«Die Schule trägt eine Mitverantwortung»
Schüler*innen in Basel erhalten ab der 5. Klasse für den Unterricht einen persönlichen Laptop, den sie auch nach Hause nehmen können. Das stellt viele Eltern vor Herausforderungen, weil es allein in ihrer Verantwortung liegt, wie die Kinder die Geräte daheim nutzen.
Für die Fünftklässler*innen in Basel gab es zu Schulbeginn eine Überraschung: Die 10- und 11-jährigen Kinder bekommen einen persönlichen Laptop von der Schule gestellt, den sie während des Unterrichts nutzen, aber auch mit nach Hause nehmen dürfen. In der Schule sind die Regeln klar: Die Lehrer*innen entscheiden, basierend auf dem Lehrplan und den Lehrmitteln des Kantons, wie oft und wie lange digitale Geräte eingesetzt werden.
«Eltern legen in ihrer erzieherischen Rolle fest, wie lange die Geräte zu Hause genutzt werden dürfen.»Sandra Eichenberger, Leiterin Kommunikation beim Erziehungsdepartement
Zuhause sieht die Situation aber anders aus. Hier liegt die Verantwortung allein bei den Erziehungsberechtigten, wie Sandra Eichenberger, Leiterin Kommunikation beim Erziehungsdepartement (ED) sagt: «Eltern legen in ihrer erzieherischen Rolle fest, wie lange die Geräte zu Hause genutzt werden dürfen.» Und sie verweist auf Nutzungsrichtlinien, in denen festgelegt ist, dass die Geräte nur für schulische Zwecke genutzt werden dürfen.
Bajour hat in der Gärngschee-Gruppe nachgefragt, was Eltern von dieser Regelung halten. Die Meinungen gehen auseinander. So wird die Bildschirmzeit aus Sicht von Veronique unkontrollierbar, da das Kind immer sagen kann, dass es etwas für die Schule macht: «Man kann und will als Eltern ja auch nicht ständig daneben sitzen», sagt sie. Auch Saskia äussert sich kritisch: «Ich find’s total doof. Ich bin grundsätzlich gegen Smartphones und iPads in diesem Alter. Das kommt alles noch früh genug. Das muss nicht sein mit 10 oder 11 Jahren oder sogar noch früher.»
«Es liegt an den Eltern, dass Kinder daheim keinen unbegrenzten Zugriff haben und einen gesunden Umgang mit sozialen Medien lernen.»Valeria, Gärngschee-Mitglied
Alexandra sieht es entspannter, sie sagt: «Mein Sohn hat seit der 2. Klasse ein iPad. Es ist 2024 und alles ist anders als früher.» Es sei Sache der Eltern, wann und wie oft die Kinder es nutzen dürften. «Ich sehe kein Problem darin. Das iPad ist bei mir, es sei denn, mein Sohn hat Aufgaben.»
Eltern sind gefordert
Alexandra ist eine der wenigen, die mit der Situation gut zurechtzukommen scheint. Valeria ist zwiegespalten. Sie findet es einerseits gut, dass es die Geräte für Kinder von der Schule gibt, weil sie so auf die Zukunft vorbereitet werden. Sie bemängelt aber, dass einige Kinder daheim oft den ganzen Tag vorm Bildschirm sind: «Es liegt an den Eltern, dass Kinder daheim keinen unbegrenzten Zugriff haben und einen gesunden Umgang mit sozialen Medien lernen.»
Die Erziehungsberechtigten sind gefordert, wenn die Kinder in der Primarschule die Laptops mit nach Hause bringen. Ein Punkt, der Eltern auch Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass derzeit aus den App Stores alle kostenlosen Apps wie Instagram, TikTok oder auch Messengerdienste heruntergeladen werden können. ED-Sprecherin Eichenberger sagt: «Die Nutzung des Stores wird jedoch auf Anregungen von Eltern und Lehrkräften überprüft; ab 2025 werden die Geräte neu konzipiert.»
WhatsApp nicht empfohlen
Gab es bereits Beschwerden? «Vereinzelt gab es Anfragen von Eltern zum Store», so Eichenberger. Das Erziehungsdepartement via Schulleitungen stehe regelmässig im Austausch mit den Elternräten und treffe sich mindestens zweimal jährlich mit den Präsidien der Schulräte. Sie sagt: «Die Einführung und Nutzung der persönlichen Endgeräte wird kontinuierlich mit allen Beteiligten besprochen.»
Sie verweist auch auf einen Ratgeber über Messenger-Dienste im schulischen Kontext, der auch an Eltern gerichtet ist. Grundsätzlich werden die Chats, in denen die Schüler*innen innerhalb der Messenger kommunizieren, nur «bei berechtigtem Verdacht» durch den IT-Dienstleister überprüft, so Eichenberger. WhatsApp werde für schulische Zwecke nicht empfohlen.
«Es muss möglich sein, dass die Lehrpersonen Inhalte auf den Geräten kontrollieren können.»Franziska Roth, SP-Grossrätin und Präsidentin der Bildungs- und Kulturkommission
Auf die Frage, ob das Risiko besteht, dass innerhalb der Chats Mobbing und Ausgrenzung stattfinden, sagt Eichenberger: «Ja, dieses Risiko besteht grundsätzlich; Mobbing kann auch in Microsoft Teams (einem Messengerdienst, Anm. d. Red.) nicht ausgeschlossen werden. Deshalb sensibilisiert das Erziehungsdepartement die Lehrkräfte kontinuierlich zu diesem Thema.» Besteht ein Verdacht auf Missbrauch, kann das Gerät überprüft werden. Das heisst: Der Kanton kann einschreiten, wenn es ernst wird, die Verantwortung wird aber an die Eltern abgegeben und auf die Nutzungsrichtlinien verwiesen.
Franziska Roth, SP-Grossrätin und Präsidentin der Bildungs- und Kulturkommission, teilt grundsätzlich die Haltung des Erziehungsdepartements, dass die Erziehungsberechtigten festlegen müssen, wie lange Schüler*innen die Geräte zu Hause nutzen dürfen. Auch dass sie die Geräte mit nach Hause nehmen können, um für die Schule zu arbeiten, ist für sie selbsterklärend.
Keine eigenen Apps
«Allerdings dünkt mich wichtig, dass die Geräte so konfiguriert sind, dass die Schülerinnen und Schüler keine eigenen Apps herunterladen können und dass einschlägige Internetinhalte nicht angeschaut werden können. Das müsste die Schule gewährleisten.» Zudem sei es auch wichtig, dass die Lehrpersonen mit den Kindern thematisieren, wie die Geräte verantwortungsvoll genutzt werden. «Ebenfalls muss es aus meiner Sicht möglich sein, dass die Lehrpersonen Inhalte auf den Geräten kontrollieren können.» Denn die Schule könne sich nicht ganz aus der Verantwortung stehlen, sie trage eine Mitverantwortung im guten Umgang mit den Geräten.
«Mobbing innerhalb der Messenger-Dienste ist ein Thema.»Carmen, Gärngschee-Mitglied
Dafür müssten Themen wie Mobbing und Social-Media-Nutzung parallel zur Anschaffung der Laptops innerhalb des Unterrichts thematisiert werden. Das sei der Fall, sagt Eichenberger vom ED. «Diese Themen sind Teil des Lehrplans 21 im Fachbereich Medien/Informatik und werden in den dafür vom Kanton festgelegten Lehrmitteln behandelt.» Zusätzlich gebe es Programme wie das Präventionsprogramm der Kantonspolizei Basel-Stadt. Sie verweist auch darauf, dass das WLAN an den Schulstandorten mit einem Kinder- und Jugendschutz ausgestattet ist. Das Programm Microsoft Defender ATP auf den Geräten erhalte zudem einen Webfilter, der auch ausserhalb des Schulnetzes aktiv bleibe, so Eichenberger.
Gärngschee-Mitglied Carmen hat hier eigene Erfahrungen gemacht, sie sagt: «Ich habe mehrfach versucht, den Schulleitungen und Behörden zu erklären, dass die Geräte daheim viele Probleme mit sich bringen. Zum einen ist das Internet in der Schule für bestimmte Seiten anscheinend blockiert, jedoch konnten bei uns Kinder Gewaltvideos und Pornos anschauen.» Auch Mobbing innerhalb der Messenger-Dienste sei ein Thema.
«Nicht alle Eltern kennen sich gleich gut aus und dies kann zu einer Ungleichheit im Zugang zu Bildung führen.»Philipp, Vater und Bajour-Leser
Mala, die Medienpädagogin ist und an schulischen iPad-Projekten mitgearbeitet hat, spricht auf Gärngschee ein weiteres Problem an: «Bei den Eltern wird viel Technikkompetenz vorausgesetzt und es werden Klassenunterschiede zementiert, da bildungsferne oder nicht technikaffine Eltern keine Chance haben, mitzuhalten.» Sie erhalten keinen Überblick über Prüfungsdaten und Noten sowie über wichtige Infos, die nur online kommuniziert werden. Auf die «digitale Kluft» macht auch Philipp aufmerksam: «Nicht alle Eltern kennen sich gleich gut aus und dies kann zu einer Ungleichheit im Zugang zu Bildung führen.» Die Bedienung der Geräte könne für manche Familienmitglieder, insbesondere ältere oder weniger technikaffine, eine Herausforderung darstellen.
Konflikte zu Hause
Er weist auch auf pädagogische Aspekte hin, da die Lernapps nicht zwingend eine ausreichende Vorbereitung seien, um Prüfungen zu erfolgreich zu meistern: «Lernen funktioniert übers Begreifen und viele Apps berühren die relevante Bereiche im Gehirn zu marginal.» Auch Oksana sagt: «Es läuft nicht alles digital. Alle Prüfungen sind auf Papier und nicht in Form von TikTok Videos, sondern ziemlich traditionell. Es wird nicht geübt, Prüfungen und Tests auf Papier zu schreiben.» Stattdessen werde das Kind durch die digitalen Geräte extrem abgelenkt. Da seien Konflikte zu Hause programmiert.
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