Wie der Freisinn mit der Asylpolitik hadert
Einzelne FDP-Politiker aus Basel wechseln zur SVP. Ein Trend ist das noch nicht, heisst es im Präsidium. Derweil fordern die Freisinnigen auf nationaler Ebene eine strengere Migrationspolitik. Politologin Denise Traber ist skeptisch, dass sich so liberale Wähler*innen zurückgewinnen lassen.
In den ersten Januarwochen wimmelt es traditionell auf der Selbstvermarkungs-Plattform LinkedIn von Posts «in eigener Sache»: Mit Jobwechseln und «neuen Herausforderungen» werden Likes gesammelt. So auch beim Aargauer Nationalrat Matthias Jauslin, der jüngst seinen Parteiwechsel von der FDP zur GLP verkündete. Er könne die Ausrichtung der FDP nicht mehr mittragen, schrieb er auf LinkedIn. Ihm fehle das Commitment seiner Partei in der Umwelt- und Klimapolitik.
Es ist einige Jahre her, dass die FDP auf nationaler Ebene versucht hat, sich einen grünen Anstrich zu geben. Das war unter Petra Gössi. Nun heisst der Parteichef Thierry Burkart und seine Strategie zur Profilierung der freisinnigen Partei, die sich auf dem Abwärtstrend befindet, ist eine strengere Migrationspolitik. Im Oktober 2024 wurde mit dem Positionspapier «Hart aber fair» der Ton zu Migration und Asyl verschärft.
Diese Strategie kommt nicht aus dem Nichts: Eine Auswertung der Wähler*innenwanderung bei den Eidgenössischen Wahlen 2023 zeigt, dass die FDP vor allem Wähler*innen in Richtung SVP verloren hat. Und die SVP wiederum merkt, dass sie zunehmend auch im traditionellen FDP-Milieu punkten kann. Das bestätigt der Basler SVP-Präsident Pascal Messerli: «Einige Neumitglieder sagen mir, dass sie früher bei der FDP oder auch bei der LDP waren oder sie zumindest gewählt haben – und jetzt wegen der Migrations- und Europapolitik zur SVP gewechselt sind.»
«Den roten Faden meiner persönlichen Überzeugungen habe ich bei der FDP nicht mehr gefunden.»Marlon Schick, Jungpolitiker SVP
Einer davon ist Marlon Schick: Noch im Oktober 2024 stand der 20-Jährige auf der Riehener Liste der FDP für die Grossratswahlen. Ende November gab er dann auf X bekannt, jetzt zur SVP gewechselt zu sein. Aus einem FDP-Elternhaus stammend, waren es die «typischen SVP-Themen» Migration und Sicherheit, die den Jungpolitiker zum Parteiübertritt bewegt haben: «Es liegt nicht daran, dass die FDP eine schlechte Partei wäre. Den roten Faden meiner persönlichen Überzeugungen habe ich einfach bei der Partei nicht mehr gefunden, sondern bei der SVP.»
Und Schick ist nicht der einzige Basler FDP-Grossratskandidat, der nach den Wahlen bei den Freisinnigen austrat und sich jetzt bei der SVP engagiert. Auch bei Iman Ahmed ist ein solcher Wandel zu beobachten. Seit einiger Zeit wirbt der 58-Jährige auf Social Media für die Grenzschutzinitiative der SVP. Über seine Motivation für den Parteiwechsel zur SVP möchte er nicht öffentlich reden, es sei eine individuelle Entscheidung.
Woher kommt die zunehmende Attraktivität der SVP im freisinnigen Lager? Denise Traber, Professorin für Politikwissenschaften an der Uni Basel, erklärt, dass Wähler*innen in Zeiten von grosser Unsicherheit und Krieg zu «Law-and-Order»-Parteien tendieren, «also ist es gut möglich, dass auch ein Teil der FDP-Wähler*innenschaft nach rechts gerückt ist». Hinzu komme, dass die SVP im Unterschied zu anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa eine sehr liberale Wirtschaftspolitik verfolge («auch wenn sie das nicht an die grosse Glocke hängt»). Für wirtschaftsliberale eingestellte Wähler*innen ist die SVP damit kein No-Go.
«Ich höre auch von unseren Mitgliedern, dass sie sich klare Ansagen der FDP zur Zuwanderung wünschen – aber aus einer liberalen Perspektive.»Johannes Barth, Präsident FDP Basel-Stadt
Bei der Basler FDP selbst ist man nicht alarmiert, nur weil zwei vereinzelte Mitglieder zur SVP gewechselt sind und das öffentlichkeitswirksam mitteilen. Dramatisch würde es erst, wenn scharenweise FDP-Mitglieder zur SVP wechseln wollten, findet Präsident Johannes Barth: «Derzeit findet keine signifikante Abwanderung statt.» Vor vier Jahren hätten sich manche Mitglieder bei der GLP «bessere Wahlchancen erhofft», jetzt sei es eben die SVP. Und es schwingt mit: Lieber wechselt man zur SVP als zur GLP, denn damit bleibt man immerhin im gleichen politischen Lager.
Bis 1999 hatte die FDP noch zwei Sitze in der Regierung, seit 2021 ist es keiner mehr. Und im Parlament sind die Freisinnigen zuerst hinter die SVP, dann hinter das GAB und dann hinter die LDP gerutscht. «Ich rechne nicht damit, dass wir bei den nächsten Wahlen fünf Prozent mehr machen», sagt Barth. «In einem städtischen Umfeld mit vielfältiger Bevölkerung, vielen jungen Studenten und viel Armut vertreten wir mit einem wirtschaftsliberalen Politikansatz eine Minderheit.»
Der Stimmenanteil im «liberalen Lager» sei aber stabil geblieben. Heisst: Die Verschiebungen von LDP und FDP, welche national beide Teil der FDP sind, halten sich in etwa die Waage. Regierungswahlen hingegen seien eine Frage von personellen Ressourcen und Timing – «beides war bei der LDP zuletzt besser als bei der FDP», so Barth: «Mit zwei LDP-Sitzen in der Regierung wird die Rückkehr der FDP schwierig.» Der Hauptfokus sei aber sowieso, dass man die bürgerliche Mehrheit in der Regierung erreicht.
Dennoch findet es Johannes Barth nicht falsch, dass seine Partei auf nationaler Ebene Migrationspolitik in den Fokus rückt: «Zuwanderung ist eines der obersten Themen im Sorgenbarometer, wir müssen es ernst nehmen. Ich höre auch von unseren Mitgliedern, dass sie sich klare Ansagen der FDP wünschen – aber eben aus einer liberalen Perspektive, nicht so wie bei der SVP, die die Zuwanderung auf eine 10-Millionen-Schweiz begrenzen will.»
«Es gibt einige Forschung, die zeigt, dass die Leute das Original wählen möchten.»Denise Traber, Politologin
Kann diese Strategie aufgehen? Politologin Denise Traber hat ihre Zweifel. Wenn liberale Parteien eine restriktivere Migrationspolitik forderten, habe das selten Erfolg – zumindest, wenn eine bekannte rechtspopulistische Partei vorhanden sei: «Es gibt einige Forschung, die zeigt, dass die Leute das Original wählen möchten.» Die FDP fahre bereits seit den frühen 2000ern einen härteren Kurs in der Migrationspolitik – «wenn man die Wähler*innenanteile anschaut, scheint diese Strategie nicht wirklich erfolgreich zu sein». Im Gegenteil würden eher die rechtspopulistischen Parteien profitieren, wenn liberale Parteien sich ihren Positionen anpassen.