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Jazzhane in Basel

Glänzend aufgelegt: DJ Ximetra arbeitet an einem Mixtape der Zukunft

Ein Kulturabend im Humbug will starre Vorstellungen von Herkunft schleifen. Mittendrin: Die Basler Kurdin Artemiz Ertokus. Ein Porträt.

10/27/22, 03:33 PM

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Artemiz Ertokus, DJ-Name Ximetra: «Eine Trennung zwischen Musik und Politik gibt es per se nicht.»

Artemiz Ertokus, DJ-Name Ximetra: «Eine Trennung zwischen Musik und Politik gibt es per se nicht.» (Foto: zvg)

Was ist zu tun, wenn globale Krisen auch im Lokalen zu Konflikten unter den Menschen führen?

Die Kurdin Artemiz Ertokus, DJ-Name Ximetra, hält Musik für einen gangbaren Weg. Sie arbeitet mit türkischen, arabischen, kurdischen Einflüssen. Sie verbindet Klänge aus Palästina mit sephardischen Melodien auf ihrem Mixtape. An einem Konzert gabs dafür auch schon Kritik von Links: Warum sie hebräische Texte und Sound aus Palästina zusammenbringt, wollte jemand wissen. 

Artemiz sagt: «Für mich zählt erst einmal nicht die aktuelle politische Lage der Länder, aus der die Musik stammt. Mich interessiert, wie sie klingt und was ich dabei fühle.» Dabei gehe es immer um Inklusion der verschiedenen Kulturen mit dem Ziel, eine «musikalische Harmonie» zu erzeugen. «Eine Trennung zwischen Musik und Politik gibt es per se nicht. Musik kann ausdrücken, was öffentlich nicht gesagt werden kann und gibt Raum für Meinungsfreiheit. Bei der Wahl der Tracks achte ich mich auf diese Bedeutung von Musik.»

Anatolischer Sound aus Basel

Artemiz Ertokus, 32 Jahre alt, kam in Basel als Kind kurdischer Eltern zur Welt. Die Eltern waren in den 1980er-Jahren aus politischen Gründen aus Izmir im Westen der Türkei in die Schweiz geflohen. Ertokus lebte als Kind erst in Bottmingen und heute im St. Johann, erzählt sie mit geschliffenem Basler Dialekt. Sie ist Schulsozialarbeiterin und DJ. 

Als wir die Musikerin erreichen, ist Ertokus gerade auf Reisen. Sammelt Eindrücke und Klänge in Griechenland, Albanien, Georgien und weiteren Ländern.

Das Unterwegssein ist auch immer ein bisschen Teil des kreativen Prozesses, sagt sie. So, als hielt sie immer ein Ohr an die Geräuschkulisse ihrer Umgebung, die sich verändert, von Ort zu Ort. Nun endet die Reise abrupt. Ertokus fährt zurück nach Basel, um an der Jazzhane im Basler Kulturlokal Humbug aufzulegen.

Jazzhane ist ein Kofferwort, wobei «Jazz» keiner Erklärung bedarf. «Hane», das heisst soviel wie Haus, Dach, Unterkunft auf Türkisch. Die Veranstaltungsreihe Jazzhane stammt aus Zürich und kommt am 28. Oktober zum ersten Mal nach Basel. Die Macher*innen wollen hier eine Erfolgsgeschichte fortschreiben, die im dichten Nachtleben Zürichs einen vielversprechenden Auftakt feierte. 

Kurdische DJ, türkische Band

Die Idee: Musik in die Schweiz zu tragen, die im Osten ihren Ursprung hat und entlang der Seidenstrasse entstanden, wiederentdeckt und neu interpretiert wurde. Neben Artemiz aus Basel steht auch die populäre türkische Band Lalalar im Line-Up, die «psychedelische Rockband aus Istanbul». Sie klinge wie ein «Sammelsurium aus Spaghetti-Western-Psychedelik, anatolischem Funk, Sampling und frischer Psychedelia». 

Nach dem Lalalar-Konzert an der Reihe: DJ Ximetra. Ihr Stil lässt sich als Ethnohouse, oder Deephouse charakterisieren. Musikstile, deren Wurzeln Ximetra aka Ertokus in der westeuropäischen Kultur verortet. Aber House ist nur der Taktgeber, ein entschleunigter, fast schleppender Herzschlag unter dem Klangkörper von Ximetras Musik. Diese lebt wiederum von dem, was die DJ als «Bekanntschaften» beschreibt, als Melodien und Soundschnipsel und Klänge, die in ihr das Gefühl von etwas Vertrautem auslösen.

Basel hat von allen Schweizer Städten eine der grössten kurdischen Diasporas. Und was Musik für Menschen bedeutet, deren Migrationsgeschichte nach Kurdistan, in den Balkan oder in die Türkei zurückreicht, hat Jazzhane-Gründer Anil Özdemir bei Babanews anschaulich aufgeschrieben: «Die Jazzhane ist ein Versuch einer Antwort auf unsere Sehnsucht; Sehnsucht nach östlichen Klängen, der Saz, Bağlama und Tambur, der Bouzouki, der Oud, Kanun (Zither) und unregelmässigen Rhythmen.» 

Volkstanz statt Ballett

Diese Sehnsucht ist auch der Musik von Ximetra gewissermassen eingeschrieben. Aber was für eine Sehnsucht ist das für sie? Die DJ erklärt anhand der eigenen Biografie: Als Kind wollte sie Ballett tanzen, wie andere Kinder in der Primarschule von Bottmingen auch. Die Eltern schickten sie stattdessen zum Volkstanz ins kurdische Kulturzentrum. 

«Sie hatten Angst, dass ich etwas verliere, das ich bis dahin kaum kannte.» Ertokus sagt, diese Erfahrung teilten viele Migrant*innen der zweiten Generation, die in der Schweiz aufwachsen und die ihre zweite Heimat nur als Erzählungen, aus der Literatur oder, eben, aus der Musik kennen.

Ertokus tanzte also Volkstanz und lernte dort Schrittfolgen, Rhythmen, Melodien, die in Schweizer Privatradios und damit im sogenannten Kanon nicht zuoberst auf der Hit-Liste stehen. Die aber für viele Menschen mit ähnlichen Geschichten wie der von Artemiz Ertokus eine Art gemeinsamer Resonanzraum bilden. 

An diesem gemeinsamen Resonanzraum zu arbeiten hat sich Ertokus zur Aufgabe gemacht. Aus einem kreativen Bedürfnis heraus, sagt sie, aber natürlich hat diese Arbeit auch eine politische Facette. «In der Musik lässt sich nichts abschliessen oder in klar trennbare Boxen verpacken», sagt Ertokus, alles ist in Bewegung, die Verknüpfungen sind fliessend. Und wenn nun auf einem Mixtape ein populärer türkischer Pop-Song anklingt und im nächsten Moment ein kurdisches Volkslied, dann erzeugt das eine Wirkung, die mit Worten schwer herzustellen wäre. 

Artemiz Ertokus will mit Musik Brücken bauen.

Artemiz Ertokus will mit Musik Brücken bauen. (Foto: zvg)

Nun soll man diese Wirkung nicht überschätzen: Realpolitische Konflikte, zum Beispiel zwischen Kurd*innen und Türk*innen, werden eher nicht von der DJ-Kanzel herab gelöst. Das weiss Ertokus auch. Das Schöne an einer Party, andererseits: Ihr Eintrittsgeld wird nicht in Stimmzetteln berappt und über der Bühne hängen keine Banner. Vielleicht ist es naiv anzunehmen, dass mit Musik aus gemeinsamen Erinnerungen in der Diaspora neue Gemeinsamkeiten entstehen können. Vielleicht ist es das einzig richtige. 

Und wenn ein Mix dennoch zu Kritik führt, wie in der eingangs erwähnten Szene? «Dann versuche ich, darauf einzugehen. Ist doch gut, wenn wir ins Gespräch kommen.»

Jazzhane will genau solchen Auseinandersetzungen eine Bühne bieten. Das Projekt findet in verschiedenen Städten statt und es will dort auch nicht nur ein Publikum mit Migrationsgeschichte erreichen. Im Gegenteil: «Ich wünschte mir, dass möglichst viele Menschen aus Basel die Jazzhane zum Anlass nehmen, mit kurdischer, türkischer, arabischer, sephardischer Musik in Kontakt zu kommen», sagt Ertokus.

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