Der Volkswille als Tiger ohne Zähne
Die Wohnschutzkommission verhindere Sanierungen und Umbauten, finden Hauseigentümer*innen und Investor*innen. Die BaZ fordert bereits mehr Hauseigentümer*innenschutz, während die nächste Wohnschutz-«Durchsetzungs»-Initiative angedacht wird. Eine Einordnung.
Aus demokratischer Sicht ist alles klar. Die mehrheitlich rot-grüne Basler Stimmbevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren gleich mehrfach für einen stärkeren Wohnschutz ausgesprochen. Die Basler*innen hatten offenbar genug von Massenkündigungen und Mieten, die in die Höhe schnellten. Zuletzt wurde im November 2021 die Initiative des Basler Mieterinnen- und Mieterverbands (MV) «Ja zum echten Wohnschutz» bei rekordhoher Stimmbeteiligung mit 35'249 Ja-Stimmen angenommen. Das Gesetz ist seit Mai 2022 in Kraft, seither gilt aufgrund der Wohnungsnot faktisch ein Abrissverbot (siehe Box).
Im Stadtkanton wurde in der Folge eine – ebenfalls von der Stimmbevölkerung legitimierte – Wohnschutzkommission (WSK) eingerichtet. Das Gremium legt die maximal zulässigen Mietzinsaufschläge fest. Über die Bewilligung von Sanierungs- und Umbauprojekten entscheidet weiterhin das Bauinspektorat.
Die angenommene Initiative hat zum Ziel, die Wohnbevölkerung vor Verdrängung und Vertreibung aus ihren Mietwohnungen zu schützen. Dies soll mit der Verpflichtung auf sanfte Sanierungen anstelle von renditeträchtigen Totalsanierungensowie mittels ökologischer Renovation der jetzigen Wohnhäuser anstelle von Abbruch und Neubauten geschehen.
Eine Abrissbewilligung soll demnach in Zeiten der Wohnungsnot – wenn weniger als 1,5 Prozent aller Wohnungen im Kanton leer stehen, und das ist derzeit der Fall – nur erteilt werden, wenn trotz der Anwendung zusätzlicher strenger ökologischer (Stichwort: Graue Energie) und sozialer Kriterien ein Neubau besser abschneidet als der Erhalt der bestehenden Wohnhäuser. Selbst in einem solchen Fall müssen aber die neuen Wohnungen in derselben Kategorie verbleiben wie die abzubrechenden, sie dürfen also nicht deutlich teurer werden.
Doch seit das Gesetz in Kraft ist, gibt es Streit. Einerseits um die Besetzung der Wohnschutzkommission und um die Person von Beat Leuthardt. Er war ehemaliger Leiter der Rechtsabteilung des Basler MV sowie Basta-Grossrat, heute sitzt er in der Wohnschutzkommission. Leuthardt berät den Basler MV aber weiterhin. Seine Doppelrolle ist durchaus heikel.
Zudem dreht sich der Streit um die Frage, ob Sanierungen und Umbauten mit dem neuen Gesetz de facto verunmöglicht werden. Immer wieder melden sich Eigentümer*innen, die sagen, sie könnten nichts mehr machen und finden in der BaZ seitenlang Gehör. Prominentestes und jüngstes Beispiel: Hauseigentümer Hans Imbach, der über ein Jahr lang auf die Bau- beziehungsweise Abbruchbewilligung für eine ganze Häuserzeile an der Riehener Rainallee warten musste – und dadurch Geld verlor.
Am Samstag schrieb BaZ-Autorin Katrin Hauser in ihrem Leitartikel dann zusammenfassend: Hauseigentümer*innen zu piesacken, sei nicht die Lösung. Und kritisiert den MV Basel «als von seinem Wesen her noch konservativer als der Gewerbeverband, der gefühlt jedem entschwundenen Parkplatz nachtrauert». Der MV wolle den Basler Wohnungsbestand sozusagen einfrieren.
«Sanierungen und Neubauprojekte müssen für Vermieter attraktiver werden.»Katrin Hauser, BaZ-Autorin
Die BaZ-Autorin plädiert dafür, dass Sanierungen und Neubauprojekte für Vermieter*innen attraktiver werden müssen. Und dreht den Spiess um: «Um Klima- und Wohnungsnot zu lindern, muss man ihnen etwas entgegenkommen.» Denn: Man werde in diesem Kanton noch enorm auf die Eigentümer*innen angewiesen sein. Die BaZ fordert also Eigentümer*innen- statt Mieter*innen-Schutz.
Obwohl Basler Stimmbürger*innen den Wohnschutz schon mehrfach bekräftigt haben, wird immer noch darum gestritten. Warum?
Die Bürgerlichen sagen, der Wohnschutz sei nicht umsetzbar; der Hauseigentümer*innenverband sieht in den zusätzlichen Bewilligungsverfahren den Grund für die Verzögerungen. Die Linken finden wiederum, die Behörden wollten oder könnten den Wohnschutz nicht richtig umsetzen und verweisen auf einen Stau beim Bauinspektorat. Vor allem aber müsse die Wohnschutzkommission dringend mehr Befugnisse erhalten, um echten Wohnschutz gewährleisten zu können. Bis anhin, da ist man sich einig, ist dieses nicht mehr als ein zahnloser Tiger.
Ihre Halsschlagadern erst richtig zum Pochen brachte Ende vergangener Woche dann der bisher letzte Akt im Drama Rainallee: Das Bauinspektorat hat doch noch grünes Licht gegeben für den Abbruch der besagten Häuserzeile.
Weder soziale noch ökologische Kriterien berücksichtigt
Pascal Pfister, Co-Präsident des Basler MV sowie SP-Grossrat, findet das «schlecht», wie er zu Bajour sagt. Und weiter: «Der Investor darf trotz des neuen Gesetzes seine Neubauten hochziehen, obwohl diese keinen herausragenden ökologischen Wert aufweisen. Die bezahlbaren Wohnungen werden so durch teurere ersetzt.»
Der MV Basel hatte bereits zwei Mal Einsprache gegen das Projekt erhoben – und bezieht sich dabei unter anderem auf das faktische Abrissverbot in Zeiten der Wohnungsnot. Bei der ersten Einsprache war noch Beat Leuthardt dessen Co-Geschäftsführer.
Kritisiert wird insbesondere, dass das Bauinspektorat weder soziale noch ökologische Kriterien bei der Abrissbewilligung berücksichtigt habe. Aus Sicht des Bauinspektorats ist dies auch gar nicht nötig, wie dem Entscheid zu entnehmen ist. Lediglich die Wohnschutzkommission müsse ökologische Kriterien mitberücksichtigen, doch deren Kompetenz beschränkt sich eben lediglich auf die Festlegung der Mieten in Neubauten.
Leuthardt sagt auf Anfrage: «Die Wohnschutzkommission hat nichts zu sagen. Die Basler Wohnpolitik wird von A bis Z vom Bauinspektorat gesteuert.» Mit anderen Worten: Die Kommission, die geschaffen wurde, um soziale und ökologische Fragen bei Baubewilligungen und Bauabbrüchen durchzusetzen, habe bei Baubewilligungen und Bauabbrüchen nichts zu sagen. Wenig überraschend findet auch Pfister: «Die Wohnschutzkommission muss gestärkt werden.»
Da die Abrissbewilligung vom Basler MV als eine «Aushöhlung der gesetzlichen Vorgaben» empfunden wird, ist nicht auszuschliessen, dass er innerhalb von 30 Tagen Rekurs einlegen wird. Das letzte Wort ist noch immer nicht gesprochen.
Hätschelt oder vertreibt Basel seine Investor*innen?
Ausserdem reichte am Freitag der bürgerliche LDP-Grossrat Lukas Faesch eine Interpellation ein; er möchte vom Regierungsrat nun unter anderem wissen, ob dieser sich bewusst sei, welche Wirkungen das «unberechenbare Verhalten» auf zukünftige Investor*innen in Basel habe.
Die Antwort darauf dürfte wohl Ja lauten. Oder wie sonst lässt sich erklären, dass die Behörden – im Fokus steht insbesondere das Präsidialdepartement, wo die Wohnschutzkommission angesiedelt ist – sich derart passiv verhalten und zuschauen, wie die gewählte Institution derzeit durch die Gosse gezogen wird?
Das ist einigermassen erstaunlich, hatte doch Vorsteher Beat Jans (SP) direkt nach der Abstimmung deutliche Worte gewählt, die mehr an einen Genossen als an einen Regierungsrat erinnern: «Das Volk will mehr Mietschutz.» Das Ja deutete er als «klares Signal».
«Auch die Anliegen der gewichtigen Minderheit sind zu respektieren.»Beat Jans, Vorsteher Präsidialdepartement
Gleichzeitig bekamen sich die beiden Beats – Leuthardt und Jans – gemäss Medienberichten wegen der Umsetzung damals gleich in die Haare, weil Jans auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Gewinner*innen pochte («Auch die Anliegen der gewichtigen Minderheit sind zu respektieren.»). Leuthard drängte hingegen darauf, dass das Gesetz nun eins zu eins umgesetzt und nicht schon wieder «heruntergeschwurbelt» werde. Er hätte Jans wohl am liebsten gleich das ganze Dossier Wohnen entzogen, war er doch der Meinung, Jans hätschle die Investor*innen.
Jans war am Wochenende für Bajour nicht erreichbar. In einem Interview mit der BaZ soll er die Schwierigkeiten mit dem strengen Wohnschutz aber bereits benannt und Lösungen in Aussicht gestellt haben.
Während sich die Hauseigentümer*innen also mehr Entgegenkommen wünschen, liebäugeln Miet- und Wohnschutzkreise bereits mit einer nächsten Initiative: Diese soll einen Wohn- und Abbruchschutz sowie einen Klima- und Bürokratieschutz beinhalten. Sozusagen die Durchsetzungsinitiative der Durchsetzungsinitiative.
Wird dann alles besser? Wohl kaum. Es scheint, als würde umso härter gestritten, je deutlicher sich die Stimmbevölkerung ausdrückt.
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