Der Bärendienst des Pius Knüsel

Die Abgrenzung zwischen Kulturinstitutionen und freier Szene sei noch zu verhandeln, philosophiert Pius Knüsel, der ehemalige Direktor von Pro Helvetia, und bringt seine Sympathien für die Musikvielfalts-Initiative bei Bajour zum Ausdruck. Damit erweist er der Initiative einen Bärendienst, schreibt Kulturpolitiker Johannes Sieber in seiner Replik.

Dass Pius Knüsel in der Musikvielfalts-Initiative die Wahrwerdung seines 2012 prophezeiten «Kulturinfarkts» sehen will – fair enough. Schliesslich steht seine Rehabilitation noch aus. Die Schelte war heftig. Zu Unrecht. Zu viele lasen sein Buch nicht über die Hälfte. Das Konstruktive steht im hinteren Teil. Die Demontage des damaligen Direktors von Pro Helvetia: beispiellos.

Seine Sympathie für die Musikvielfalts-Initiative ist also nachvollziehbar. Mal so richtig an den kantonalen Kulturförderstrukturen rütteln, das hält jung! Doch dass der heutige Geschäftsführer eines kleinen Festivals in Altdorf, Kanton Uri, sich immer noch als «ehemaliger Direktor von Pro Helvetia» kulturpolitisch zu Wort meldet: fragwürdig. Dass er dies ohne Kenntnisse der kantonalen Musikförderung in Basel-Stadt tut: unglaubwürdig. Und dass Bajour ihn gegen besseres Wissen reden lässt: eine journalistische Fehlleistung.

Halten wir fest: Pius Knüsel behauptet, dass sich die Institutionalisierung des Musikschaffens an den arbeitsrechtlichen Verhältnissen der Musiker*innen zu ihren Institutionen misst. Damit erweist er seiner Rehabilitation einen Bärendienst. Wenn das «Gare du Nord» zur freien Szene zählt, dann tun es die Basel Sinfonietta, das Kammerorchester Basel und die meisten anderen auch. Dann ist der von der Initiative geforderte Drittel für das freie Musikschaffen längst erfüllt und damit die Musikvielfalts-Initiative obsolet. Wir können sie ablehnen oder annehmen: einerlei.

Johannes Sieber
Zur Person

Johannes Sieber ist Kulturunternehmer, Kulturpolitiker und Grossrat. Er ist seit 20 Jahren engagiert für eine vielfältiges Basel und hat mit seinem Kulturengagement GayBasel unzählige Veranstaltungen verantwortet. Als Mitglied bei Kulturstadt Jetzt hat er die Trinkgeldinitiative gewonnen und an ihrer Umsetzung mitgewirkt. Er ist involviert in die Programme «Kultur divers gestalten» (Kanton Basel-Stadt) und «Tandem Diversität» (Pro Helvetia). Und er ist Mitglied im Komitee «Der Kulturstadt Basel Sorge tragen», das im August gegründet wurde und das sich gegen die Musikvielfalts-Initiative positioniert. 

Doch das ist falsch. Die Initiative spaltet die Kulturszene. Musiker*innen fürchten um ihren Job und ihre Engagements. Musikinstitutionen fürchten um ihre Existenz. Darum hat die Gewerkschaft VPOD die Nein-Parole beschlossen. Darum empfiehlt der Schweizerische Musiker:innenverband (SMV), die Initiative abzulehnen. Darum ist Linke gespalten und wurden viele ihrer Kulturpolitiker*innen zum Schweigen gebracht oder schweigen aus taktischen Gründen. Der Regierungsrat und der Grosse Rat lehnen die Initiative ab. Zu Recht.

Denn selbstverständlich ist das wahrscheinliche Szenario, dass auf Kosten des institutionellen Kulturschaffens exklusiv das freie Musikschaffen gefördert wird – während das freie Theater-, Tanz-, Literaturschaffen und auch die freien bildenden Künstler*innen leer ausgehen.

Ist das kulturelle Vielfalt? Ist das gerecht? Ist das solidarisch, Herr Direktor Knüsel? Nein.

«Pius Knüsel behauptet, dass sich die Institutionalisierung des Musikschaffens an den arbeitsrechtlichen Verhältnissen der Musiker*innen zu ihren Institutionen misst. Damit erweist er seiner Rehabilitation einen Bärendienst.»
Johannes Sieber, Kulturunternehmer und Grossrat

Weil die Initiant*innen es bewusst offen lassen, ob die Finanzierung über eine Aufstockung oder eine Umverteilung zustande kommen soll, wäre das Volks-Ja ein Auftrag für beides. Dem wird bei der Umsetzung nachgekommen – mit unbekannten Folgen. Darum sagt Franziska Roth (SP), Präsidentin der Bildungs- und Kulturkommission des Grossen Rats, dass die finanziellen Konsequenzen bei einer Annahme der Initiative nicht beziffert werden können. Und Regierungspräsident Conradin Cramer (LDP) hält fest: Die Umsetzung der vorliegenden Initiative wäre kulturpolitisch verantwortungslos.

Pius Knüsel tut in diesem Interview, was er am besten kann: In theoretischer NZZ-Feuilleton-Arroganz an den tatsächlichen, lokalen, kulturpolitischen Realitäten vorbei referieren. Schade, hat das Bajour nicht gemerkt. Denn tatsächlich haben wir im Kanton Basel-Stadt die Alternativkultur und damit besonders das freie Musikschaffen in den letzten Jahren substanziell ausgebaut. Zuletzt in diesem Jahr mit der Umsetzung der Trinkgeldinitiative. Mit ihr stärken wir nicht nur die Spielstätten der Popmusik, sondern haben auch Förderinstrumente eingeführt, die unabhängig von den traditionellen künstlerischen Sparten wirken.

Wie kann es sein, dass der kulturbelesene Pius Knüsel im Kanton Uri noch nichts davon mitbekommen hat?

Inland - Jahresmedienkonferenz Pro Helvetia
«Wenn die Orchester solidarisch wären, gäbe es keine Spaltung»

Pius Knüsel, ehemaliger Direktor der Stiftung Pro Helvetia und Mitautor des Buchs «Der Kulturinfarkt», sieht in der Basler Musikvielfaltsinitiative eine grosse Chance sowohl für die freischaffenden Musiker*innen als auch für die Institutionen der freien Szene. Er hält die offene Formulierung der Initiative auch für eine Stärke.

Zum Interview

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Kommentare

Kaspar Von Grünigen
28. Oktober 2024 um 08:38

Polemik statt Kulturpolitik

Johannes Sieber manövriert sich mit jedem neuen Kommentar und jeder neuen Kritik mit den immer gleichen billigen Argumenten weiter ins Abseits. Nun scheint er auf diesem Feldzug langsam zu verzweifeln. Wie sonst muss man es einordnen, dass er dermassen zum Rundumschlag ausholt? Im gleichen Text Bajour journalistische Fehlleistung zu unterstellen, Pius Knüsel als Kulturpolitiker zu diskreditieren, mit Häme auf ein angebliches Eigentor zu verweisen und auch noch behaupten, die linken Kulturpolitiker:innen im Kanton wären zum Schweigen gebracht worden? Also wenn wir schon vom Lokalen reden wollen: Basel hat einen besseren und konstruktiveren Diskurs in der Kulturpolitik verdient. Der wird am besten konkret geführt und deshalb Ja zur Musikvielfalt am 24.11!

Victor Moser
28. Oktober 2024 um 06:24

Johannes Sieber macht sich unglaubwürdig

Die Wandlung des Johannes Sieber ist erstaunlich. Vor wenigen Jahren war er Mit-Initiant der Trinkgeldinitiative. Einer notabene „unformulierten“ Initiative, welche 5% des Kulturbudgets gefordert hat für Alternativ- und Jugendkultur. Da stand nichts von konkreten Umsetzungsforderungen, ob erhöht- oder umverteilt werden soll und es war auch nicht definiert, was genau „Alternativ- und Jugendkultur“ ist im Initiativtext. Jetzt wütet er gegen eine Initiative, die sich mit den genau gleichen Vorzeichen für eine gerechtere Aufteilung der öffentlichen Steuergelder und für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von freien Musikschaffenden einsetzt. Und die Initiative möchte das mit allen involvierten Playern/Institutionen tun. Partizipativ. Sieber hetzt also bewusst Kulturschaffende gegeneinander auf, verbreitet Fake News. Weil er weiss, das das Schüren von Ängsten und das säen von Zwietracht Menschen verunsichert. Lassen wir uns die Freude an der Musik nicht nehmen! JA zur Musikvielfalt!

Jurriaan Cooiman
Direktor Culturescapes

Das denken hinter dem System hinterfragen

Schade Johannes: Eigentlich eine Flucht nach vorn in die falsche Richtung, weil unüberlegt und inhaltsleer. Wir können uns wirklich einmal erlauben, die Systemfrage zu stellen: Nämlich das Denken hinter den kulturpolitischen Präferenzen, das so eindeutig einen ganz bestimmten Kulturbegriff priorisiert, der vor 50 Jahren noch stimmig schien, heute aber anachronistisch ist. Wie kann ein informierter und so engagierter Politiker nicht erkennen, dass, wenn in Basel 50% der Bevölkerung gar nicht abstimmen können/dürfen, genau die doch sehr kanonisierte Kultur der Stimmbevölkerung gefördert wird, sich als ungerecht erweist und einer grundsätzlichen Korrektur bedarf? Die Trinkgeld-Initiative, der Titel sagt es bereits, ist nicht mehr als Kosmetik, ein Witz. Jetzt geht es endlich Mal um die Sache der verborgene aber institutionaliserte Privilegien: Verlustängste gehen um, aber sieht man nicht, dass für eine grössere Mehrheit der Bevölkerung viel gewonnen werden kann? Das Ja wird immer Ja-er!

Sabine M
28. Oktober 2024 um 18:11

Lieber Herr Sieber, schade ist die Replik so kurzatmig und schwach auf der Brust. Leider scheinen Ihre eigenen Argumente die Spaltung zu wünschen. Das ist nicht die Diskussion, die ich mir für die weltoffene Stadt Basel wünsche (oder ist sie gar nucht was sie will?)? Mir scheinen Ihre Argumente vielmehr an althergebrachter Tradition (und verstaubten Argumenten) anzuknüpfen. Bringt nicht eine bessere Förderung, die zugänglich ist für alle mehr Wettbewerb und damit Güte? Ich dachte gerade dafür steht das Liberale? Oder hat ‚man‘ eher Angst, das etwa nichts übrig bleibt?

Wolfgang Hockenjos
Strategies for Contemporary Culture

Wer keine Argumente hat, greift zur Respektlosigkeit

Wenn man keine Argumente hat, attestiert man einfach einem Pius Knüsel eine Profilneurose — kann man machen — fällt aber schlussendlich auf den Absender zurück. Mit dieser abschätzigen Replik hat Johannes Sieber den Gegnern der Musikvielfalt einen echten Bärendienst erwiesen und zeigt einmal mehr, wie schwach ihre Argumente sind — dafür herzlichen Dank! In keiner Sparte der Künste wird die zeitgenössische Produktion so stiefmütterlich behandelt und das Förderbudget so einseitig in die Reproduktion und Interpretation investiert, wie in der Musik. Diese im letzten Jahrhundert verortete, bourgeoise Förderpolitik mit einem mageren Zuschuss für Jugend- und Alternativkultur zu rechtfertigen, um den feudalen Besitzstand zu waren, ist äusserst respektlos gegenüber dem Grossteil der professionellen Musikschaffenden dieser Stadt. Dass 90% des Musikbudgets in 10% der Musikkonsumenten investiert werden ist ungerecht und entspricht nicht der Vorgabe des Kulturleitbilds. Deshalb ein klares JA.

Robi
28. Oktober 2024 um 14:23

Meier

Konfus. Da wird viel auf den Mann gespielt anstatt stringente Argumente zu entwickeln. Was den Einbezug der Basler Politik anbelangt, ist das zwar interessant, aber das ist kein Ersatz für logisches Denken in Sachen Kulturpolitik. Als Nicht-Basler ist es schwierig nachzuvollziehen, was der Autor eigentlich vertritt.

Sevi Landolt
28. Oktober 2024 um 10:15

Schon schade.

Herr Sieber befindet sich als notabene einzige Gallionsfigur der Gegnerschaft auf einem argumentativ äusserst abenteuerlichen Ritt. Jetzt folgen wilde Rundumschläge die einer Kulturpolitikdebatte unwürdig sind und die von der Gegnerschaft hochgegaukelte Spaltung weiter vorantreiben. Schön, but so not my Kulturpolitiker. Die fortwährende Anbiederung von Herrn Sieber an das Establishment der selbsternannten Hochkultur lässt sein bisheriges kulturpolitisches Wirken langsam in einem ganz neuen Licht erscheinen. Schade.