«Mit Mass-Voll haben wir gar nichts zu tun. Aber einfach überhaupt nichts»

Nationalratskandidat Baschi Dürr in der Bajour-Mangel. Über Listen, klare Grenzen, gemeinsame Werte, unfreie Klimakleber*innen und den Markt, der so vieles regeln würde, wenn man ihn nur endlich liesse.

Baschi Dürr, ehemaliger Regierungsrat und jetziger Nationalratskandidat FDP BS im Gespräch mit Andrea Fopp, Bajour
Zur Person

Baschi Dürr ist CEO des Industrie- und Technologieparks Uptown in Arlesheim und hat diverse kommerzielle und ehrenamtliche Mandate. 2013 bis 2021 war er Justizdirektor, bis die Stimmbevölkerung ihn abwählte. Baschi Dürr nahm die Abwahl mit Würde und versucht jetzt, den FDP-Nationalratssitz zurückzuerobern.

Baschi Dürr, Sie wissen ja, wie das mit dem Gegenlesen läuft.

Genau. Bei Ihnen darf man nichts korrigieren.

Doch, Sie dürfen Fehler bereinigen, aber wenn ich das Gefühl habe, Sie wollen sich in ein besseres Licht rücken, dann verhandeln wir. Die «WoZ» hat letzte Woche getitelt «wer FDP wählt, hilft Glarner». Schämen sie sich ein bisschen für ihre SVP-Listenverbingungs-Kollegen im Aargau?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Die Listenverbindungsdiskussionen werden jetzt mehr geführt als sonst. Ich weiss eigentlich nicht, warum.

Wegen SVP-Politikern wie Andreas Glarner, die immer wieder entgleisen?

Eine Listenverbindung heisst nicht, dass man exakt die gleiche Meinung hat, sonst wäre man in derselben Partei. Es ist so, dass es einen gewissen Graubereich gibt, in dem man je nach Konstellation eine Listenverbindung machen kann oder auch nicht. Die FDP entscheidet richtigerweise von Kanton zu Kanton, je nach Inhalten und Wählerchancen. Und jetzt in Basel haben wir uns ja entschieden, keine Listenverbindung mit der SVP zu machen, das finde ich richtig.

Warum ist es richtig, in Basel-Stadt die SVP auzuschliessen?

Zum einen wegen der Inhalte, zum anderen wegen der Sitzzahl und den wahlarithmetischen Chancen und Risiken.

Sie wollen nicht, dass Joël Thüring Ihnen vielleicht den Sitz wegschnappt, auf den Sie es abgesehen haben.

Also es geht darum: Wo haben die Bürgerlichen Chancen auf Sitze? Ich glaube, in dieser Konstellation haben wir gute Chancen auf zwei Sitze.

Mit der SVP hätten die Bürgerlichen arithmetisch mehr Stimmen.

In den Städten ist man als FDP vielleicht auch etwas weiter weg von der SVP, etwa, was den Aussenhandel oder die Beziehungen zur Europäischen Union betrifft.

Baschi Dürr, ehemaliger Regierungsrat und jetziger Nationalratskandidat FDP BS im Gespräch mit Andrea Fopp, Bajour
(Bild: Roland Schmid)

In Solothurn macht die SVP für diese Wahlen eine Listenverbindung mit der massnahmenkritischen Organisation Mass-Voll. Sie hat Mitglieder, die antidemokratische und rechtsextreme Positionen unterstützen.

Die FDP hat klar rausgegeben, dass sie schweizweit keine Listenverbindungen mit Mass-Voll eingeht. Weder im Aargau noch im Solothurn noch sonst irgendwo.

Möchte Ihre FDP überkantonal «inhaltliche» Ähnlichkeiten haben mit einer Partei, die mit Mass-Voll zusammengeht? Könnte das nicht dem Image der FDP als gemässigte, lösungsorientierte Partei schaden?

Das ist jetzt quasi die zweite Ableitung. Es bleibt dabei: Mit Mass-Voll haben wir gar nichts zu tun. Aber einfach überhaupt nichts.

Sie sagten vorhin, dass die FDP Basel-Stadt bei den Nationalratswahlen einen Sitz holen könnte. Bei den letzten Regierungswahlen sind Sie allerdings abgewählt worden. Warum glauben Sie, dass Ihnen beim Nationalrat gelingt, was Ihnen bei den Regierungsratswahlen nicht gelungen ist?

Ich sprach vorhin von der FDP, nicht von mir selbst.

Ich spreche jetzt von Ihnen.

Wir haben gute Chancen, mit der bürgerlichen Listenverbindung von FDP, LDP, Mitte, GLP und EVP einen zweiten Sitz zu holen. Wer ihn dann macht, ist die nachgelagerte Frage.

Herr Dürr, Sie sind der Spitzenkandidat der FDP.

Das mag so sein. Ich glaube, Regierungs- und Nationalratswahlen kann man nicht vergleichen. Erstere sind Majorz-, zweitere Proporzwahlen. Würde ich als Nationalratskandidat gleich viele Stimmen machen wie bei den letzten Regierungsratswahlen, wäre ich der bestgewählte Basler Nationalrat. Das wird sicher nicht so rauskommen, denn Wahlkonstellation und -recht sind anders. Aber es ist natürlich schon so, dass ich eine grosse Bekanntheit habe. Bekanntheit ist nicht die einzige, aber vielleicht die wichtigste Währung in dieser Branche. Und ich glaube, gerade bei diesen grossen Herausforderungen, welche die Welt und damit auch die Schweiz hat, ist Erfahrung sicher etwas, das jetzt gebraucht wird.

Das Stichwort «Erfahrung» haben Sie schon während den Regierungsratswahlen benutzt.

Was wollen Sie damit sagen?

Nichts.

Es ist auf jeden Fall nicht der gleiche Wahlkampf. Bei einer Majorzwahl geht es ja darum, zumindest ein relatives Mehr aller Wählenden zu schaffen. Dieses Mal nicht: Wenn wir als FDP zehn Prozent machen, haben wir mutmasslich den Sitz. Also können wir auch pointierter auftreten.

«Sich «letzte Generation» zu nennen, ist hochgradig anmassend.»
Baschi Dürr über apokalyptische Klimaaktivist*innen.

Sprechen wir über Inhalte. Ihre Partei macht Wahlkampf gegen Klimakleber*innen. Was ist schlimmer, wenn sich Aktivist*innen auf die Strasse kleben oder wenn wir das Ziel von 1.5 Grad nicht erreichen?

Die Frage ist, welche Mittel legitim sind in einem politischen Kampf. Und wenn jetzt Extremisten aus dem Klimalager das Gefühl haben, sie können sich über alle demokratischen und rechtlichen Grenzen hinwegsetzen und behaupten, das, was die Gesellschaft demokratisch entschieden hat, sei falsch, ist das saumässig gefährlich.

Warum ist das gefährlich?

Ganz generell: Wenn irgendeine Minderheit das Gefühl hat, sie sei so sehr im Recht, dass sie sich nicht mehr an die ordnungsgemässen Prozesse einer freiheitlich verfassten Gesellschaft halten muss, ist das letztlich das Ende einer Demokratie. Solche Organisationen sollten sich nicht durchsetzen können. Ganz egal, um was es geht.

Sehen Sie da eine Gefahr, dass sich solche Organisationen in der Schweiz durchsetzen?

Nein, im Gegenteil. Die ganze Klimadebatte ist ja derart polarisiert, ich finde, viel zu fest polarisiert. Sowohl von den Klimaleugnern – auch wenn ich diesen Begriff der Gegenseite blöd finde – also um Leute, die sagen, es gebe keine Klimaerwärmung, nur Wetter …

Eigentlich geht es um die Erdöllobby, die Jahrzehnte lang Kampagnen machte und die Lüge in die Welt setzte, der Klimawandel sei eine Erfindung, oder?

Darf ich etwas anderes sagen?

Ja.

Es gibt Extremisten und Extrempositionen innerhalb dieser Debatte. Auf der einen Seite diejenigen, die sagen, den Klimawandel gebe es nicht. Das ist absurd. Auf der anderen Seite diejenigen, die ernsthaft das Gefühl haben, wir stehen vor der Apokalypse. Sich «letzte Generation» zu nennen, ist hochgradig anmassend. Diese Menschen haben das Gefühl, wenn wir uns jetzt nicht gegen den Rechtsstaat stellen und etwas Illegales machen, ist die Menschheit vor dem Ende. Was ebenfalls völlig absurd ist. Ich finde es schwierig, dass diese beiden Positionen überdurchschnittlich häufig vorkommen im Diskurs. Die breite Mitte kommt zu wenig vor.

«Ich war schon immer dafür, dass man dem CO2-Ausstoss einen Preis gibt.»
Baschi Dürr über «marktwirtschaftliche» Klimainstrumente

Warum macht die FDP dann Wahlkampf gegen die eine Seite des extremen Rands, statt Lösungen für die breite Mitte vorzustellen, und geht Listenverbindungen mit der SVP ein? Unterstützen Sie damit nicht die Polarisierung?

Also, die FDP hat kürzlich das CO2-Gesetz unterstützt.

Das CO2-Gesetz?

Welches war das letzte, das CO2-Gesetz oder das Klimaschutzgesetz?

Im Juni haben wir über das Klimaschutzgesetz abgestimmt. Beim CO2-Gesetz vor zwei Jahren war die Mehrheit der FDP-Wähler*innen dagegen, wie eine Nachwahlbefragung von Vox zeigte.

Die FDP war sowohl für das CO2- als auch das Klimaschutzgesetz. Vor allem zu letzterem: Wir sind für marktwirtschaftliche Instrumente, etwa das Bepreisen von CO2. Und für technologische Offenheit.

Welche «marktwirtschaftlichen Instrumente» wollen Sie im Rahmen des CO2-Gesetzes, äh des Umweltschutzgesetzes, umsetzen? Sehen Sie, jetzt habe ich sie grad auch verwechselt.

Dass CO2 einen Preis hat. Das unterstützt die FDP.

Es gab schon Diskussionen über Flugticketabgaben oder eine Kerosinsteuer, die FDP war dagegen.

Ich war schon immer dafür, dass man dem CO2-Ausstoss einen Preis gibt.

Baschi Dürr, ehemaliger Regierungsrat und jetziger Nationalratskandidat FDP BS im Gespräch mit Andrea Fopp, Bajour
(Bild: Roland Schmid)

Was halten Sie von einer Solarpflicht für alle Gebäude, wie die Grünen sie per Initiative durchsetzen wollen?

Das finde ich grundsätzlich falsch. Auch da muss – und wird – wieder der Anreiz über das Geld funktionieren.

Aber der funktioniert ja bis jetzt nicht. Moment, ich hab’s mir notiert, hier: Gemäss dem Bundesamt für Energie und Swisssolar könnte mit Solarpanels auf allen geeigneten Dächern und Fassaden mehr Strom produziert werden, als heute die ganze Schweiz verbraucht.

Wie auch immer, heute ist der Strom zu günstig, jetzt wird er natürlich teurer. Das ist ja das Perverse an den internationalen Verwerfungen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise. Erst jetzt hat Energie einen Preis. Die Dekarbonisierung kommt und das ist richtig so. Und sie kommt schneller mit der Technologieoffenheit, welche die FDP sehr unterstützt. Wir können doch jetzt noch nicht wissen, welche Technologie man 2050 und 2060 und 2100 hat.

Also glauben Sie, die Hauseigentümer*innen setzen alle freiwillig Panels aufs Dach?

Ja, wenn es sich lohnt, ein Solarpanel auf das Dach zu setzen, dann kommt das immer mehr, ja.

Und lohnt es sich auch, wenn ich erst gerade mein Haus renoviert habe oder gerade neue Leitungen gezogen habe?

Dann rentiert es sich allenfalls nicht. Ich bin kein Spezialist, ich kenne die räumlichen und technischen Voraussetzungen Ihres Hauses nicht. Aber vom Grundsatz her glaube ich, dass man bei der Technologie offen bleiben muss, nicht zu detailliert planen soll und nicht jetzt schon wissen will, wie eine dekarbonisierte Welt in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts exakt aussehen könnte. Es braucht marktwirtschaftliche Instrumente statt nur auf Verbote oder Fördergelder zu setzen. Dann kommt es gut.

Heute ist es so, dass sich Solarpanels auf dem Dach in Zürich weniger lohnen als in Basel, da die Einspeisevergütung kleiner ist.

Das ist eine Preisfrage. Das ist schlicht eine Preisfrage.

Warten Sie darauf, bis der Strom im Herbst wieder knapper wird? In einer Strommangellage wird der Strom bestimmt teurer.

Dass der Strom teurer wird, ist nicht per se falsch. Dann spart man auch ein bisschen mehr. Doch wenn es zu Ausfällen kommt, wären die Kosten dieser kurzfristigen Verwerfungen grösser. Daher ist das Stromabkommen mit der EU so wichtig.

«Die Schweiz ist zu wenig «streetwise». (...) Viele andere Länder würden einfach einmal unterschreiben, und im Streitfall schauen wir dann weiter.»
Baschi Dürr über die Verhandlungen mit der EU.

Die FDP war massgeblich daran beteiligt, dass das Stromabkommen vereitelt wurde. Die beiden Aussenminister, unter denen das Rahmenabkommen verhandelt und versenkt wurde, sind beide in der FDP, Didier Burkhalter und Ignazio Cassis.

Die FDP war diejenige Bundesratspartei, welche das Rahmenabkommen am meisten verteidigt hat. Eine CVP, eine SVP und eine SP habe ich viel kritischer wahrgenommen. Natürlich hat der Bundesrat zu wenig geführt. Er hat ja auch lange nicht wirklich gesagt, ob er das Rahmenabkommen will, sondern es ein bisschen versanden lassen. Als Bundesrat hätte ich das Rahmenabkommen ins Parlament und dann auch vors Volk gebracht. Gemäss Umfragen hätte das Abkommen Chancen beim Volk gehabt. Bei den Bilateralen hat das Volk immer Ja gesagt.

Ihre Bundesräte hatten keine geschlossene Unterstützung von der Basis. Dass die FDP von den Bundesratsparteien am meisten hinter dem Rahmenabkommen gestanden haben soll, finde ich jetzt doch eine etwas abenteuerliche Interpretation.

Nonemoll, ich geben Ihnen Recht, dass der Bundesrat zu wenig geführt hat – wer auch immer, der Bundesrat ist ein Gremium von sieben Personen. Ich hätte das institutionelle Rahmenabkommen, so wie es da auf dem Tisch gelegen ist, unterschrieben.

Wie ist es denn bei den jetzigen Verhandlungen? Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeber*innen, also Ihre Klientel, definieren schon wieder rote Linien.

Bei was?

Bei den umstrittenen Punkten.

Also von der Wirtschaft höre ich, dass sie sehr darauf drängt, dass sich die Beziehungen normalisieren. Die Detailfragen werden die gleichen bleiben, da bin ich bei Ihnen. Was die flankierenden Massnahmen anbelangt, bin ich als Liberaler als Letzter dagegen, dass dort etwas liberalisiert wird. Und zu den Fragen der Streitschlichtung: Die Schweiz ist da zu wenig «streetwise». Wir überlegen uns schon die hundertste Eventualität, wo es in ein paar Jahren bei einem Unterabkommen ein Problem geben könnte. Viele andere Länder würden einfach einmal unterschreiben, und im Streitfall schauen wir dann weiter.

Was wäre der streetwise Weg?

Die Themen werden die gleichen bleiben. Vielleicht macht man jetzt kein gesamtes institutionelles Rahmenabkommen, sondern arbeitet an entsprechenden Bausteinen für die sektoriellen Abkommen. Aber da wird nichts spektakulär anderes rauskommen als beim Rahmenabkommen.

Baschi Dürr, ehemaliger Regierungsrat und jetziger Nationalratskandidat FDP BS im Gespräch mit Andrea Fopp, Bajour
(Bild: Roland Schmid)

Wie sind wir eigentlich auf die Europa-Politik gekommen? Ah, wegen des Risikos eines Strommangels im Winter. Wollen Sie Atomkraftwerke bauen, wie Parteipräsident Thierry Burkart?

Kernkraft ist kein Tabu, nein. Es ist ja lustig, seit wir aus der Kernkraft aussteigen, wollen wir beim Strom CO2 produzieren. Etwa mit diesem grossen Gas-Kombi-Kraftwerk in Birr, oder wo steht das? Und wenn es bessere Technologien gibt als Kerntechnologie, ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn sich auch in 20, 30,40 Jahren herausstellen sollte, dass Kerntechnologie sinnvoll ist, gibt es keinen Grund, diese jetzt schon bis in alle Zeit zu verbieten.

Wo könnte sich denn Basel-Stadt für ein Atomkraftwerk bewerben? Auf dem Bruderholz hat es vielleicht noch Platz. Oder eignet sich unser Kanton besser für ein Atomendlager?

Man muss ja nicht alles polemisieren. Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass man Lösungen finden muss für den Abfall. Aber nonemoll, jetzt schon einen fixen Plan zu machen, wie die Dekarbonisierung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts aussehen wird, ist falsch. Man muss auf Marktsignale setzen, auf Preise und Technologieoffenheit.

Zusammengefasst: Sie glauben, wenn man den Markt spielen lässt, CO2 bepreist und das Abkommen mit der EU schafft, dann kommt das gut mit dem Klima und dem Strom?

Ja, davon bin ich auf die Länge überzeugt.

Sie haben also keine Angst vor der Klima-Apokalypse?

Nein, ich weiss, dass sie nicht kommt.

Wie wirkt sich das auf die Asylpolitik aus, wenn die Menschen in der Sahelzone oder in Indien kein Wasser mehr haben und zu uns kommen?

Ich sage nicht, dass der Klimawandel überhaupt keine Probleme bringt. Aber wir stehen nicht vor der Apokalypse. Ich finde es gefährlich, wie gewisse Aktivisten aus der semioffiziellen Politik das Ende der Menschheit ausrufen. Es gibt junge Menschen, die haben richtig Angst. Es wird über nichts anderes mehr diskutiert als über den Klimawandel. Die Schwierigkeit des Klimawandels ist nicht, dass es wärmer wird. Sondern der schnelle Wechsel gegenüber dem heutigen Klima. Wir haben immer weniger Resilienz und weniger Reserven, alles ist immer perfekter eingestellt.

Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel in den Bergen. Früher ist ein Hangrutsch gekommen und dann hat man halt die Kartoffeln hundert Meter weiter unten angebaut. Heute stehen da aber schon Häuser und es gehen Leitungen durch und deshalb geht viel mehr kaputt. Die Resilienz unserer weit entwickelten Gesellschaft nimmt ab, das müssen wir adressieren. Und wir müssen die Geschwindigkeit des Klimawandels abbremsen. Daher ist es gut, wenn wir dekarbonisieren.

Das ist eine Schweizer Perspektive.

Nein.

Pauschal gesagt: Im Süden ertrinken Menschen, sie haben kein Wasser, nichts zu essen.

Weltweit sterben heute weniger Menschen wegen Umweltkatastrophen als vor 50 oder 100 Jahren. Es braucht eine Dekarbonisierung, aber ohne Horrorszenarien.

«Es gibt sehr, sehr viel Wohlstand in diesem Land, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird.»
Baschi Dürr über Armut und Umverteilung

Gut. Und was machen Sie für die Menschen vom Mittelstand, die jetzt wegen der Inflation etc. Gefahr laufen, in die Armut abzurutschen?

Was ist jetzt der Kontext zum …

Keiner, das ist das nächste Thema.

Ah, gut, das nächste Thema. Was ist das Thema?

Umverteilung. Die Caritas warnt, dass Menschen des unteren Mittelstands wegen der steigenden Preise, Mietkosten, Krankenkassenprämien etc. drohen, in die Armut abzurutschen. Was unternimmt die FDP dagegen?

Grundsätzlich steht die Schweiz ja im Quervergleich recht gut da. Die Inflation ist deutlich tiefer als im Umland. Was, haben Sie gesagt, steigt, die Wohnkosten?

Ja, wegen des steigenden Referenzzinssatzes. Und auch die Krankenkassenprämien oder die Preise.

Ich glaube, man müsste die einzelnen Sachen für sich anschauen.

Gerne.

Bei den Mietkosten ist das Problem, dass schlicht und einfach zu wenig gebaut wird. Und die schädlichen und kontraproduktiven Mietschutzbestimmungen, bei denen Basel-Stadt Genf noch links überholt hat, sorgen dafür, dass noch weniger gebaut wird, so bekommen wir noch höhere Mieten.

Kann denn in diesem «Markt» die Nachfrage überhaupt je befriedigt werden? Der Platz in der Stadt ist begrenzt, man kann nicht unendlich bauen.

Ja, man kann in die Höhe bauen und verdichten. Diese Stadt hatte in den 70er Jahren etwa 240’000 Einwohner bei viel weniger Wohnraum. Heute wollen wir mehr Platz, das ist primär ein Zeichen von Wohlstand, nicht von Armut. Es gibt sehr, sehr viel Wohlstand in diesem Land, auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird.

Die SP sagt, dass Vermieter*innen häufig mehr Rendite erwirtschaften, als eigentlich erlaubt ist. Das hat auch eine Raiffeisen-Studie gezeigt.

Aber das sind wieder so politische, wie soll ich dem sagen, Ideen, dass es ein Richtig oder Falsch gibt, welches man berechnen kann. Wie eine Oberrendite.

Ja, gut, das steht im Gesetz.

Das heisst ja nicht, dass ich das richtig finde. Gesetze muss man einhalten, da bin ich bei Ihnen. Ich kann nicht beurteilen, was im Einzelnen allenfalls rechtlich falsch oder richtig läuft. Aber mein Punkt ist: Solche Gesetze führen dazu, dass es weniger Wohnraum hat. Ganz simpel. Und wenn wir wollen, dass es noch exklusiver wird, in Basel zu wohnen, müssen wir weiter solche Gesetze machen.

Die Linken wollen kontrollieren, dass die Mieten dem Gesetz entsprechen und nicht zu hoch sind.

Sie können immer versuchen, ein paar Mieten künstlich irgendwie tief zu halten. Sie können auch staatlichen Wohnungsbau machen und dann sind Gewisse subventioniert, die glücklicherweise in einer Staatswohnung wohnen. Aber damit lösen Sie das Problem als solches nicht. Sie lösen das Problem, wenn Sie den Preis frei lassen und wenn Sie die Leute Angebote schaffen lassen, wenn es eine Nachfrage gibt.

Baschi Dürr, ehemaliger Regierungsrat und jetziger Nationalratskandidat FDP BS im Gespräch mit Andrea Fopp, Bajour
(Bild: Roland Schmid)

Das sind ja alles recht theoretische Diskussionen, nicht?

Nein, das sind überhaupt keine theoretischen Diskussionen.

Können Sie denn Beispiele nennen von vergleichbaren Städten, in denen man die Wohnungsproblematik mit Deregulierung gelöst hat?

Dass es in Genf schwierig ist, wissen wir.

Aber ist es irgendwo besser? Hat man irgendwo die Wohnungsnot gelindert, indem man Investor*innen mehr Freiheiten gegeben hat?

Wie wollen Sie das messen? Es gibt einfach Städte, die grösser sind und wo mehr Menschen wohnen. Sie sehen ja jetzt schon in Basel, dass sich Investoren zurückziehen.

Die Wem-gehört-Basel-Recherche von Bajour hat gezeigt, dass die Mieten in Basel unter anderem auch deswegen gestiegen sind, weil grosse Anlagestiftungen und Versicherungen das Maximum rausholen. Ihr Parteikollege Andreas Zappalà vom Hauseigentümerverband hat das bestätigt.

Zu Ihrer Recherche: Da kann man auch einfach mal in das Grundbuch schauen, wem was gehört.

Haben wir ja, mit Hilfe von tausenden von Freiwilligen.

Solange man das Angebot knapp hält, ist es immer ein Anbietermarkt, ja. Und dann können diese mehr verlangen. Es kann ja auch Situationen geben, in denen zu viel gebaut wird und dann hat man auf einmal einen Mietermarkt.

Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Hat Basel in den letzten Jahren vielleicht die falschen Investor*innen angelockt?

Es ist doch einem Investor nicht zu verargen, wenn er seine Rendite maximieren will. Mit einem funktionierenden Markt muss er sich am Ende des Tages mässigen, weil er sonst keine Mieter findet.

«Parteien, die sagen, dass sie die Prämien radikal runterkürzen können, versprechen wahrscheinlich zu viel.»
Baschi Dürr über die hohen Gesundheitskosten

Und wie würden Sie marktmässig gegen die steigenden Krankenkrassenprämien angehen?

Das ist sicherlich ein schwieriges Thema. Ich glaube, die Durchschnittsfamilie zahlt mehr Krankenkassenprämien als Steuern in diesem Land. Parteien, die sagen, dass sie die Prämien radikal runterkürzen können, versprechen wahrscheinlich zu viel.

So wie die FDP mit ihrem kürzlich veröffentlichten Programm?

Die FDP verspricht keine Halbierung der Prämien. Es ist letztlich Ausdruck des Wohlstands, dass Menschen so viele medizinische Leistungen nachfragen. Und der hohen Lebenserwartung, die ganz teuren Leistungen kommen ja meistens am Schluss des Lebens.

Die Preise von Behandlungen sind teilweise auch zu hoch. Daher fordert die Mitte eine Kostenbremse.

Der Haupttreiber ist die Nachfrage. Und die wird noch steigen, es gibt also keine einfachen Lösungen. Aber die Idee meiner Partei finde ich gut.

Welche Idee? Die FDP hat verschiedene präsentiert.

Die Budget-Krankenkasse. Es braucht ein bisschen Mut, diese Idee zu bringen. Den hat meine Partei. Wir stehen für Lösungen, nicht nur für irgendwelche plakativen Sprüche.

Dann bleiben wir doch bei den Inhalten und nicht bei den Sprüchen.

1:1!

Können Sie die Budget-Krankenkasse erklären?

Die Idee ist, dass man zum Beispiel einen höheren Selbstbehalt wählen kann, dass man bei den Leistungserbringern eingeschränkt ist oder gewisse Leistungen nicht mehr inklusive hat.

Welche Leistungen sind das?

Das müsste man im Detail anschauen.

Patient*innenorganisationen haben Angst, dass dieses Modell zulasten von chronisch Kranken geht, die immer noch mehr zahlen müssen.

Nein, auch die können sich entscheiden. Die Budgetkrankenkasse ist nicht nur für junge Gesunde gedacht. Sondern individuell zugeschnitten. Es geht nur darum, dass man nicht so viele Leistungen beziehen kann wie bei einem All-you-can-eat-Buffet.

«Ich bin gegen jeden Franken, den Bundes-Bern für Kitas ausgibt.»
Baschi Dürr über die Kinderbetreuung.

Ein grosser Armutsfaktor sind laut Caritas die Kitakosten im Land. Unterstützen Sie das Ansinnen, dass der Bund 700 Millionen Franken in die Kinderbetreuung investiert?

Ich bin gegen jeden Franken den Bundes-Bern für Kitas ausgibt.

Weil es eine kantonale Frage ist?

Ja. Oder gar eine kommunale Frage. Für Basel-Stadt kommt dazu, dass jeder Franken, der über Bern dreht, für Basel teurer ist: Wir zahlen mehr, als wir bekommen.

Wegen des Finanzausgleichs?

Nicht direkt. Mehr wegen der Bundessteuer und anderer Abgaben. In Basel-Stadt leben viele wohlhabende Menschen.

Die Schweiz hat die teuersten Kitakosten der europäischen OECD-Länder.

Die Schweiz hat meistens das Teuerste von allem. Vielleicht müssen wir am Perfektionismus arbeiten. Ich sehe selber in der Kita meiner Kinder, was es dort alles an Auflagen gibt. Und sogar Mittagstische brauchen ein pädagogisches Konzept.

Ist das nicht wegen der Frühförderung und der Integration? Studien zeigen, dass gerade Kinder mit bildungsfernen Eltern profitieren, wenn sie in eine Kita gehen.

Ich glaube nicht, dass jeder Mittagstisch, an dem Kinder anständig und mit einem guten Essen betreut werden, ein pädagogisches Konzept braucht, welches die Kosten in die Höhe treibt. In Basel-Stadt ist es ja nicht so, dass die Kitas zu wenig subventioniert werden.

Sind sie eigentlich für eine Wehrpflicht für Frauen? Oder für eine Abschaffung der Armee?

Weder für das eine noch das andere. Ich bin der Wehrpflicht gegenüber immer skeptisch gewesen. Gerade auch mit der neuen Erkenntnis zur Sicherheitslage in Europa und der Welt bin ich überzeugt, dass wir eine Armee brauchen. Aber wir müssen mehr auf professionelle Kräfte setzen.

Letzte Frage: Sind Sie für die Vierviertel-Initiative?

Was ist das?

Ausländer*innen sollen sich leichter einbürgern lassen können. Beispielsweise sollen sie bereits nach fünf Jahren den roten Pass anfordern können und müssen nicht mehr jahrelang in derselben Gemeinde leben.

Ich müsste es im Detail anschauen. Aber es ist so, dass man die Einbürgerung vielleicht da und dort etwas erleichtern könnte, namentlich was die lange Zeit von zehn Jahren ohne Wohnortswechsel anbelangt.

luca-onniboni-4v9Kk01mEbY-unsplash
Hier müsste eine gescheite Werbung hin.

Aber wir sind im Kopf grad bei den Wahlen.

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Bei Bajour als: Journalistin.

Hier weil: Das Hobby meines Mannes finanziert sich nicht von alleine.

Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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