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Kleb mir einen: Was Sticker über unsere Stadt erzählen

Auf jedem Laternenpfosten und jedem Strassenschild klebt einer. Die Stickerkultur in Basel ist im Hoch. Wir haben zwei Szene-Grössen zum Interview getroffen und einige Sticker einer eiskalten Stilkritik unterzogen.

11/17/21, 04:00 AM

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(Foto: Daniel Faulhaber)

Bei genauem Hinsehen legt sich die Stickerkultur wie ein verspielter Flickenteppich über den öffentlichen Raum. Tatsächlich: Auf Regenrinnen, Strassenschildern, Autos, Stromkästen – überall kleben Kleber. In ihrer Flüchtigkeit und der rotzigen Attitüde ihrer Provokationen, Witze und Zoten wird die Stickerkultur von manchen als Sachbeschädigung gelesen – man kann das auch anders sehen.

Die Sticker sind in Form und Inhalt die Nadeln auf der Schallplatte des öffentlichen Diskurses. Der Stickerkultur Aufmerksamkeit zu schenken, heisst hinhören.

Wir haben zwei Mitglieder einer Stickerbande zum Interview getroffen und mit ihnen über die Deutungsmacht und Herrschaft und den Stand des Humors im öffentlichen Raum gesprochen. Der Szenecodex will, dass die Befragten anonym bleiben, aber sie gehören, soviel sei verraten, zum Stickerkollektiv «Slap me Baby». Wir nennen sie Niemer und Stewia. 

Slap me Baby: Hüter der Kultur

Die Crew «Slap me Baby» gehört zu den lokalen Urgesteinen der Basler Szene, auf Instagram hat der Account 1317 Follower. Andere Szene-Accounts heissen zum Beispiel «Niemertwötdas» oder «d1n1mu3t3r».

«Slap me Baby» hat im September bereits das vierte Magazin veröffentlicht und auf einer Nebenmesse der Art Basel, «I Never Read», zum Verkauf angeboten. Das Magazin versammelt Essays und Interviews zum Thema Sticker, sowie zahlreiche Bilder von Stickern und einen Style Guide.

Ganz hinten im Magazin gibt es eine satirische Stellenanzeige als Leiter*in Aufkleber-Entfernung im Dienst der Stadtreinigung Basel 80% – 100%.

Welcher sich aktuell im Umlauf befindliche Sticker ist gerade das Mass aller Dinge?

Niemer: «Die RAV-Serie hat mir sehr gut gefallen. Der war zwar nicht so verbreitet wie andere, aber wenn er aufgetaucht ist, freute man sich. Das war sehr pointiert gemacht.

Fundstück eines Stickers aus der angesprochenen RAV-Reihe. Das Wortspiel arbeitet mit dem englischen rough, also ruppig, heftig, das ähnlich ausgesprochen wird wie zu Deutsch das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum RAV.  

Fundstück eines Stickers aus der angesprochenen RAV-Reihe. Das Wortspiel arbeitet mit dem englischen rough, also ruppig, heftig, das ähnlich ausgesprochen wird wie zu Deutsch das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum RAV.   (Foto: Daniel Faulhaber)

Stewia: Wir freuen uns auch, wenn wir alte Sticker sehen. Das können auch solche sein, mit denen wir inhaltlich nicht übereinstimmen, aber die erinnern uns einfach daran, was damals abging. In der Nähe des Zoos Dorenbach klebt so ein uralter anti-Schengen-Beitritt Sticker von 2004, den hat damals sogar eine bürgerliche Partei in Umlauf gebracht, wenn ich mich nicht irre. Eine Bekannte von uns, @alienstereotheft, hat mal begonnen, eine Karte zu erstellen um diese Fundstücke zu dokumentieren.

Wie bitte, es gibt eine Stadtkarte für Sticker?

Stewia: Ja, unsere Kollegin E. hat aus Freude an der Sache aussergewöhnliche aber auch komplett normale Sticker kartografiert, um zu untersuchen wie sich Inhalt, Form und Ursprung von Quartier zu Quartier verändern. In einem kurzen Artikel hat sie das Projekt in unserem 3. Zine vom September 2020 vorgestellt. 

Können wir die Karte sehen?

Stewia: Die Karte ist leider nicht öffentlich zugänglich und aufgrund der Kurzlebigkeit von Aufklebern wahrscheinlich auch schon nicht mehr ganz à jour. Wir können dir also leider nur einen Screenshot anbieten. 

(Foto: Screenshot Google Maps)

Trifft es zu, dass die Stickerkultur sei ein paar Jahren massiv an Quantität und Qualität zulegt?

Niemer: Also uns fällt vor allem auf, dass die Medien vermehrt über Sticker berichten. Der Tagesanzeiger hat dann plötzlich diese Geschichte, «Die 18 kreativsten Sticker in Zürich». Der Artikel war leider hinter der Paywall. Es ist schon so, dass die Stickerproduktion im Allgemeinen zugenommen hat.

Woran erkennt man das? 

Niemer: Vor zehn Jahren galten andere Regeln, da musste der Sticker noch von Hand gemacht sein. Die technischen Möglichkeiten haben sich eben verändert. Du kannst heute mit Programmen wie Gimp oder Photoshop rasend schnell eine Grafik anfertigen und diese dann billig in Deutschland drucken lassen. Die Geschwindigkeit ist Teil der neuen Kultur, die stark internetfokussiert ist, auch was den Humor angeht.

Wie muss man sich die Sticker-Szene vorstellen?

Niemer: Es gibt Crews, wie «Slap me Baby» eine ist. Aber es gibt auch viele Einzelmasken. Der Vibe ist ein anderer als beispielsweise in der Graffiti-Szene würde ich sagen, es geht weniger um Konkurrenz. Instagram ist in sehr wichtiges Medium. Wenn ich da sehe, jemand macht etwas Ähnliches wie wir, dann schreiben wir dem, ob der vielleicht mal mit uns um die Häuser ziehen will. Die Sticker werden ja häufig auch fotografiert und auf Instagram geteilt, dadurch entsteht nochmal eine ganz andere Dimension von Öffentlichkeit.

Die Stickercrew Slap me Baby haben kürzlich ein Magazin veröffentlicht, in dem Sie die Arten der Sticker auf einer Sticker Island gruppieren. Die Inseln beschreiben Themenfelder, auf denen sich die Sticker bewegen und sind der Versuch einer Einordnung. 

Die Stickercrew Slap me Baby haben kürzlich ein Magazin veröffentlicht, in dem Sie die Arten der Sticker auf einer Sticker Island gruppieren. Die Inseln beschreiben Themenfelder, auf denen sich die Sticker bewegen und sind der Versuch einer Einordnung.  (Foto: Sticker Zine Nr. 4, Slap me Baby)

Reden wir über Öffentlichkeit. Was spielt der öffentliche Raum für eine Rolle für euch?

Niemer: Zunächst ist das einfach mal die Unterlage für unser Material. Es ist ein Ort des Austauschs und auch immer ein bisschen ein Kampfplatz.

Inwiefern Kampfplatz?

Stewia: Also inhaltlich steht man schon ein bisschen im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Passant*innen. Dann ist es vor allem auch ein fortwährendes Hin und Her mit der Verwaltung, die die Sticker entfernen kann, wenn sie will.

Was tragen denn die Sticker zum öffentlichen Raum bei?

Stewia: Diese Stickerkultur ist wie eine Sprache, die in allen grösseren Städten gesprochen wird. Ich lese das wirklich sehr gern. Das ist wie eine Idealvorstellung davon, wie der öffentliche Raum auch sein könnte. Ein Raum, in dem die Leute Botschaften und Bilder verteilen, andere Leute kommentieren das dann. Man nimmt sich gewissermassen den Platz. Gleichzeitig findet dieser Austausch auf einer Mikroebene statt, also auf einer Regenrinne oder so. Flächenmässig ist also ein Bruchteil dessen, was von den grossen Werbetafeln in Anspruch genommen wird.

Werbetreibende bezahlen teures Geld für ihre Sichtbarkeit. Ihr nicht.

Niemer: Aus unserer Sicht ist das Stickern eine Mikroermächtigung, den öffentlichen Raum nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.

Spielt die Werbe-Industrie eine Rolle für euch? Also Feindbild oder Inspiration?

Stewia: Für uns ist Werbung eigentlich egal geworden, wir haben da einen relativ wasserdichten inneren Ad Blocker entwickelt. Aber politisch find ich es schon wichtig darauf hinzuweisen, dass grosse Firmen für viel Geld den öffentlichen Raum zupflastern und die Bevölkerung muss dann damit leben. Da fragt ja auch niemand, ‚hast du Bock auf dieses Plakat vor deinem Haus?‘

Niemer: Es gibt ja auch diese Kunstform des Adbustings, wo klassische Werbung mit subversiven Mitteln unterwandert wird, um die Message zu manipulieren. Früher fand ich das interessant, heute hat sich das ein wenig erschöpft.

Worin liegt denn nun der ästhetische Wert von Stickern im öffentlichen Raum?

Stewia: Zunächst einmal zeugt eine Stickerkultur von einer lebendigen Stadt. Man kann diese Sticker, aber auch Tags oder Wandzeitungen lesen und erfährt etwas darüber, was in einer Stadt abgeht. Die Stickertopografie ist so etwas wie die kollektive Stimme der Subkultur. Das ist einfach sehr interessant.

Niemer: In Städten, in denen keine Sticker kleben, fühle ich mich sofort unwohl. Das sind klinische Städte, mit einem sehr strengen Kontrollregime. Es hat wenig Platz für Kreativität und spontane, dumme Sprüche an den Wänden. Aus unserer Sicht sind Sticker also eine Einladung, sich in einer Stadt wohlzufühlen. Aber es gibt auch Leute, die das erschreckt und die das für eine Form der Verunreinigung halten.

Diese Streitlinie gibt es ja auch beim Graffiti. Aber dort hat längst eine Kommerzialisierung eingesetzt. Graffiti-Künstler*innen machen jetzt Street Art

Stewia: Die Stickerkultur eignet sich nicht so gut für kommerzielle Street-Art-Ausstellungen wie bei Banksy und Konsorten, Sticker sind dafür einfach zu klein. Aber in grossen Metropolen lässt sich schon beobachten, dass die Stickerkultur von bestimmten Playern instrumentalisiert wird.

Sticker können leicht übersehen werden. Wie stellt man sich an, damit das nicht passiert?

Stewia: Da brauchts einfach offene Augen. Man geht halt so durch die Stadt, wie man mit dem Daumen durch die Sozialen Medien scrollt. Manchmal fällt was auf, dann bleibt man stehen. Nur dass man beim Stickerspaziergang eben nicht im Metaverse ist, sondern im real Life. Man kann den Sticker anfassen, man kann ihn abreissen oder überkleben, nicht nur doppelklicken. Es kommt auch immer wieder vor, dass wir auf einem Rundgang durch die Stadt einen Sticker sehen, aber den nicht sofort fotografieren. Später versuchen wir uns zu erinnern, wo war der nochmal? Das kennt man ja auch vom Scrollen durch den Insta-Feed. Gestern haben wir dieses Super-Meme, gesehen, aber ich habe verpasst ein Screenshot zu machen. Wo war das nochmal genau?

Was ist ein besonders guter Ort für einen Sticker?

Niemer: Rückseiten von Verkehrsschildern. Die Vorderseite sollte man schon lesen können wegen der Sicherheit. Regenabflussrohre sind gut. Dort kann man auch immer ablesen, wie die Hausbesitzer*in drauf ist. Manche Regenrohre sind sehr sauber, andere vollgeklebt. Möglichst hoch oben ist gut. Ab einer gewissen Höhe putzen die Leute nicht mehr. Auch obskure Orte sind toll, wo keiner damit rechnet. Plastik ist gut insgesamt, Metall auch. Glas ist toll.

Gibt es Orte, an denen Stickern tabu ist?

Stewia: Sakrale Orte. Wir sind zwar nicht religiös, aber es käme uns nicht in den Sinn an eine Moschee zu stickern. Oder in einer Kirche.

Ist das Aufkleben von Stickern Sachbeschädigung?

Niemer: Man kann das schon so sehen, wenn es sich jemand herausnimmt, überall seinen Sticker zu hinterlassen. Andererseits kommt die Kritik auch von Sauberkeitsfanatikern, die es super finden, wenn alles blitzblank ist. Das ist ein Standpunkt, der für uns unverständlich ist. Die Sticker tun ja niemandem weh. Man kann einfach vorbeilaufen und sie ignorieren.

Stickern: Darf man das?

Wir haben bei der Polizei Basel-Stadt nachgefragt, ob und wie das Anbringen von Stickern gesetzlich geahndet wird.

Antwort: «Wer Kleber anbringt, kann unter Umständen wegen Sachbeschädigung angezeigt werden. Der Schaden muss vom Eigentümer geltend gemacht werden. Wenn von solchen Stickern eine polizeilich relevante Informationen ausgeht (zum Beispiel der Aufruf zu einer Demo), kann dies registriert werden, wenn es einer Polizeipatrouille auffällt. Eine systematische Kartographierung [von Stickern durch die Polizei, Anm. d. R.] gibt es nicht.»

Kommen wir zur Stilkritik. Hier sind eine Reihe von Stickern, die ihr bitte mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und kritischer Präzision bewertet. Was ist beispielsweise hiervon zu halten?

(Foto: Instagram: @D1nimu3t3r)

Stewia: Ein Klassiker! Was ich immer sehr gut finde sind Sticker, die mit dem Dialekt spielen. Sticker sind ein super Medium, um das zu kultivieren und gewissen Ausdrücken ein Denkmal zu setzen. Hier finde ich die Kombination mit dem Englisch gelungen weil das ja auch eine Eigenart ist des Schweizerdeutschen, dass es da nicht viel Regeln gibt und man folglich grosse Freiheiten geniesst.

Niemer: Hier ist der Kontext natürlich auch wichtig denn das knüpft ja an ein uraltes Sticker-Meme an, nämlich an den Spruch «Skateboarding is not a Crime». Den hat man früher oft auf Autos gefunden. Der Old school Bezug gefällt mir gut.

Stewia: Der könnte heute allerdings auch hinten auf einem SUV kleben. Dieser Sticker hat ein bisschen diesen «ich lass mir nichts sagen» Vibe.

Kommen wir zu einem weiteren Klassiker und wahrscheinlich einem der beliebtesten Sticker der Region. Meinungen?

(Foto: Instagram: @d1n1mu3t3r)

Stewia: Diesen Sticker finde ich einen der besten, den ich in den letzten Jahren sah. Diese Demeter-Anspielung ist ja ein bisschen ein Gingg ans Schienbein des Bio-Bürgertums. Die Fallhöhe zwischen dieser pastellfarbenen Demeterwelt und diesem rotzigen Spruch ist ja evident, darum ist das auch sofort so lustig. Ein instant classic! Gleichzeitig reimt sich Dini Mueter auch auf Demeter. Das ist gut gemacht.

Kommen wir zu diesem Sticker. Ebenfalls ein Evergreen. 

(Foto: Slap me Baby)

Stewia: Das erste Mal als ich den sah, musste ich an einen guten schlechten Scherz denken. Es hat sich ja auch längst etabliert, dass man die abreisst und wo anders wieder hinklebt. Dann steht zum Beispiel «Stopp, falsch entsorgt» auf einem 20 Minuten Zeitungskasten, nicht schlecht. Ich sehe hier ein solides Grafik Design aus dem Bereich übler Trash. Dass hier das Basel-Stadt Logo oben links drauf gepappt wurde, obwohl sonst alles unten steht ist natürlich ein Skandal, jeder Grafik Designer kriegt Kopfschmerzen wegen sowas. Das Tiefbauamt hat sich selbstbewusst für diese dilettantische Note entschieden. Stark.

Niemer: Der Sticker punktet in den harten Kategorien. Hoher Wiedererkennungswert, gute Qualität, grosse Auflage. Ich finde den auch nicht unsympathisch, man könnte dieses Stop-so-nicht-Genre ja auch ganz anders bedienen. Der Ton ist sehr ehrlich schweizerisch und anständig. «Hey, du, so gehts leider nicht»! Toll ist ja der praktische Einsatzhorizont dieser Kleber: Die Stadtreinigung klebt diese Sticker auf den Abfall drauf und geht dann einfach wieder weg. Ein bisschen beleidigt vielleicht. Das hat diesen Post-it-Vibe aus der Wäscheküche, wenn jemand am falschen Waschtag die Waschmaschine benutzt.

Und jetzt der. Das ist doch unhöflich!

(Foto: Slap me Baby)

Stewia: Ah, sehr gut! Das ist ja ein ganz eigenes Genre, Beleidigungen. Ich find den lustig, verspielt. Ziemlich Basic. Aber Minimalismus ist auch eine Qualität. Stark!

Niemer: Ich find den super, ich liebe dieses Rotzige in-dein-Gesicht. «Figg di», ich meine, was soll das denn und warum ist das da überhaupt ein Basler Stab, das ist doch vollkommen sinnlos. Ich muss sofort lachen, wenn ich so etwas sehe. Dieser Sticker hat überhaupt keine erkennbare Geschichte und keinen Kontext, aber immerhin trägt der Basler Stab solche Zoggeli wie ein Waggis. Vielleicht ein Gingg ans Knie der Fasnachtszene? Unklar. Super!

Täuscht es, oder kommen Sticker im öffentlichen Raum in letzter Zeit auch vermehrt aus der Themen-Ecke der Corona-Leugner*innen und Impf-Gegner*innen?

Niemer: Den Eindruck habe ich auch. Die Quantität aber auch die Vielfalt der Sticker aus einer politisch rechten Ecke, aber auch aus der Ecke der Massnahmenskeptiker hat zugenommen. Die Sticker sind ästhetisch komplett unterschiedlich zu anderen Stickern. Ästhetisch habe ich oft Freude dran, weil die Sticker so dilettantisch gemacht sind. Schau dir den folgenden Kleber an. Ich meine, «Bundesamt für Gehirnwäsche», das ist einfach ein sehr flacher Witz. Aber man kann drüber lachen. Sowas steht dann aber neben den härtesten Holocaust-Relativierungen und NS-Vergleichen. In dem Sinn sind diese Sticker wie ein Abbild der anti-Massnahmen-Demos, wo Hippies ihren Trommelkreis abhalten und daneben hängen ein paar Neonazis rum.

(Foto: Slap me Baby)

Habt ihr weitere Beispiele?

Niemer: Schau dir dieses Exemplar an, das habe ich nach einer Coronagegner-Demo in Luzern mitgenommen und fotografiert. Da hat jemand mit Laserdrucker einen Satz ausgedruckt, den hat er dann auf einen Post-it getackert und dann den Post-it mit dem angetackerten Ausdruck irgendwo hingeklebt. Das ist einfach next Level do-it-yourself.

(Foto: Niemer)

Stewia: Inhaltlich merkt man, dass da eine ganz andere Energie am Werk ist. Diese Sticker existieren nicht, um der Sticker willen. Sie wollen nicht einfach satirisch sein, sie wollen etwas erreichen und benutzen den öffentlichen Raum, um eine Message zu streuen. Diese Energie ist spürbar.

Was tut ihr, wenn euch ein Kleber gar nicht passt. Überkleben oder abreissen?

Niemer: Ganz harte Nazi Sachen wie «White Lives Matter», die reisse ich ab, weil ich nicht will, dass das jemand sieht. In anderen Fällen wie zum Beispiel den Mass-Voll Klebern, da klebe ich was drüber. Damit die Leute sehen, aha, jemand hat an dieser Stelle Mass-Voll quasi blockiert. Das kommuniziert auch wieder etwas.

Wir bekamen kürzlich ein Foto zugespielt, auf dem zu sehen war, wie unter einem Sticker von Coronamassnahmen-Gegner aufgeklappte Bostitch-Klammern versteckt wurden, damit man sich beim Abknubbeln verletzt. Droht eine Verrohung des Sticker-Games?

Niemer: Man muss schon aufpassen, wenn man gewisse Sticker abreissen will. In Basel machte vor kurzer Zeit die Nachricht die Runde, dass Rasierklingen unter einschlägigen Stickern mit einer politisch rechten Message versteckt wurden. Das kann dann richtig gefährlich werden beim Abschaben. Wir haben die Rasierklingen nicht gesehen und können das nicht verifizieren, aber in rechtsextremen Kreisen in Deutschland gehören Rasierklingen mancherorts zur Sticker-Strategie dazu.

Wie stehts eigentlich um das Geschlechterverhältnis in der Sticker-Szene. Ist das ein reiner Boys Club oder stickern auch andere Gender?

Niemer: Ich habe den Eindruck, das ist diverser als beispielsweise in der Graffiti-Szene. Ich kenne einige weibliche Personen, die sehr aktiv sind.

Unsere Inhalte bleiben haften.

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