Welche Strafe muss sein?
Die Freiheit zu entziehen, ist ein hartes Mittel, um Straftäter*innen zu besseren Bürger*innen zu erziehen. Rückfallquoten zeigen, dass es nicht immer den gewünschten Effekt hat, im Gegenteil. Ein Knastaufenthalt erhöht bei Jugendlichen die Wahrscheinlichkeit, wirklich kriminell zu werden, erheblich. Ein Dilemma.
Was bringt es, Kriminelle wegzusperren? Unsere Gesellschaft ist der Überzeugung, dass schwere Straftaten genau das zur Folge haben sollten: Freiheitsentzug. Es ist ein krasser Eingriff in die Grundrechte. Die Freiheit ist das höchste Gut des Menschen. Zu entscheiden, wie man seinen Tag gestaltet, was man wann isst, wo man hingeht, wen man trifft, was man anzieht, welche Medien man konsumiert – all das ist im Gefängnis vorgegeben. Die Freiheit wird genommen, um zu zeigen: Du hast etwas falsch gemacht. Und erst wenn du das begriffen hast, hast du es verdient, wieder ein unabhängiges Leben in unserer Mitte zu führen.
Jemanden ins Gefängnis zu stecken, soll aber auch so etwas wie Gerechtigkeit herstellen. Die Opfer sollen spüren, dass nicht einfach hingenommen wird, wenn ihnen Unrecht getan wird. Täter sollen deshalb büssen. Der Staat greift ein als moralische Überinstanz, die in Form von Gerichten über Recht und Gerechtigkeit entscheidet. Der Staat wird also zum Bestrafer. Und in Ländern mit Todesstrafe sogar zum Henker.
Die Inhaftierten sollen erzogen und nach ihrer Zeit im Knast nicht noch einmal straffällig werden. Dass das nicht bei allen funktioniert, zeigt die Statistik und hier beginnt das gesellschaftliche Dilemma.
Die Haft schwankt zwischen bewusstem sozialem Ausstoss und der bewussten Wiedereingliederung. Das Gefängnis dient also auch als «Besserungsanstalt» – die Inhaftierten sollen erzogen und nach ihrer Zeit im Knast nicht noch einmal straffällig werden. Dass das nicht bei allen funktioniert, zeigt die Statistik und hier beginnt das gesellschaftliche Dilemma. Bei einigen beginnt durch das Gefängnis die kriminelle Karriere erst so richtig. Im Interview mit Bajour sagt Jonas Weber, Professor für Strafrecht und Kriminologie, der Aufenthalt in einer Institution des Jugendfreiheitsentzugs sei ein sehr belastender Faktor. «Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Aufenthalt im Gefängnis die Wahrscheinlichkeit massiv erhöht, dass ein Jugendlicher auf die schiefe Bahn kommt oder dort bleibt.»
Die wirklich schiefe Bahn fängt also mitunter im Jugendknast an. Es gibt Forscher*innen, die Gefängnisstrafen grundsätzlich ablehnen. Aus rationaler Sicht gibt es gute Argumente dafür.
Aber ist das Opfern und deren Angehörigen vermittelbar? Menschen haben ein starkes Bedürfnis danach, dass Fehler bestraft werden. Und es gibt Taten wie Mord, Vergewaltigung und Terror, bei denen ein Wegsperren zum Schutz der Gesellschaft als das einzig Richtige betrachtet wird (auch mangels Alternative). Doch auch Mörder*innen haben in unserer humanistisch geprägten Gesellschaft ein Recht auf Besserung und eine zweite Chance. Die Resozialisierung von Täter*innen gelingt nicht immer. Insbesondere dann nicht, wenn sie psychisch krank sind.
Die grosse Zahl der Straftäter*innen ist erfolgreich resozialisierbar. Sie wieder in die Freiheit zu entlassen, damit sie wieder ein Teil der Gesellschaft werden, ist unverhandelbar.
Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der Fall im Basler Nasenweg. Vor der erneuten Tat gab es mehrere Gutachten, die davon ausgingen, dass von dem Mann keine Gefahr mehr ausgeht. Ein verheerender Fehler.
Das Dilemma der freiheitlichen Gesellschaft ist, dass sie mit einzelnen Risiken leben muss, um im Ganzen zu funktionieren. Diese Risiken kann man minimieren, ganz beseitigen kann man sie – bei aller berechtigter Empörung – nicht. Auch nicht mit Rufen nach kurzen Prozessen oder härteren Strafen. Ein Blick zurück ins Mittelalter, wo Täter*innen auf drakonische Weise umgebracht oder in die heutige USA, wo Delinquent*innen massenhaft weggesperrt werden, zeigt, dass unser System auf dem richtigen Weg ist.
Wir sind – insgesamt – eine immer sicherere Gesellschaft. Wegen Einzelfällen rast der kollektive und mediale Puls jeweils nach oben. Deshalb sollte jedoch nicht das ganze System infrage gestellt werden. Die grosse Zahl der Straftäter*innen ist erfolgreich resozialisierbar. Sie wieder in die Freiheit zu entlassen, damit sie wieder ein Teil der Gesellschaft werden, ist unverhandelbar. Auch aus Sicherheitsgründen.
Dieser Artikel erscheint im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit Neustart, ein gemeinnütziger Verein, der Beratung für Straffällige und deren Angehörige anbietet.