Reich, aber unterschätzt
Eva Herzog möchte «mehr Basel in Bern». Warum hat unsere Region so wenig Einfluss? Wir haben Persönlichkeiten aus Bern und Zürich gefragt.
Basel weint gerne darüber, dass es in der Schweiz missverstanden wird. Nach der Bundesrätinnenwahl vergangenen Dezember wurde das Ja des Parlaments zur Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider in der Stadt husch-husch zum Nein zum urbanen Leben umgedeutet. Motto: Wir sind halt einfach zu weltgewandt und fortschrittlich für dieses Land.
Klingt verdammt gut. So gut, dass die unterlegene Bundesratskandidatin Eva Herzog die Welle des Basler Selbstmitleids auch im Kampf um den basel-städtischen Ständeratssitz reiten will. Heisst: Sie tritt an als Vorreiterin der städtischen Schweiz, um den urbanen Gebieten in der nationalen Politik mehr Gewicht zu verleihen. «Mehr Basel in Bern», heisst ihr Wahlkampfmotto darum.
Aber wartet die Schweiz wirklich sehnsüchtig auf Basel?
Wir haben uns umgehört. Und überraschende Antworten bekommen. Ausgerechnet in der bürgerlichen Ecke hat das angeblich so linke Basel Fans. Dafür rümpft man bei Eva Herzogs Parteigenoss*innen der SP in Bern die Nase ob des Kulturkampfs à la bâloise.
Peter Grünenfelder, Direktor Avenir Suisse
Zwar macht Basel immer wieder mit pointiert linken Volksentscheiden von sich reden. So hat die Bevölkerung beispielsweise sowohl einem Mindestlohn als auch einem Verbot für Verbrennungsmotoren ab 2050 oder Nettonull bis 2037 zugestimmt.
Und doch klingt Peter Grünenfelder am Telefon richtig begeistert, wenn er von Basel spricht. «Basel-Stadt hat Perlen von Unternehmen», sagt er. Grünenfelder ist Ökonom, Freisinniger und bis Ende Juli noch Direktor des liberalen Thinktanks Avenir Suisse. «Basel übersteigt die wirtschaftliche Potenz anderer Kantone bei weitem».
Nur, und da sind wir wieder beim Ausgangsproblem, weiss das offenbar fast niemand. Das sagt einer, der es wissen muss: Andreas Hugi ist Mitgründer von Furrerhugi, einer der einflussreichsten PR-Agenturen der Schweiz. «Die Wirtschaftskraft Basel wird in Bern massiv unterschätzt», sagt der Lobbyist.
Das liegt scheinbar in der Natur der Sache: Die reichen Kantone sind in der Schweiz in der Unterzahl. Nur sechs Kantone zahlen in den Finanzausgleich ein und unterstützen damit die so genannten «strukturschwachen» Regionen. Grünenfelder von Avenir Suisse formuliert es so: «Basel-Stadt gehört mit seiner übergrossen Wirtschaftsmacht zur leistungsfähigen Minderheit, welche den mediokren Kantonen Geld gibt.» Liebe gibt es dafür keine: «Die Erfolgreichen haben es bislang schwer, sich Gehör zu verschaffen», sagt Grünenfelder. Und gegen die Allianz der Bergkantone komme man schlecht an.
Das Resultat: Die Europapolitik des Bundes zielt an den Interessen von Roche und Co. vorbei. Der Bachgrabentunnel fürs Entwicklungsareal in Allschwil hat keine Priorität und aufs Herzstück wartet Basel schon Jahrzehnte.
Die fehlende Ausstrahlungskraft der hiesigen Wirtschaft liegt aber auch in der Politik begründet, sagt Lobbyist Andreas Hugi: «Basel führt die falsche Diskussion.» Nämlich eine über Solidarität, statt eine über die Wirtschaft: «Man muss dazu stehen, dass Basel grosse Unternehmen hat und abhängig ist von internationalen Kooperationen, doch in urbanen, tendenziell linken Gebieten, ist man zu scheu dazu.»
Andreas Hugi, Mitgründer von Furrerhugi
Auch Matthias Leuenberger, Länderpräsident bei der Novartis, sprach vor zwei Jahren in der NZZ von einem «entfremdeten» Verhältnis zwischen Wirtschaft und Bevölkerung.
Was tun?
Peter Grünenfelder von der Avenir Suisse wünscht sich mehr Unternehmer, die sich in die Politik einmischen. So, wie es Andreas Burckhardt, ehemaliger Verwaltungsratspräsident der Baloise und Mitglied im Vorstandsausschuss von Economiesuisse, getan hat. «Das war eine starke Figur, der zog von Basel aus mit die Fäden in der Schweizer Wirtschaftspolitik», sagt Grünenfelder. Solche Unternehmer brauche es, um der Bevölkerung zu erklären, welche Bedürfnisse die Wirtschaft habe. Severin Schwan, Präsident der Roche, macht das ab und zu. «Aber die meisten Unternehmer delegieren das an die Politik», sagt Grüneberger.
Schon viele Politiker*innen haben sich bemüht. Gute Vorsätze wurden gefasst, Lobbygruppen gegründet. Genützt hat es offensichtlich wenig.
Das hat auch mit Basels Grösse zu tun: Gegen Kantone wie Zürich mit 36 Nationalratssitzen ist es rein mengenmässig schwierig, sich durchzusetzen. Und im Herbst verliert Basel-Stadt noch einen der wenigen fünf.
PR-Fachmann Andreas Hugi sieht die Abstimmung über die OECD-Reform am 18. Juni als grosse Chance für Basel, sich als Wirtschaftsmacht zu profilieren. Zusammen mit Zug wäre Basel jener Kanton, der am meisten von der erhöhten Unternehmenssteuer profitieren würde Je nach Schätzung könnten etwa 200 Millionen Franken pro Jahr mehr in die Staatskasse fliessen. «Das war mir vor diesem Gespräch gar nicht bewusst», sagt Hugi.
Tamara Funiciello, SP-Nationalrätin Bern
Was Hugi als Chance sieht, kommt bei vielen Linken nicht gut an. Denn Finanzdirektorin Tanja Soland (SP) plant, die zusätzlichen Einnahmen via Standortattraktivitätsmassnahmen wieder zurück an Novartis und Co. fliessen zu lassen. Damit diese hier bleiben. Die WoZ schrieb kürzlich, die Basler Regierung wolle die «Reichen beschenken».
Und die Berner Nationalrätin Tamara Funiciello sagt: «Ich halte wenig vom Kantönligeist und der Stadt-Land-Diskussion». Auch sie ist Sozialdemokratin, aber in einem Nehmerkanton aus dem Finanzausgleich. Bern sei strukturschwach, weil der Kanton riesig sei, sagt Funiciello. Und er könne nicht mithalten im Steuerwettbewerb: «Senken wir die Steuern, müssen wir die Ausgaben kürzen. Tun wir es nicht, ziehen die Firmen weg und wir müssen auch die Ausgaben senken.» Und auch beim Verkehr habe sie kein Gehör für die Klagen Basels: «In Bern brauchen wir länger von der Stadt bis ans Ende der Kantonsgrenze als von der Stadt Bern nach Basel.» Wichtig seien die Menschen und ihre Bedürfnisse, egal wo. «Daher möchte ich eine solidarische Schweiz.»
Eva Herzogs Wahlslogan.
Roger de Weck sitzt gerade im Zug nach Paris. Der Publizist sagt am Telefon: «Städte haben es in der Schweiz schwer. Sie stehen unter Verdacht. Der sehr ländliche eidgenössische Geist bewundert die ausländischen Grossstädte und misstraut den schweizerischen.» Das gelte erst recht für Grenzstädte wie Basel, Genf oder Lausanne. «Dabei bringen sie so viel ein in die Schweiz.»
Nämlich?
Eine andere Mentalität als die Binnenstädte, so de Weck: «Zürich ist zwar globalisiert, aber Basel ist kosmopolitisch. Und das ist eine ganz andere Grundhaltung. Diese in die Schweiz einzubringen, ist höchst wertvoll. Und bei den helvetischen Rückzugsreflexen auch unerlässlich.»