Das Schweigen der Journalist*innen
Die grossen Medienhäuser wollen Geld vom Staat. Gleichzeitig schütten «TX Group» und «NZZ»Dividenden aus. Seltsamerweise haben die meisten Journalist*innen dazu wenig zu sagen.
Normalerweise sind Journalist*innen keine Menschen, die mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten. Ausser es geht um die eigene Branche. Dabei gäbe es durchaus etwas zu diskutieren: Die Reaktion der Verlagsmedien auf Corona. Den Vogel schiesst gerade die TX Group (Tamedia) ab. Während die Schweiz mitten in der Krise steckt, streckt das reichste Medienhaus der Schweiz dem Staat die hohle Hand hin, indem sie einen Teil ihrer Journalist*innen auf Kurzarbeit setzt, gleichzeitig ihren Aktionär*innen aber 37 Millionen Franken Dividende in die Tasche spült
. Und auch die NZZ will Dividenden ausschütten.
Doch damit nicht genug: Jetzt fordern die Verleger dieser Medienhäuser noch zusätzliche Subventionen vom Staat obendrauf. Die CH Media hat am Mittwoch eine Botschaft in Form eines Artikels ans Parlament veröffentlicht. Darin kritisiert Verleger Peter Wanner zwar die Dividendenauszahlung der Tx Group. Trotzdem zeigen er und Tx-Verleger Pietro Supino, die zusammen im Präsidium des Verbands Schweizer Medien sitzen, nachher grosse Einigkeit, wenn es darum geht, die Posttaxen staatlich zu verbilligen. So darf Supino sagen, ein Nothilfepaket sei «dringend notwendig». Und Wanner ergänzt: «Man müsste es jetzt mit Dringlichkeit durch das Parlament bringen», sekundiert von NZZ-Chef Felix Graf: «Es wäre wünschenswert, dass vor allem die ausgedehnte indirekte Presseförderung nun möglichst rasch auf dem parlamentarischen Weg eingeführt wird.»
Dividenden ausschütten und Staatsgeld für Printmedien verlangen – geht das? Das wollten wir von Bajour wissen und stellten 33 meinungsstarken Medienleuten folgende Frage:
Ist es Ihrer Meinung nach in Ordnung für ein Medienunternehmen, Geld vom Staat zu beantragen und gleichzeitig Dividende auszubezahlen? Die Antworten sagen einiges über den Zustand der Medienbranche aus. Offenbar verstummt ein Grossteil der vierten Gewalt, wenn es um die Politik der mächtigen Verleger geht.
Das sind die Antworten:
1. Peter Wanner, Verleger «CH Media», Vizepräsident Verband Schweizer Medien
«Ich halte es in der Tat nicht für klug, vom Staat Hilfe zu fordern oder in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig eine Dividende auszuschütten. Man muss allerdings sehen, dass der Zeitraum für eine Revision der Entscheidung sehr kurz war. Wir haben bei CH Media entschieden, die Dividende 2019 in Aktionärsdarlehen umzuwandeln zur Sicherung der Liquidität. Bei AZ Medien beantragt der Verwaltungsrat, keine Dividende für das Jahr 2019 auszuschütten.»
2. Joel Widmer, sagt hier als Privatperson aus. Er ist ansonsten stv. Chefredaktor beim «Zofinger Tagblatt»
«Es ist generell sehr stossend, wenn Unternehmen durch Kurzarbeit vom Sozialstaat profitieren und gleichzeitig ihre Gewinne ausschütten. So auch bei TX Group. Man tut so, als wäre die Dividende für 2019 eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, ungeachtet der höchst unsicheren Zukunft wegen der Corona-Krise. Die TX-Group-Aktionäre und -Aktionärinnen, welche in guten Jahren als Kapitalgeber die Didivenden als sogenannte Risikoprämie einstreichen können, sollten jetzt in schwierigen Zeiten vielmehr in ihre Firma reinvestieren, um Arbeitsplätze zu sichern. Erst danach wäre der Gang zum Sozialstaat angesagt.»
3. Kaspar Surber, Redaktionsleitung «WOZ»
«Ich bin als Genossenschafter sowieso kein Freund von Dividenden: die Betriebe den Journalist*innen!»
4. Christof Moser, Co-Gründer und Chefredaktor «Republik»
«Selbstverständlich ist das Unfug. Die geplanten Dividendenausschüttungen für 2019 zeigen exemplarisch, woran die Gemischtwarenhändler bei der TX Group seit Jahren scheitern: an ihrem Mangel an demokratie- und staatspolitischer Verantwortung. Journalismus ist mehr als ein Geschäft für Konzerne. Der Markt wird’s regeln. Und der Staat über kurz oder lang herausfinden, wie er Aufbruch, Innovation und internationale Qualitätsmassstäbe an der verkrusteten, intellektuell verlotterten Schweizer Verlagsbranche vorbei fördern kann.»
5. Hans-Peter Lebrument, Verwaltungsratspräsident und Verleger «Somedia»
«Ich halte alle rechtlich einwandfreien Schritte für wichtig, die helfen, Arbeitsplätze zu erhalten, die aber so angelegt sind, dass die Unabhängigkeit des Mediums gewahrt bleibt. Bei Tx oder Tamedia ist dies, nach meinen Wissenstand gegeben.»
6. Ronnie Grob, Chefredaktor «Schweizer Monat»
«Es ist nicht überraschend, dass die TX Group Kurzarbeit beantragt und Dividenden ausschüttet. Die TX Group ist eine börsenkotierte Firma, die nach Gewinn strebt. Sie agiert im Interesse einiger ihrer Aktionär*innen. Für die Medienhäuser, denen jetzt bis zu 80 Prozent ihrer Werbeeinnahmen wegbrechen, ist das natürlich eine schwierige Situation – wie auch für Restaurants und Coiffeursalons, denen derzeit 100 Prozent der Einnahmen wegbrechen. Dass Medienhäuser jetzt Kurzarbeit beantragen und Kredite zum Nullzins beantragen, für die der Bund bei Ausfall bürgt, ist nicht falsch. Staatliche Medienförderung jedoch ist der falsche Weg: Private Medien sollten unbedingt privat bleiben. Nur so können sie staatliche Betriebe frei kritisieren – und für diese Kritik der Obrigkeit braucht es sie.»
7. Patrik Müller, Chefredaktor Zentralredaktion & «Schweiz am Wochenende», «CH Media»
«Diese Frage muss jedes Unternehmen für sich selber beantworten. Kurzarbeit und Dividenden schliessen sich aus meiner Sicht nicht aus. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass die Dividenden, die nun ausbezahlt werden, sich auf das gut verlaufene Geschäftsjahr 2019 beziehen. Die Coronakrise fällt ins Geschäftsjahr 2020. Beachten muss man auch, dass ein Teil der Dividenden an Pensionskassen und Sozialversicherungen gehen; diese leiden, wenn alle Unternehmen auf Dividenden verzichten würden.»
8. Arthur Rutishauser, Chefredaktor Tamedia-Mantelteil
«Ich bin Chefredaktor und nicht Geschäftsführer. Bitte wenden Sie sich mit dieser Frage an Nicole Bänninger von der Unternehmenskommunikation.»
9. Judith Wittwer, Chefredaktorin «Tages-Anzeiger» (Tamedia)
Diese Frage richtet sich an die Unternehmenskommunikation der TX Group, ich leite sie daher dorthin zur Beantwortung weiter. Sie wurde im übrigen im Hinblick auf die GV auch schon gestellt und beantwortet.»
10. Eric Gujer, Chefredaktor «NZZ»
«Ich leite Ihre Anfrage an unsere Medienstelle weiter, diese wird sich bei Ihnen melden.»
11. Christian Dorer, Chefredaktor «Blick»-Gruppe
«Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass ich mich nie zur Policy anderer Medienhäuser äussere.»
12. Sandro Brotz, Moderator «SRF»-Arena
«Auch wenn ich privat eine Meinung haben sollte - als «SRF»-Mitarbeiter ist es nicht an mir, mich öffentlich zu medienpolitischen Aspekten zu äussern.»
13. Dieter Kohler, Redaktionsleiter «SRF-Regionaljournal» Basel
«Die gestellte Frage ist nicht die Flughöhe des Regionaljournals Basel Baselland. Da muss ich an die «SRF»-Medienstelle in Zürich verweisen. Tut mir leid.»
14. Patrick Marcolli, Chefredaktor bz Basel, CH Media
«Interne Vorgänge bei einem anderen Medienunternehmen möchte ich nicht kommentieren.»
Nicole Bänninger, Kommunikationsverantwortliche Tamedia, Stv. Leiterin Kommunikation TX Group Die Dividendenpolitik der TX Group ist langfristig orientiert und sieht die Ausschüttung von 35 - 45 Prozent des jährlichen Gewinns vor. Wir versuchen, den legitimen Interessen aller Stakeholder gerecht zu werden und orientieren uns dabei an den Zielen der Angemessenheit, der Stabilität und der Berechenbakeit.
In diesem Sinn hat Verleger Pietro Supino angekündigt, dass aufgrund der krisenbedingt negativen Ergebnisentwicklung und zur Stärkung des Unternehmens keine Dividendenausschüttung für das laufende Geschäftsjahr 2020 erwartet werden kann. Weder das Gesetz noch der Bundesrat sieht einen Zusammenhang zwischen Kurzarbeit und der Auszahlung von Dividenden vor. Mit der erweiterten Möglichkeit der Kurzarbeit wird das Ziel verfolgt, krisenbedingte Kündigungen zu vermeiden.
Die Unternehmungen unter dem Dach der TX Group - Tamedia, 20 Minuten, Goldbach und TX Markets - und die Gruppe für ihre Holdingfunktionen haben entsprechend ihrer unterschiedlichen Betroffenheit Kurzarbeit beantragt. Im Übrigen hat die Geschäftsleitung entschieden, auf eine allfällige Gewinnbeteiligung fürs Geschäftsjahr 2020 zu verzichten.
15. Christian Keller, Gründer «Primenews» Basel
Will sich nicht zu einzelnen Medienhäusern äussern.
16. Markus Somm, Autor SonntagsZeitung (Tamedia), Ex-Chefredaktor «BaZ»
Will sich nicht äussern.
17. Dominik Feusi, Wirtschaftsredaktor «Tamedia», vorher «BaZ»
Will sich nicht äussern.
Seta Thakur, Leiterin Unternehmenskommunikation «NZZ»-Mediengruppe
«Die Entscheidung der TX Group in diesem Zusammenhang möchten wir nicht kommentieren. Wie Sie sicherlich wissen, hat auch die NZZ-Mediengruppe Kurzarbeit beantragt. Der Verwaltungsrat hat aus den nachfolgenden Überlegungen an seinem Dividenden-Antrag festgehalten: Die NZZ-Mediengruppe setzt ihren Fokus auf Qualitätsjournalismus und Wachstum im Nutzermarkt. Unsere Aktionäre unterstützten diese auf Langfristigkeit angelegte Strategie und suchen nicht die kurzfristige Maximierung. Gerade in Krisenzeiten sind diese Loyalität eine wichtige Voraussetzung für unsere Handlungsfähigkeit. Entsprechend ist auch unsere Dividendenpolitik auf Kontinuität angelegt. Angesichts des guten Geschäftsergebnisses 2019 hat der VR entschieden, für das vergangene Jahr eine Dividende auszuzahlen.
Wir verfügen über eine solide finanzielle Situation und genügend Liquidität. Wir geraten durch die Ausschüttung der Dividende nicht in Schieflage. Wir gehen aber davon aus, dass die aktuelle Krise Auswirkungen auf die Dividende für das Jahr 2020 haben wird.
Bei der Beantragung der Kurzarbeit geht es in erster Linie um den Erhalt der Arbeitsplätze sowie die Erbringungen der journalistischen Leistungen. Infolge der Corona-Krise rechnet die NZZ-Mediengruppe mit hohen Einbussen insbesondere im Werbemarkt und im Veranstaltungsgeschäft. Aufgrund der dadurch reduzierten Dienstleistungsangebote hat das Unternehmen darum Kurzarbeit in den Bereichen beantragt, wo derzeit pandemiebedingte Arbeitsausfälle vorkommen. Die NZZ-Mediengruppe zahlt die Löhne von Mitarbeitenden in Kurzarbeit vollständig aus. Wir konnten pro Ressort individuelle Lösungen erarbeiten. Dies ermöglicht uns, unser journalistischen Qualitätsversprechen vollumfänglich einzulösen und unsere Verantwortung als Teil des Service Public weiterhin wahrzunehmen.»
Stefan Heini, Leiter Unternehmenskommunikation, CH Media
«Anscheinend haben Sie bei mindestens zwei Chefredaktoren von CH Media dieselbe Medienanfrage platziert. Ich möchte Sie bitten, Ihre Anfragen jeweils an mich oder an [email protected] zu richten.»
18. Finn Canonica, Chefredaktor Tages-Anzeiger Magazin (Tamedia)
Keine Antwort erhalten.
19. Rolf Cavalli, Chefredaktor Aargauer Zeitung, CH Media
Keine Antwort erhalten.
20. Roger Köppel, Verleger und Chefredaktor Weltwoche
Keine Antwort erhalten.
21. Florian Schwab, Redaktor Weltwoche
Keine Antwort erhalten.
22. Maurice Thiriet, Chefredaktor Watson
Keine Antwort erhalten.
23. Matthias Daum, Leiter des Schweizer Büros der Zeit
Keine Antwort erhalten.
24. Sven Altermatt, Inlandredaktion CH Media
Keine Antwort erhalten.
25. Katia Murmann, Leiterin Digital Blick-Gruppe
Keine Antwort erhalten.
26. Andreas Häutpli, Geschäftsführer Verband Schweizer Medien
keine Antwort erhalten
27. Christoph Nussbaumer, Chefredaktor Friburger Nachrichten
keine Antwort erhalten
28. Bernhard Rentsch, publizistischer Leiter Bieler Tagblatt
keine Antwort erhalten.
29. Philipp Pfister, Chefredaktor Zofinger Tagblatt
Keine Antwort erhalten.
30./31. Anna Wanner, Doris Kleck: Co-Leiterinnen Bundeshaus CH Media
Abwesenheitsmeldung.
32. Luzi Bernet, Chefredaktor NZZ am Sonntag
Abwesenheitsmeldung.
33. Rainer Stadler, Redaktor NZZ
Abwesenheitsmeldung.