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Albtraum auf der Kreuzfahrt

«Ich habe eine Faszination für das Makabre»

Adam Schwarz hat mit seinem zweiten Roman «Glitsch» ein abgründiges und zugleich absurdes Buch geschrieben, das alles in einem ist: Klimakrimi, Trennungsroman und Abgesang auf unsere Welt. Kulturjournalistin Esther Schneider spricht mit ihm über Parallelwelten, Unfruchtbarkeit und seine Grossmutter.

04/24/23, 03:00 AM

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Adam Schwarz hat sich online durch zig Kreuzfahrt-Dokus durchgeackert.

Adam Schwarz hat sich online durch zig Kreuzfahrt-Dokus durchgeackert. (Foto: Stefan Dworak)

Dein Roman «Glitsch» spielt auf einem Kreuzschiff, das der Nordostpassage entlangfährt. Was reizt dich an diesem Setting?

Hm… Grundsätzlich finde ich Kreuzfahrtschiffe ganz entsetzlich. Für mich ein Graus…

Und deshalb ist es ein guter Schauplatz?

Ja, gerade deswegen. Tausende Menschen sind auf dem Schiff gefangen, unterwegs in internationalen Gewässern. Sie halten sich auf Deck, in Bars und Restaurants in einer Art Scheinöffentlichkeit auf. Es werden Luxus und entspanntes All-Inklusiv-Reisen vorgegaukelt. Aber das ist alles nur Fake. Die reinste Plastikwelt unter der das Groteske lauert. Das ist reizvoll. 

Warst du für die Recherche selber auf einer Kreuzfahrt?

Nein. Ich wollte es, konnte es mir aber damals nicht leisten. Deshalb habe ich mich für einen literarischen Recherchebeitrag beworben. Leider wurde er abgelehnt. Wahrscheinlich dachte man, das sei ein billiger Trick, um Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff zu machen (lacht). Ich habe aber viel im Internet recherchiert. Da gibt es endlos Dokus über Schiffe. Wie sie ausgestattet sind, was sie an Unterhaltung anbieten und besonders interessant: unter welchen Bedingungen die Angestellten arbeiten. Gerade dazu ist viel in meine Geschichte eingeflossen. 

«Wir müssen uns von gewissen Konzepten, Begriffen und Bildern verabschieden, die wir als Gesellschaft in den letzten zwei Jahrhunderten sehr liebgewonnen haben.»

Adam Schwarz, Schriftsteller

Du spielst mit deiner Hauptfigur Léon ein makabres Spiel. Er wird aus dem Nichts heraus zu einem Nobody, einem Gejagten. Mir kam es so vor, als wäre er in ein Computerspiel hineingeraten. 

Das hat was. Im Roman ist vieles absurd und surreal. Die Anstrengungen von Léon, aus dem Albtraum der Nichtexistenz herauszukommen, erinnern an ein Videospiel. Da kämpft man oft auch gegen rätselhafte Mächte an. Ich wollte tatsächlich eine Parallelwelt darstellen. Und dann habe ich auch eine Faszination für das Schreckliche, ja Makabre, das Léon zustösst. 

Auf diesem Schiff merkt Léon, dein Romanheld, dass seine Beziehung in die Brüche geht. Das liege daran, dass er ein Versager ist, glaubt er. Ist er ein Antiheld?

Léon ist ein unsicherer Mann, der sich selber verloren geht. Insofern ist er sicher ein Antiheld. Er macht sich zu viele Gedanken darüber, wie er auf andere wirkt. Deshalb ist er alles andere als entspannt. Darin hat er gewisse Ähnlichkeit mit mir. Auch wenn es von aussen nicht unbedingt so aussieht, zweifle ich an vielem und habe auch eine schüchterne Seite. Insofern ist ein bisschen was von Léon in mir selber. 

Zur Person

Zur Person

Adam Schwarz ist Kulturjournalist und Schriftsteller. Er studierte Philosophie und Germanistik in Basel und Leipzig. Er lebt in Basel. 2017 erschien sein erster Roman «Das Fleisch der Welt». Soeben ist sein neuster Roman «Glitsch» herausgekommen.

Dein Buch ist neben Beziehungsgeschichte, Krimi, Roadtrip auf dem Meer und Videospielroman auch eine Dystopie über die Klimaveränderung. Auf dem Cover steht, das Buch sei eine Art Abgesang auf die Welt. Woran zeigt sich das?

Die Klimakrise ist im Roman weit fortgeschritten. Grosse Teile der Welt sind ausgetrocknet. Und im Laufe der Geschichte wird es noch schlimmer. In dieser Hinsicht ist «Glitsch» ein pessimistisches Buch.  

Glaubst du selber, dass wir in diese Richtung gehen?

Die Befürchtung habe ich. Das Buch ist ein Versuch, diese Klimaangst auf literarische Art zu bannen. Insofern ist es ein Stück weit ein Trennungsroman, der die Menschheit an sich betrifft. Wir müssen uns von gewissen Konzepten, Begriffen und Bildern verabschieden, die wir als Gesellschaft in den letzten zwei Jahrhunderten sehr liebgewonnen haben. Vielleicht liegt da der Trennungsschmerz, weil wir das noch nicht einsehen wollen und uns weiterhin an überkommene Konzepte klammern.

Und da macht es keinen Sinn mehr Kinder auf Welt zu setzen. Hast du deshalb Léon unfruchtbar gemacht?

(Schmunzelt) ... und er hält es vor seiner Freundin geheim. Das ist schon ein virulentes Thema. Ich kenne einige Leute in meiner Generation, die mir sagen, dass sie keine Kinder möchten. Sie finden, die Welt sei in einem schlechten Zustand. In diese Welt wollen sie keine Kinder setzen. Diese Frage beschäftigt auch mich. Ich bin mit 32 Jahren in einem Alter, wo man sich solche Fragen stellt. Und ich weiss nicht, ob ich mal Kinder haben will. 

«Meine Grossmutter googelte immer alle Verwandten.»

Adam Schwarz, Schriftsteller

Du schreibst unter einem Pseudonym, Adam Schwarz ist nicht dein richtiger Name. Wie kommt das?

Der erste Grund war meine Introvertiertheit. Das öffentliche Auftreten als Autor hat mir anfangs eher Mühe bereitet. Ich fand auch den Fokus auf die Persönlichkeit des Autors schwierig. Der zweite Grund war meine Grossmutter. Das tönt jetzt schräg, aber ich hatte eine Grossmutter, die immer alle Verwandten gegoogelt hat. Eigentlich ist das ja süss. Aber ich wollte zu Beginn nicht, dass sie meine Texte liest. Heute finde ich es schön, diese Trennung zu haben zwischen Autorleben und dem Leben als Journalist. Es entlastet mich. Aber Inzwischen ist es ja ein offenes Pseudonym und das ist auch okay.

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Das ganze Gespräch mit Adam Schwarz über seinen Roman «Glitsch» ist zu hören im Podcast LiteraturPur

Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist.

Esther Schneider spricht in ihrem Podcast «Literatur Pur» regelmässig mit Autor*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist. (Foto: MARA TRUOG)

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