Die Klimakrise und ihre Bücher

In seinem neuen Roman beschäftigt sich der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson mit einer hypothetischen Zukunft in der Klimakrise. Wie Literatur ein Warnsystem sein kann und wie wir unsere Gegenwart nicht als Fatalität ansehen sollen, erzählt Moderator Christoph Keller anlässlich der Lesereihe «Climate Fiction».

Science Fiction-Stadt
Eine Stadt in der Hitze.

«We experienced the rising temperatures first hand down there», – die Klimaerwärmung hätten wir im Raum gerade an erster Hand mitbekommen – meinte Anna, eine Roche-Mitarbeiterin aus Vevey, nach der Lesung am Dienstagabend. Der amerikanische Science-Fiction Autor Kim Stanley Robinson stellte im Tresorraum der UM seinen neuen Roman «Das Ministerium für die Zukunft» vor. 

Es war warm im Saal, die Zuschauerzahl wurde vorgängig wohl unterschätzt, die Stühle zu knapp. Robinson, der – online zugeschaltet – auf einer Leinwand vor dem Moderationstisch Fragen von Moderator Christoph Keller beantwortete, sprach mit breitem kalifornischem Akzent und gerne etwas ausführlich. Für die Publikumsrunde blieb dann weniger Zeit als geplant, trotzdem wurde diskutiert: über die technischen Beschreibungen im Buch, über die «Angstlust» mit der viele Leser*innen das Buch lesen würden, weil es uns ja gut geht, über die Frage, ob das nun ein dystopischer oder ein realistischer Roman ist.

Ein Pessimist sei der Autor nicht, meint Christoph Keller. Im Interview mit Bajour spricht der Moderator über die Lesereihe, den Roman und die «fatale Normalität» der Klimakrise.

Climate Fiction
Climate Fiction – wenn Literatur bewegt

Die Lesereihe «Climate Fiction – wenn Literatur bewegt» beschäftigt sich vom 5. September bis am 23. Oktober mit sieben Autor*innen, die in ihren Büchern die Klimakrise auf verschiedenste Weise thematisieren. Die Reihe ist eine Kooperation von Literaturspur, der Buchhandlung Seitenblick und podcastlab.ch. Die Lesungen werden jeweils an Orten in der Stadt gehalten, die mit dem Thema «Klima» in Verbindung stehen. Den Auftakt zur Lesereihe machte die Lesung mit Kim Stanley Robinson und seinem Roman «Das Ministerium für die Zukunft» am Dienstagabend im Unternehmen Mitte. Die nächste Lesung thematisiert Francisco Micieli mit seinem Buch «Plus 1,5 Grad Celsius» am 12. September im Rhybadhysli St. Johann.

Christoph Keller, das Buch von Kim Stanley Robinson spielt ja unter anderem in Zürich. Wie beschreibt er die Haltung der Schweiz zu den Geschehnissen?

Das ist interessant. Kim Stanley Robinson zeichnet eine Art Idylle von dieser Schweiz. Es gibt sehr viele Beschreibungen von Zürich, die Menschen gehen ins Utoquai, um zu baden. Die Protagonistin, Mary Murphy, ist immer wieder unterwegs in den Alpen. Diese Schweiz wird ein Stück weit idyllisiert, spielt aber letztlich dann in der ganzen Romanhandlung keine Rolle. Die Schweiz ist mehr Kulisse. Da ist Kim Stanley Robinson sehr realistisch. Die entscheidenden Fragen in seinem Roman werden nicht in der Schweiz entschieden, sondern in San Francisco, in New York, in London, in Delhi.

Sollte Kim Stanley Robinsons Skizze einer dystopischen Zukunft als Warnung an die Gegenwart interpretiert werden? 

Kim Stanley Robinson ist kein Pessimist, obwohl er am Anfang diese schreckliche Hitzewelle in Indien mit zwanzigtausend Toten beschreibt. Letztlich glaubt er an die Menschheit, er glaubt an die Technik, und er glaubt in gewisser Weise auch, dass es möglich ist, mit den Mitteln des Kapitalismus die Dominanz der fossilen Energien und der Konzerne zu brechen, sie also gewissermassen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Interessanterweise beschreibt er weniger eine dystopische Zukunft, sondern mehr realistische, mögliche Entwicklungen. Er beschreibt sehr präzise, was für unglaubliche Kämpfe es braucht, bis dieses Mindset, diese Haltung, diese fatale Normalität, in der wir heute leben, sich verändert.

«Some people said: Human beings are smart, they can adapt to anything. I do not believe in that.»

von Kim Stanley Robinson, über den Klimawandel

Weshalb braucht es die Climate-Fiction-Lesereihe?

Klima ist aus unserer Sicht das Megathema unserer Zeit. Und wir sind überzeugt, dass jedes Megathema auch seine eigenen Erzählungen hat, und das Klimathema ist nun mal ein historisches, ein zentrales Ereignis unserer Zeit. Jede grosse Bewegung hat ihre Literatur, so wäre beispielsweise der Feminismus undenkbar ohne seine Erzählungen von Autorinnen wie Virginia Woolf, von Simone de Beauvoir und von Iris von Roten. Genauso ist es aus unserer Sicht mit dem Klimathema. Auch das Klima hat seine grossen Stimmen, mittlerweile.

Kann Literatur ein Sprachrohr für gegenwärtige Probleme sein?

Literatur ist in dem Sinne einzigartig, dass sie erstens einen Erzählungsraum eröffnet für Fantasie, für andere Welten, für komplexe Geschichten. Dieses Geschichten-Erzählen kann man sich nicht nur als Sprachrohr für gegenwärtige Probleme vorstellen, sondern auch als Raum, in dem eine zukünftige Entwicklung vorweggenommen werden kann. Wie könnte unsere Zukunft aussehen? Wie könnte ein Leben im Einklang mit Natur und Klima aussehen, beispielsweise? Die zweite Funktion von Literatur ist, dass sie als Frühwarnsystem fungieren kann. Die deutsche Autorin Judith Schalansky spricht von Literatur als «a canary in the coal mine». Literatur habe also die Funktion der Kanarienvögel in den Minen, die Minenarbeiter vor Sauerstoffmangel und damit vor dem sicheren Tod warnten. 

  • Kim Stanley Robinson
    Der Autor Kim Stanley Robinson
  • Christoph Keller und Remi Jaccard
    Christoph Keller und Rémi Jaccard

Und Literatur hilft dabei, komplexe Vorgänge zu verstehen? 

Das Klimathema ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Hinein spielen unsere individuellen, hedonistischen und eingeübten Alltagspraktiken wie Fliegen, Reisen, Komfort und Konsum. Hinein spielen weiter Machtstrukturen, ausgehend von Erdölkonzernen, internationalen Konzernen im Allgemeinen, und es geht um politische Macht, immer. Hinein spielt schliesslich auch, was die Gesellschaft machen kann – wir als Individuen und wir als Zivilgesellschaft – um dieses Problem zu lösen. Deshalb ist Literatur derart wichtig. Literatur ist der Ort, an dem Komplexitäten in ihrer ganzen Vielfalt erzählt werden können.

Die Klimaerwärmung hat so in Science-Fiction – wie auch in dieser Lesereihe – einen Ort, an dem sie Beachtung findet. Ist es eine neuere Entwicklung, dass das Klima jetzt literarisch thematisiert wird?

Die Entwicklung ist insofern neu, weil Climate Fiction sich ganz explizit mit der Klimakrise auseinandersetzt. Aber es gibt ja auch eine viel ältere Tradition, das «Nature Writing» – ein Schreiben zur Natur, über die Natur, eine sehr präzise, sehr genaue Betrachtung von Natur in literarischen Formen, die schon sehr früh begann. Ich verweise hier auf Jean-Jacques Rousseau, der in seinen Naturbeschreibungen diese Tradition vielleicht begründet hat. Climate Fiction arbeitet, wie das Nature Writing auch, mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen und mit Beschreibungen von Natur, von Naturereignissen. Auch Climate Fiction basiert weitgehend auf naturwissenschaftlicher Plausibilität, hier werden also über weite Strecken keine Romane geschrieben, in denen unwahrscheinliche Dinge passieren, die in der Natur so nicht vorkommen. Allerdings gibt es auch dystopische Bücher, die das Katastrophale – in dem wir uns heute noch nicht befinden, aber wohin wir hinsteuern – aufgrund von unwahrscheinlichen Annahmen vorwegnehmen.

Zum Beispiel?

Ich denke an Charles Ferdinand Ramuz und seinen Roman «Sturz in die Sonne» aus dem Jahr 1922. Ramuz stellt sich dort vor, dass die Erde langsam in die Sonne hinein stürzt und es immer heisser wird. Das ist nun mal eher unwahrscheinlich. Aber eben jenes «immer heisser»-werden führt dann zu dystopischen und schrecklichen Entwicklungen, die wir in einem gewissen Sinne heute schon sehen können.

«Ich habe jahrzehntelang keine Science-Fiction gelesen, nur Sachbücher. Die Welt ist so kriminell und so atemberaubend, dass ich keine Science Fiction brauchte. Mit dem Buch von Robinson war Science-Fiction für mich doch nützlich.»

von Michael, Rentner in der Klimabewegung Neustadt Schweiz-Basel und Gast an der Lesung

Hat sich das Bewusstsein der Öffentlichkeit gegenüber der menschengemachten Klimaerwärmung verändert? 

Das Bewusstsein hat sich stark verändert, was wir daran sehen, wie gerade die Bücher von Kim Stanley Robinson, Franziska Gänsler oder Andreas Malm, die wir in unserer Reihe vorstellen, eingeschlagen haben. Überhaupt steht das Thema Klima auf den Sorgenbarometern in allen Ländern ganz oben, insbesondere nach diesem heissen Sommer. Teile der Wirtschaft und viele Städte, Länder und Regionen stellen sich langsam, aber sicher auf eine karbonfreie Zukunft ein, unter ihnen auch Basel, mit «Basel 2030» beziehungsweise «Basel 2037». Es gibt zunehmend ein Bewusstsein für Dringlichkeit in dieser dekarbonisierten Zukunft – die Veränderung ist nicht nur wünschbar, sondern notwendig, und es muss sehr schnell gehen.

«Was mir vom Anlass bleiben wird, ist die Frage, was mich selbst denn dazu bringen würde, zu handeln.»

von Sonja, Studentin und Gast an der Lesung

Wie hat die Gruppe, die «Climate Fiction» organisiert, die Bücher ausgewählt? 

Wir haben geschaut, dass wir formal divers sind und sowohl Romane als auch Dichtungen und Sachbuchartiges in die Reihe hineinnehmen. Eher ins Dichterische geht Francesco Micieli mit «Plus 1,5 Grad Celsius», dann haben wir als Sachbuch von Andreas Malm «Wie man eine Pipeline in die Luft jagt», und am Ende unserer Reihe den neuesten Roman von Gianna Molinari «Hinter der Hecke die Welt». Wir haben darauf geachtet, dass wir gendermässig divers sind, und der Männer-Frauen-Anteil etwas ausgeglichen ist. Wir beschäftigen uns auch mit Autor*innen aus dem globalen Süden, beispielsweise Wu Ming-Yi, «Der Mann mit den Facettenaugen». 

Was wünschen Sie sich denn für einen Diskurs mit dieser Lesereihe, der bei Zuhörer*innen entstehen könnte?

In jeder Lesung führen wir eine spezielle, etwas strukturierte Diskussion mit dem Publikum, wir möchten ein paar Themen sehr spezifisch diskutieren. Wir wünschen uns, dass die Menschen inspiriert und interessiert hinausgehen und etwas mehr Mut haben, diese fatale Normalität, in der wir heute leben, zu durchbrechen. Dass wir uns gegenseitig nach diesen Lesungen ein bisschen «empowern» und einander Mut machen, und, dass wir die Gegenwart nicht als eine Fatalität ansehen, sondern aufbrechen zu neuen Ideen und zu neuen Horizonten. 

Herz Tanz
Bajour liest mit.

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