen soll», sagt sie.

Dass Kinder mit besonderem Förderbedarf gesondert unterrichtet werden sollen, hält sie für «rückwärtsgerichtet»: «Ein solches Modell orientiert sich an den vermeintlichen Bedürfnissen der Lehrer*innen, für die Integration im Unterricht eine Zusatzbelastung sein soll. Ob das die Bedürfnisse der Kinder sind, bezweifle ich. Und dass die Belastung der Lehrer*innen weniger wird, ist auch schwer vorstellbar», sagt sie. 

Ihre Erfahrung sei, dass Kinder durch andere Kinder am besten lernen. «Wenn die verhaltensauffälligen Kinder nun in Förderklassen gesteckt würden, fehlen ihnen die Vorbilder», so Bühlmann. 

Das sieht der Vorstand der FSS anders. Aus seiner Sicht lasse sich die integrative Schule heute eben mit den bestehenden Möglichkeiten nicht zufriedenstellend umsetzen. Die Kinder, die besondere Förderung benötigen, könnten demnach mit Förderklassen gezielter unterrichtet werden.

Gezielter Unterricht, das heisst für die FSS auch: Doppelte Besetzung, eigene Klassenzimmer. Schätzungen, wie viel mehr Lehrkräfte es bräuchte und wie viel das kosten würde, macht die FSS nicht. «Wir rechnen damit, dass das Erziehungsdepartement bald eine Berechnung mit Preisschild vorlegen wird», sagt FSS-Präsident Jean-Michel Héritier.

Nadine Bühlmann rechnet mit einer Kostenexplosion. «Mehr Ressourcen brauchen wir sicherlich, eine Doppelbesetzung in allen Klassen fände ich zum Beispiel auch das effizienteste Instrument für die Förderung aller Kinder. Aber wenn wir Förderklassen einrichten, ist es letztlich eine Frage, wie diese Ressourcen verteilt werden – die müssten dann aus den Regelklassen abgezogen werden», vermutet sie. 

Entsprechend gespannt ist sowohl Bühlmann als auch die FSS, was denn nun das Erziehungsdepartement zur Förderklassen-Initiative sagt. Die Antwort wird im April erwartet. Héritier vermutet, dass sich «das nicht ganz mit unserem Vorschlag decken wird».

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