Bullwinkels Blickwinkel

Kindergeschrei oder Investor*innen-Gejammer?

Die Hälfte der Basler Haushalte wird von nur noch einer Person bestritten. Gerade für junge Familien wird der Platz in der Stadt immer unerschwinglicher. Gefordert ist der städtische und der soziale Wohnungsbau, kommentiert Ina Bullwinkel.

Wohnen Woko Familien
Immer mehr Familien müssen aus finanziellen Gründen in die Agglo abwandern. (Bild: Adobe Stock)

Der Gedanke, als vier- oder fünfköpfige Familie in Basel eine Wohnung finden zu müssen, löst existenzielles Unbehagen aus, selbst wenn man nicht persönlich betroffen ist. Bei Wohnungen mit fünf und mehr Zimmern beträgt die Leerstandsquote lediglich 0,3 Prozent. Eine Wohnung mit fünf Zimmern kostet im Schnitt 2800 Franken pro Monat.

Fast die Hälfte der Haushalte in Basel besteht nur noch aus einer Person, wie eine aktuelle Studie zeigt. Das ist eigentlich logisch. Zum einen kommen viele junge Menschen (alleine) zum Arbeiten nach Basel, andererseits werden die Menschen immer älter und das Angebot an grösseren Wohnungen ist extrem knapp. Und irgendwo dazwischen kämpfen die mehrköpfigen Familien um jeden Quadratmeter.

Wer Glück hat (oder gute Kontakte) findet etwas Bezahlbares, vielleicht in einer Genossenschaft. Der Rest muss in die Agglo. Ein städtischer Wohnungsmarkt, der allein auf Glück basiert, sollte nicht der Anspruch einer überalterten Gesellschaft sein, die eigentlich mehr Platz für Familien schaffen sollte.

Daran, dass sich die renditegetriebenen Wohnungsmieten irgendwann Rentner*innen und Normalverdiener*innen nicht mehr leisten können, hat lange niemand gedacht.

Wobei die Situation in Basel für Mieter*innen fast schon Luxus ist – im Vergleich zu Zürich. Besser zu sein als die grösste Schweizer Stadt, in der Leerkündigungen für finanziell attraktive Totalsanierungen noch an der Tagesordnung stehen, ist aber auch nicht sonderlich schwer. In Basel ist durch den strengen Wohnschutz inzwischen eher das Gegenteil der Fall. Kollektiv fliegt kaum noch jemand raus. Dafür gehen sehr viel weniger Baugesuche ein.

Trotzdem ist Basel schweizweit Vorbild im Bereich des Wohnschutzes geworden. In Zürich wird im Zuge der national berühmt gewordenen «Sugus-Häuser» das Sammelkündigungsverbot nach Basler Vorbild diskutiert. Vorbild zumindest für Mieter*innen und Linke. Der Hauseigentümerverband und Bürgerliche sehen das anders und plädieren für den freien Markt, der die Mieten vor allem in eine Richtung regelt: nach oben.

Schuld daran haben zu einem nicht sehr kleinen Teil auch die Pensionskassen und Versicherungen mit ihren Investitionen in Wohneigentum beziehungsweise wir alle selber. Eine Rendite aus Immobilien zu ziehen für die Pension ist auf den ersten Blick ein gutes Geschäft. Daran, dass sich die renditegetriebenen Wohnungsmieten irgendwann Rentner*innen und Normalverdiener*innen nicht mehr leisten können, hat lange niemand gedacht.

Neue Wohnungen müssen – vor allem für normale Familien – bezahlbar sein. Sonst kann sich die Stadt das Wachstum gleich sparen.

Klybeckplus, Lysbüchel/Voltanord, Dreispitz – hier sollen insgesamt Hunderte neue Wohnungen entstehen, quasi ganz neue Quartiere mit Restaurants, Parks, Schulen und Supermärkten (und damit auch neuen Arbeitsplätzen). Wenigstens hat die Stadt noch Raum zum Wachsen. Aber auch hier gilt: Die neuen Wohnungen müssen – vor allem für normale Familien – bezahlbar sein. Sonst kann sich die Stadt das Wachstum gleich sparen.

«Es gibt kein Recht, in der Stadt Zürich zu wohnen», sagte der Leiter Immobilien Schweiz, Reto Schär, einmal in einem Interview mit Tsüri. Das stimmt, so wie es auch kein Recht darauf gibt, in Basel zu wohnen. Aber wenn man dann vor lauter urbaner Renditejägerei und möblierten Appartements für die werktätige Bevölkerung irgendwann in die Agglo fahren muss, um mal wieder Kinder zu hören, kann sich die Stadt fragen, ob sie nicht doch noch einen Zahn zulegen sollte, bei der Bereitstellung von erschwinglichem Wohnraum. Wenn ich zwischen Kindergeschrei und Investor*innen-Gejammer wählen muss, fällt mir die Entscheidung nicht schwer.

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