Den einen zu links, den anderen zu rechts
Letztes Jahr sah es noch so aus, als gäbe es diesen Wahlherbst für den Schweizer Freisinn endlich wieder mal etwas zu gewinnen. Was hat sich geändert? Eine Analyse.
Im Herbst 2022 war Krise, Krieg und hohe Preise. Und es sah so aus, als habe die FDP unter dem neuen Präsident Thierry Burkart mit seinem Rechtskurs die richtigen Antworten. Immerhin ein Prozent mehr Wähler*innen prognostizierte das SRG-Wahlbarometer von Sotomo damals dem Freisinn. Und Politgeograf Michael Hermann sah damals ein Bedürfnis nach «gemässigten Positionen», wie er SRF sagte.
Jetzt, im Sommer 2023, ist immer noch Krieg. Und die Preise sind immer noch hoch. Gemässigte Stimmen müssten also nach wie vor gefragt sein. Aber von einem freisinnigen Grosserfolg spricht niemand mehr. Stattdessen reden wieder alle von der SVP, die im Herbst dank hohen Fluchtzahlen sowie dem eigenen «Genderwahnsinn» mobilisieren und der FDP am rechten Rand Stimmen abgraben kann. Und von der mit der BDP fusionierten Mitte, die laut Umfragen Kopf an Kopf mit der FDP rangiert und ihren zweiten Bundesratssitz infrage stellt.
Was ist passiert?
Der Freisinn steckt wieder einmal in einem bekannten Dilemma, aber mit anderen Vorzeichen: Orientiert er sich zu sehr nach links, protestieren die Kräfte am rechten Rand. So ist es Petra Gössi mit ihrem Fokus auf die Klimapolitik im Jahr 2019 passiert.
Politisiert der Freisinn aber zu sehr rechts, murrt die Basis am linken Rand. So ergeht es nun Thierry Burkart. Insbesondere sein Kuschelkurs mit der SVP scheint sich zu rächen: In mindestens neun Kantonen will die FDP in den nationalen Wahlen Listenverbindungen mit der Rechtspartei eingehen, schreibt die NZZ, etwa im Baselbiet oder in Zürich.
Strategisch mag das zuweilen klug klingen. Doch Burkart hat offenbar den Unmut von Teilen der freisinnigen Basis unterschätzt. So sagt Politgeograf Michael Hermann: «Die FDP kann sich nicht beliebig nach rechts bewegen. Insbesondere nicht, wenn mit der Mitte und der GLP Alternativen da sind.» 30 Prozent der FDP-Wähler*innen finden, ihre Partei politisiere zu rechts. Das hat Hermanns Sotomo-Wahlbarometer für die SRG von diesem Juli ergeben.
Einmal zu links, einmal zu rechts: Die FDP kann es ihrer Basis offenbar nicht recht machen.
Dieses Dilemma lässt sich sogar im Stadtkanton Basel-Stadt beobachten. Etwa beim Thema Verkehr. Nachdem die von Medien bereits als «Parkplatz-Partei» verschriene FDP Wahl für Wahl verloren hatte, wollte sie sich 2018 einen urbaneren Anstrich geben: Mit einem Parteiprogramm, welches von der «Parkplatzdiskussion wegkommen» wollte, wie der Präsident Luca Urgese damals sagte. Der freisinnige Justizdirektor Baschi Dürr schaffte für seine Polizei Teslas an und trieb die Digitalisierung voran.
Urgese ist nicht mehr Präsident. Und Dürr ist abgewählt. Gerade das Schicksal des ehemaligen Polizeidirektors und jetzigen Nationalratskandidaten zeigt das Dilemma der FDP auf. Für den rechten Flügel seiner Partei galt er als zu links-liberal. Dürr stand für Teslas, eine tolerante Politik bei Demonstrationen und er ist ein Befürworter des Ausländerstimmrechts.
Luca Urgese, FDP Basel-Stadt.
Inzwischen führt an seiner Stelle eine deutlich weiter rechts politisierende Vertreterin der LDP das Justizdepartement. Und als Vertreterin von knapp links der FDP wurde eine Grünliberale gewählt. Der von der SVP heiss gewünschten Listenverbindung gab die FDP in Basel-Stadt jedoch erneut eine Absage.
Knapp zu wenig rechts, aber auch nicht genügend urban – das scheint das Schicksal der FDP zu sein. Was ist ihre Zukunft?
In den meisten Ländern sind die Liberalen Nischenparteien, gibt Michael Hermann zu bedenken, «das könnte auch der FDP blühen». Wenn es so kommt, stellt sich die Frage: Hat eine Nischenpartei zwei Bundesräte verdient? Oder wie es Hermann formuliert: «Das rechtsbürgerliche Lager hat im Bundesrat vier Sitze, obwohl es im National- und Ständerat keine Mehrheit hat.» Sollte die Mitte die FDP im Herbst überholen, würde das früher oder später ein Domino in Gang setzen.
Luca Urgese von der Basler FDP sieht das selbstverständlich anders. Er verweist auf die starke Tradition, welche der Liberalismus und der staatstragende Freisinn in der Schweiz haben. Und ist überzeugt, dass gesamtschweizerisch das Wählerpotenzial der FDP stärker gegen rechts als Richtung Mitte liegt, in den Städten sieht es anders aus. Da positioniere sich die FDP urban entsprechend, so Urgese.
Nun, je nachdem wie sich die Zinsen entwickeln, könnte der Freisinn sich doch noch ins Gespräch bringen. Macht sich die Bevölkerung Sorgen, kommt das der FDP zugute. In den letzten Wochen haben mehrere Firmen einen Arbeitsplatzabbau bekannt gegeben, unter anderem auch die Idorsia in Allschwil. Und die Lonza passte ihre Prognosen nach unten an.
Michael Hermann, Politgeograf
Auch in der Schweiz machen sich die hohen Zinsen und der starke Franken bemerkbar. Die internationale Wirtschaftslage lässt sich zwar schlecht steuern: «Was wir beeinflussen können, ist aber die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz innerhalb des Landes», sagt Luca Urgese. Etwa über Freihandelsabkommen, tiefe Steuern, eine liberale Arbeitsmarktpolitik und wenig Bürokratie. Der Basler Freisinnige ist überzeugt: «Die liberale Wirtschaftspolitik in der Schweiz ist mitverantwortlich dafür, dass es der Schweizer Wirtschaft im Vergleich immer noch gut geht. Und die wurde stark von der FDP geprägt.»
Die Frage ist, wie sehr die FDP mit diesen Positionen mobilisiert. «Noch ist die Arbeitslosigkeit tief und es dauert jeweils, bis ein Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ankommt», sagt Politgeograf Michael Hermann. Die Wahlcouverts liegen aber schon in zwei Monaten im Briefkasten.
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