Badi auf dem Roche-Turm gefällig?
Der Baugrund in der Stadt ist sehr beschränkt. Wie könnte trotzdem mehr öffentlicher Raum entstehen? Die Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum stösst eine neue Diskussion an.
Wer aktuell den Steinenberg zum Tinguelybrunnen runterspaziert, muss sich dünn machen. Mitten auf dem Trottoir vor der Kunsthalle steht ein riesen Holzgerüst. Es ist eine Rampe. Ob man wohl da rauf darf?
Probieren wirs, ab in die Höhe. Was für eine Aussicht – der Blick geht über den Steinenberg bis zum Lohnhof. Zur Linken ein Eingang, stecken wir mal den Kopf rein. Ah, da steht eine Frau: «Grüezi, willkommen im Architekturmuseum», sagt sie. «Kommen Sie rein.»
Diese schwarz-weiss gemusterte Rampe ist Teil der aktuellen Ausstellung des Schweizerischen Architekturmuseum SAM. Normalerweise ist das Museum etwas versteckt, wer hinwill, muss erst die Kunsthalle passieren.
Doch das wollte Direktor Andreas Ruby vorübergehend ändern, schliesslich ist das Thema der aktuellen Ausstellung: «Access for all. São Paulo soziale Infrastrukturen». Noch bis Mitte August präsentiert das Museum Modelle, Pläne und Aufnahmen aus der brasilianischen Grossstadt. Zu sehen sind Autobahnen, Fabrikhallen, Kulturzentren und Universitäten. Sie alle haben gemein, dass sie auf unterschiedliche Art für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.
Das SAM hat die Ausstellung vom Architekturmuseum der Techischen Universität München übernommen und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Architektur der FHNW wesentlich erweitert. Die vielen faszinierenden und detaillierten Architekturmodelle zeigen, wie São Paulo die Gestaltung von öffentlichen Räumen neu erfindet – und gibt Einblicke, wie Basel davon lernen könnte.
Der Eintritt zur Ausstellung ist frei. Das kann man durchaus als Plädoyer für eine Abschaffung finanzieller Barrieren für Museen verstehen, wie sie andernorts bereits praktiziert wird – in London sind öffentliche Museen kostenlos zugänglich, in den USA bitten viele Museen ihre Besucher nur um eine Spende – so wie das SAM am Ausgang der Ausstellung.
Rauschender Nutzungsmix
Im Eingangsraum hängt ein riesiges Bild des öffentlichen Freibads auf dem Dach des SESC 24 de Maio, ein 13-stöckiges Hochhaus, das ursprünglich ein Kaufhaus war und von dem Pritzker-Preisträger Paulo Mendes de la Rocha und MMBB Arquitetos zu einem rege genutzten Kultur- und Freizeitzentrum umgebaut wurde.
Das Haus vereint unter seinem Dach einen rauschenden Nutzungsmix (Theater, Tanzstudios, Ausstellung, Fitnesszentrum, Restaurants, Bibliothek, Büros und eben ein Schwimmbad auf dem Dach) und verdeutlicht, was öffentlicher Raum heute sein kann: durch möglichst viele Nutzungen für viele Bevölkerungsschichten attraktiv und für alle zugänglich.
Doch warum soll uns ausgerechnet São Paulo interessieren?
Städte in Südamerika hätten traditionell wesentlich mehr Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Sphäre als die Politik hierzulande, sagt SAM-Direktor Andreas Ruby. So kommt es, dass Bürgermeister*innen brasilianischer Megastädte bei Fragen des Stadtbilds eine konträre Linie zu ihrer Landesregierung fahren können.
Ein Beispiel: Im Jahr 2007 untersagte São Paulos damaliger Bürgermeister Gilberto Kassab, Werbung an Gebäuden anzubringen – es sei denn, das beworbene Produkt wird darin hergestellt. Werbung eines lokalen Schusters geht, Coca-Cola hingegen darf keine Plakate aufhängen.
«Wir nehmen immer an, dass die Stadt gegeben ist. Dabei ist die Stadt gemacht.»Ursula Hürzeler, Professorin FHNW und Architektin (Rahbaran Hürzeler Architekten)
Des Weiteren sei São Paulo ein gutes Beispiel für poröse, also durchlässige Architektur, erklärt Ruby. Er nennt etwa die kilometerlange Hochautobahn Minhocão, die jedes Wochenende für den Autoverkehr gesperrt ist, sodass dort Partys stattfinden, Menschen Drachen steigen lassen und vieles mehr.
Kann Basel das auch?
Im letzten Raum der Ausstellung zeigen Architekturstudierende der FHNW Visionen, die sie für fünf definierte Orte entlang dem Rheinufer erstellt haben:
Die Öffnung des Rheinufers vor einigen Jahren war ein Experiment: «Vor dieser Öffnung war der Rhein in gewisser Weise der Endpunkt und nicht die Verbindung von Klein- und Grossbasel», erklärt Ursula Hürzeler, Professorin an der FHNW und Architektin im Büro Rahbaran Hürzeler Architekten, das für die Szenografie zuständig war. Es habe niemand gewusst, wie sich die Nutzung verändern würde – heute ist es die Lebensader der Stadt und das Rheinbord als Treffpunkt nicht mehr wegzudenken.
Basels besondere Stellung
Basel hat in der Diskussion um öffentlichen Raum eine besondere Stellung: Es gibt nur noch wenig verfügbaren Baugrund. Die Stadt kann nur vertikal wachsen. Dadurch drängt sich die Eigentumsfrage auf: Plädiert Architekturprofessorin Hürzeler dafür, Roche, Novartis und private Nutzer (beispielsweise am Grossbasler Rheinufer) enteignet werden, damit mehr öffentlicher Raum möglich ist? In der Stadt Zürich diskutiert die Politik, privaten Raum für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Hürzeler sagt: «Enteignungen finde ich persönlich schwierig. Roche ist aber genauso ein wichtiger Player im Stadtraum wie das Theater, die Museen oder die Stadt selbst. Daher kann man auch erwarten, dass sie ihren Beitrag zu einer lebenswerten Stadt leistet.»
Wie lässt sich mehr öffentlichen Raum schaffen und darf man dabei den Privaten ins Gärtli zu trampeln? Darüber diskutierte kürzlich auch Bajour-Chefin Andrea an einem SAM-Panel, das auf Youtube zu sehen ist. Titel: «Die poröse Stadt – Von geschlossenen zu offene Räumen.»
Wenn man die Eigentumsfrage auf São Paulo überträgt, zeigt sich interessanterweise, dass die meisten der dortigen Gebäude von privaten Stiftungen betrieben werden. Auch in Basel gibt es private Stiftungen, die städtebaulich wichtige Akzente setzen wie die Stiftung Habitat im Erlenmatt zum Beispiel.
Aber auch privatwirtschaftliche Bauherren könnten das «Recht auf Stadt» stärker mit Leben erfüllen, sagt SAM-Direktor Ruby: «Wenn man schon in die Höhe baut – wieso sollen dann nicht vier Stockwerke in einem der Roche-Türme für die Öffentlichkeit zugänglich sein? Dann ist der Turm halt vier Stockwerke höher. Die Kosten dafür könnten aus der Mehrwertabgabe getragen werden.»
Barfüsser- und Messeplatz wenig einladend
Letztlich geht es darum, wie der Stadtraum für die Menschen gestaltet werden soll. Einiges hat sich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren bereits verändert, die Autos sind etwa aus der Basler Innenstadt verbannt. Dennoch ist die Infrastruktur in grossen Teilen nicht auf den Menschen ausgelegt, so Ruby.
Deutlich wird das beispielsweise an den grossen Plätzen, seien es Barfüsser- oder Messeplatz. Diese Flächen sind wenige Male pro Jahr durch die Herbstmesse und den Weihnachtsmarkt genutzt – während sie das restliche Jahr über kaum aufenthaltsfreundlich sind: Weder Grünflächen noch Treppen, Bänke oder Stühle laden zum Sitzen ein. Ein Blick auf den Barfüsserplatz am Mittag zeigt, dass die Menschen auf den Treppen hinten am Platz sitzen.
«Wir nehmen immer an, dass die Stadt gegeben ist. Dabei ist die Stadt gemacht», erklärt Ursula Hürzeler. «Wir haben es in der Hand, wie wir unsere Stadt gestalten.»