Demoverbot wirft Fragen auf
Am kommenden Wochenende dürfen in Basel keine Demonstrationen stattfinden. Am Donnerstag liefert die Polizei genauere Gründe zu ihrem Entscheid. Damit geben sich nicht alle zufrieden.
An einem Marsch durchs Dreiländereck hätten die «Freunde der Verfassung» und «Mass-Voll» am Samstag auch durch Basel ziehen wollen. Die Demo war bewilligt. «Baselnazifrei» rief zur Gegendemo. Unbewilligt. Und jetzt dürfen sie alle nicht. Und alle anderen auch nicht. Am Mittwochnachmittag verhängte die Basler Polizei ein allgemeines Demonstrationsverbot für das ganze Wochenende – von Freitagabend bis Sonntagabend.
Per Allgemeinverfügung verboten sind demnach Demonstrationen, Mahnwachen und Standkundgebungen. Auch in Zürich und Bern gibt es Demoverbote, diese gelten allerdings nur für Demonstrationen im Zusammenhang mit der Situation in Israel/Palästina. Die Basler Polizei begründet das generelle Verbot mit einer «sich zuspitzenden Sicherheitslage im internationalen Kontext der Eskalation im Nahen Osten». Wie ist das zu beurteilen?
Aus Sicht von Staatsrechtler Markus Schefer ist es kein Problem, dass die Situation in den Städten unterschiedlich beurteilt wird. «Die Ausgangslage kann in jeder Stadt eine andere sein, deshalb ist die Kompetenz für solche Entscheide bei den Kantonen und nicht beim Bund.»
Polizeisprecher Adrian Plachesi sagt gegenüber Bajour, in Basel rechne man damit, «dass es auch bei anderen Demos, die gemäss Ankündigung nichts mit dem Nahen Osten zu tun haben, zu Konflikten kommen könnte». Die Betonung liegt dabei auf «Demos», denn wie Plachesi auf Nachfrage ergänzt, geht die Polizei aktuell nicht davon aus, dass bei anderen Menschenansammlungen – zum Beispiel beim Fussballspiel im Joggeli oder in den Wahllokalen – eine erhöhte Gefahr bestehe. «Diese besteht an Demonstrationen, die aktuell von einer politisch und emotional aufgeheizten Stimmung betroffen sind.» Die Polizei beobachte die Lage aber laufend.
Erklärungen gewünscht
Das generelle Verbot stösst nicht bei allen auf Verständnis. Das zeigt sich auch in der Diskussion zur Frage des Tages, wo Grünen-Co-Präsidentin Raffaela Hanauer das Vorgehen als «grundrechtlich höchst bedenklich» wertet.
Verständnis für die Ausnahmesituation oder unverhandelbares Demonstrationsrecht? Die Bajour-Community diskutiert.
Deutliche Kritik kommt auch von den Demokratischen Jurist*innen Schweiz. «Die angekündigten Demonstrationsverbote stehen im Widerspruch zu den demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien und sind nicht zu rechtfertigen», schreibt der Verein in einer Mitteilung mit Blick auf die drei Städte Basel, Bern und Zürich.
Staatsrechtler Schefer sagt dazu, ein absolutes Verbot sei «ein sehr schwerer Eingriff» in die Versammlungsfreiheit. «Das darf man nur, wenn klare Informationen vorliegen, dass die öffentliche Sicherheit bedroht ist.» Bis heute Nachmittag war diese Bedrohung für die Öffentlichkeit allerdings schwierig einzuschätzen.
Am Donnerstagnachmittag reichte die Polizei eine Begründung via Polizeivorschriften nach. Die Sicherheitslage im Kanton habe sich verschärft, unter anderem weil die radikal-islamische Hisbollah am 18. Oktober einen «Tag des beispiellosen Zorns» angekündigt habe. Zusätzlich stelle die Kantonspolizei vermehrt Aufrufe von «gewaltbereiten und gewaltbefürwortenden Gruppierungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Lage im Nahen Osten, fest». Aufgrund ihrer Lageeinschätzung kommt die Polizei deshalb zum Schluss, dass an diesem Wochenende «mit einer konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit» durch Ausschreitungen im Umfeld von Demos gerechnet werden muss.
Dass die Basler Polizei ihren Entscheid ausführlich begründet, wertet Schefer als positives Zeichen, aber: «Es wäre nötig, dass die Sicherheitsbehörden ihre Begründung noch präziser und konkreter gestalten.» Solche Aussagen würden Vertrauen in die Entscheidungen der Polizei schaffen, ist er überzeugt. Wenn diese nicht so offen wie möglich kommuniziere, schade sie sich selbst.
Christian von Wartburg von den Demokratischen Jurist*innen Basel sagt auf Nachfrage, diese detailliertere Begründung schwäche die Kritik der Demokratischen Jurist*innen etwas ab. Er sei aber der Meinung, «dass so ein schwerwiegender Entscheid über die Notrechtsklausel des Polizeigesetzes vom Gesamtregierungsrat getroffen werden muss und nicht von der Polizei. Da mache ich zumindest ein grosses Fragezeichen».
Polizei muss abwägen
Das allgemeine Demonstrationsverbot trifft ausgerechnet ein Wahlwochenende. Gerade bei dieser Gelegenheit wäre es denkbar, dass die Bevölkerung aufgrund von Wahlergebnissen das Bedürfnis hat, Reaktionen öffentlich auf die Strasse zu tragen. Solche Spontankundgebungen erfordern im Gegensatz zu länger angekündigten Demos in Basel keine Bewilligung. Das allgemeine Verbot schliesst aber auch solche Kundgebungen ein.
Daniel Moeckli, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich, sagt dazu: «Je umfassender ein Demonstrationsverbot, desto problematischer ist es im Hinblick auf die Verhältnismässigkeit. Die Polizei muss abwägen zwischen einem schweren Eingriff in die Versammlungsfreiheit und der Garantierung der öffentlichen Sicherheit.»
Die Frage, ob das Verbot rechtens ist, müssten die Gerichte entscheiden. Moeckli erklärt, dass die Sicherheitsbehörden bei einem Rekurs eine «tatsächliche akute Gefahr» nachweisen können müssen, «zum Beispiel eine Gefahr von erheblichen Unruhen und Ausschreitungen», damit ein Gericht das Demonstrationsverbot stütze.
«Zusätzlich sind solche Entscheide auch eine Frage der Kapazitäten der Polizei», so Moeckli. In Bern finde zum Beispiel ein Hochrisiko-Fussballspiel am Samstag statt, «weshalb die Behörden sagen: Wir können nicht auch noch für die Sicherheit an Demonstrationen zum Nahen Osten garantieren». Diesen Aspekt erwähnt auch die Polizei: «Die Mittel für die Gewährung eines entsprechenden Schutzes sind vielmehr begrenzt», heisst es in den Polizeivorschriften.
Doch was würde passieren, wenn es am Wochenende doch zu Demonstrationen kommt? Polizeisprecher Plachesi sagt, das könne die Polizei nicht ausschliessen. «Wir werden natürlich vor Ort sein und den Verhältnissen entsprechende Massnahmen ergreifen.»
Müsste die Polizei vor dem Hintergrund eines Demonstrationsverbots dann sofort auflösend eingreifen? Schefer verneint: «Eine Demonstration darf nicht automatisch aufgelöst werden, nur weil sie verboten ist. Übrigens auch nicht, wenn sie unbewilligt ist», ergänzt er. Unter Umständen sei die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit weniger hoch, wenn man die Demo «in die richtigen Bahnen lenkt, anstatt wenn man sie mit Tränengas auseinander treibt».
In vielen Fällen sei eine gewaltsame Auflösung einer Demonstration «die schlechteste aller Optionen», so Schefer. «Das einzuschätzen und zu entscheiden, welche Massnahmen am wenigsten zu Gewalt führen, ist anspruchsvoll.»
Nicht das erste Mal
Wie die Polizei diese Herausforderung meistert, wird mit Sicherheit im Nachgang des Wochenendes beurteilt. Besonders in diesem Fall, bei dem erstmals in Basel eine solche Allgemeinverfügung gilt. In der Schweiz hingegen gab es dazu bereits mehrere Bundesgerichtsurteile, erklärt Moeckli – so 1977 zu einem Demoverbot an zwei Wochenenden in Moutier während des Jurakonflikts oder 1965 in Bezug auf ein Verbot in Porrentruy.
Ein weiteres Beispiel aus dem Jahr 2006: «Nachdem es in den Vorjahren am 1. August zu einem Aufmarsch von Rechtsextremen auf dem Rütli gekommen war, planten antifaschistische Kreise eine Demonstration und ein ‹multikulturelles Strassenfest›», erzählt Moeckli. Auch hier hatte das Bundesgericht ein Demonstrationsverbot gestützt.
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