Kultur wird immer mehr politisch verkauft
In der Causa Leila Moon und die Absage des Basler Kulturförderpreises an die DJ wurde über die Frage debattiert, ob Kulturförderung politisch ist. Kulturunternehmer Dan Wiener bejaht dies in seinem Gastkommentar und plädiert dafür, Preise für künstlerische Inhalte und nicht für politisches Verhalten zu vergeben.
Dan Wiener ist Kulturunternehmer und -berater. Er führt die Agentur «communication & culture» und bezeichnet sich selbst als Geschichtenerfinder, Geschichtenerzähler und Geschichtenermöglicher. Dabei bezieht er sich auf seine langjährige Erfahrung als Schauspieler, Musiker und Produzent von Bühnenproduktionen, die er nun als Kommunikations-Spezialist ausspielt.
Ich habe kürzlich an einer Diskussion zum Thema «Vielfalt in der Kultur» teilgenommen. Nun, alle waren dafür! Für die Vielfalt. Fanden alle gut. Waren sich alle einig. «Diversity ist ein Innovations-Faktor», sagte einer. Alle nickten. Ich auch. Ich habe darauf nach der konkreten Umsetzung gefragt: Vielfalt sei erfahrungsgemäss nicht so pflegeleicht. Zum Beispiel werde Vielfalt dazu führen, dass die Beteiligten sich nicht leicht verstünden. Es brauche besondere Anstrengungen, gegenseitiges Übersetzen, um sich auch inhaltlich zu finden.
Nein, wurde mir entgegnet, sie sähen das ganz anders. Mit Diversity gehe alles leichter, wenn nur alle Diversity wollten! Mehr Diversity in den Strukturen! Mehr LGBTQIA+, mehr People of Color.
«Ich bin ein grosser Anhänger der Förderung von Vielfalt in allen Farben und Formen, weil sie unsere eingefahrenen Denkweisen hinterfragt.»
Ich bin ein grosser Anhänger der Förderung von Vielfalt in allen Farben und Formen, weil sie unsere eingefahrenen Denkweisen hinterfragt, zu Neuem anregt und im Endeffekt einen inhaltlichen Mehrwert bedeutet. Aber ich habe gemerkt, dass meine Gesprächspartner Diversity mehr als politisch-moralischen Slogan verstanden haben.
Kultur wird allgemein immer mehr politisch verkauft. Ich sehe Ankündigungen wie: «Eine Performance-Künstlerin aus Südafrika mit ihrem queeren Bühnenpartner aus Schweden spielen in der Regie einer niederländischen Choreographin in einer musikalischen Klang-Installation eines sizilianischen Ex-Bauern.» Was erfahre ich durch die Ankündigung über die inhaltliche Qualität? Nichts. Dafür suggeriert die beliebige Kombination von Südafrika, queer, Schweden, Sizilien und einem Ex-Bauern (was das auch immer sein soll), eine politische Brisanz. Von einer Inszenierung von Tschechows «Drei Schwestern» erfahre ich, dass die drei Schwestern als Nonnen in einem Kloster auftreten. Ich erfahre auch, dass eine der Schauspielerinnen tatsächlich einmal eine Nonne gewesen und jetzt mit dem Stück aus dem Käfig der Religion ausgebrochen sei. Ok. Warum gerade mit Tschechow?
«In der ganzen Diskussion um Leila Moon habe ich nichts über ihre Kunst erfahren.»
Wenn ich Erfolg haben möchte, müsste ich vermutlich schreiben, dass es eine abgefuckte Love-Story sei, ein Stück über Defloration und Krieg, gespielt von einem schwarzen Palästinenser, der in eine Israeli verliebt ist. Regie führt eine amerikanische 11. September-Überlebende mit ihrem griechisch-zypriotischen Freund. Der war bis vor Kurzem ein Neonazi und versucht sich mit der künstlerischen Arbeit von seiner braunen Vergangenheit zu lösen. Das Stück spielt auf einer Müllhalde. Die Zuschauer werden mit Gasmasken und Gummistiefeln ausgerüstet. Als krönender Abschluss werden CHF 100’000.- verbrannt und eine Videokünstlerin filmt die Zuschauer, wie sie die verkohlten Geldscheine zu retten versuchen. Dieser Film wird auf Grossleinwand nach Sierra Leone übertragen an eine Biennale der afrikanisch-europäischen Kunst.
Ich stelle mir vor, wie ich an innovative Festivals eingeladen werde, die Presse reisst sich darum, mich zu interviewen und ich gebe gelangweilt Auskunft: «Die ganze Welt ist eine Provinz», sage ich cool. Sie finden, ich übertreibe? Nein. Obwohl ich mir grosse Mühe gegeben habe, es zu tun. Doch während ich an diesem Text schreibe, hat mich die Realität schon längst überholt.
«Für mich ist das alles kein Zufall.»
In der ganzen Diskussion um Leila Moon habe ich über ihre künstlerische Tätigkeit nur erfahren, dass sie vernetzend arbeite, Mentorin für junge Musikerinnen sei und ihre reiche kulturelle Erfahrung einbringe. Das alles sagt mir wenig über die inhaltliche Qualität. Sie entsprach aber vermutlich am besten den moralisch-politischen Ansprüchen der Jury.
Und jetzt wird Leila Moon wieder abgesagt, weil sie sich – übrigens auch aus politisch-moralischen Gründen – anderen Künstlern gegenüber ausgrenzend verhalten hat. Vernetzen und ausgrenzen passen tatsächlich nicht zusammen. Innerhalb dieses Systems ist die Absage nachvollziehbar.
Für mich ist das alles kein Zufall. Die oben beschriebenen Beispiele zeigen, wie sich Kulturschaffende, Jurys sowie die Kulturförderung immer öfter solcher politisch-moralischen Massstäbe bedienen. Vielleicht auch, um nicht über künstlerisch-inhaltliche Qualitätsmerkmale streiten zu müssen? Das wäre zwar zugegebenermassen schwieriger, aber ungleich spannender.
Übrigens kam im Schlussprotokoll der eingangs erwähnten Diskussion meine Meinung nicht mehr vor: Meine abweichende Meinung hat offenbar die Diversity gestört.