Der Seiltanz

Rund um die Art Basel entsteht ein Spannungsfeld aus Kritik und Referenzen. Basel Social Club, die Liste und politische Aktivist*innen reiben sich an der prominenten Antagonist und kommen doch nicht ohne sie aus. Eine Analyse.

Weizenfeld Art Basel
Schön und kritisch – Das Weizenfeld auf dem Messeplatz. (Bild: Helena Krauser)

Wie kleine, freundliche Ausrufezeichen stehen die vielen einzelnen Weizenähren auf dem Feld mitten im hippen Kunsttrubel auf dem Messeplatz. Sie stehen für das Gute, das Moralische, sie setzen ein Zeichen. Ein Zeichen für die Verantwortung, die mit den Superlativen einer Kunstmesse; mit Geld, Macht und Spekulationen einhergeht. Das Werk der US-amerikanischen Künstlerin Agnes Denes heisst «Wheatfield – A Confrontation» und ist eine Referenz an eine frühere Installation der heute 93-jährigen Künstlerin. Schon 1982 hatte sie mitten in New York ein riesiges Weizenfeld mit tausenden Ähren angelegt. Denes war eine Pionierin der Umweltkunst und machte schon in den 80er-Jahren auf Themen aufmerksam, die heute dringlicher denn je sind.

Die Art Basel, selbst ein Knotenpunkt des Welthandels, ein nicht all zu kleines Rädchen einer gewaltigen Geldmaschinerie, hat dieses Werk mit seiner politischen Kraft und historischen Bedeutung geschickt gewählt – die Kritik am eigenen System institutionalisiert und ein Statement für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt gesetzt. Dieses Muster im Spannungsfeld zwischen Annäherung und Kritik, Emanzipation und Abhängigkeit findet sich im Umfeld der grössten Kunstmesse Europas immer wieder.

Die Kunstmesse ist Mitglied der Gallery Climate Coalition (GCC) und kommuniziert in diesem Rahmen, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen. Dass sie diesem Versprechen nicht glaubwürdig nachkommt, finden die Aktivist*innen von Collective Climate Justice und Break Free Schweiz. Sie kritisieren die Zusammenarbeit der Art Basel mit der UBS. Die Grossbank sponsert die Messe als «Global Lead Partner». Die Aktivist*innen werfen der UBS vor, mit ihren Geschäftstätigkeiten, insbesondere den sogenannten «Grünen Anleihen», in Lateinamerika für Schädigungen der Biodiversität und für die Missachtung indigener Rechte mitverantwortlich zu sein.

Protest beim Weizenfeld Art Basel
Die Aktivist*innen kritisieren die Zusammenarbeit mit der UBS. (Bild: Helena Krauser)

Am späten Mittwochnachmittag stellten sie sich vor dem Weizenfeld - das übrigens bis zur Ernte im August stehen bleiben soll – auf dem Messeplatz auf. Sie präsentierten ein Transparent mit den Worten «Protect Biodiversity, Drop UBS». Einige der Aktivist*innen hielten schwarz bemalte Garben in den Armen. Dass sich die Art Basel mit einem Werk wie dem von Denes mit Missständen, Zerstörung und Klimaschutz auseinandersetzt, findet Roberto D., einer der mitwirkenden Aktivist*innen, nicht wirklich überzeugend. Die Protestaktion dauerte rund eine halbe Stunde an und wurde von der Polizei beobachtet, aber nicht geräumt. Zwischenzeitlich versammelten sich rund 30 Interessierte rund um das Geschehen, kamen ins Gespräch oder machten Fotos.

Das Setting unterschied sich dadurch kaum von dem üblichen Treiben auf dem Messeplatz – Menschen stellen sich gemeinsam vor das Kunstwerk und werden fotografiert – zumal die Aktivist*innen für ihre Aktion eine besonders ästhetische Aufmachung wählten – schwarze Hosen, weisse Hemden und Blusen, dazu die schwarzen Garben und das Transparent in denselben Farben. Man weiss schliesslich um die Affinität des Publikums und setzt daher auf eine gemeinsame hübsche Bildsprache statt auf pure Konfrontation. 

Ein paar Meter weiter findet die kleine Schwester der Art, die Liste, statt. So genannt werden will sie auf keinen Fall – wie das mit kleinen Geschwistern eben so ist. Sie gilt als die «Entdeckermesse», hier gibt es Werke im niedrigeren Preissegment. Bis vor ein paar Jahren war der Liste ihre Roughness auch anzusehen, sie fand im Warteck statt, einer ehemaligen Brauerei – Backsteinwände, Kellerräume, und Dachterasse verliehen ihr einen besonderen Touch. Nun hat sie sich allerdings gleich neben der Art Basel in der Halle 1.1 platziert. Die Unterschiede verschwimmen langsam. Die Abhängigkeiten sind eindeutig. «Wenn die Art geht, dann geht auch die Liste», sagt der Liste-Gründer Peter Bläuer in der bz

«Mega guter Instaspot»

Mit einem komplett neuen Konzept ist vor drei Jahren der Basel Social Club angetreten und das sehr erfolgreich. Unkonventionell, unkommerziell und vor allem nicht unsozial, sondern eben für alle da; ohne Eintrittspreise, nicht aufs Verkaufsgeschäft, sondern auf den sozialen Austausch ausgelegt – so das Konzept. Wobei, eigentlich sei alles ohne Konzept entstanden, erzählt Mitgründerin Hannah Weinberger im Podcast mit Frida Trifft. Der Social Club, der dieses Jahr in Bottmingen und Reinach zwischen dem Predigerhof und dem Mathis-Hof stattfindet, vereine all die verschiedenen Bedürfnisse und Anlässe rund um das Thema Kunst und sei gegenüber der Art Basel beides: Kritik und Ergänzung. Statt das Weizenfeld in die Stadt, bringt der Social Club dieses Jahr die Kunst aufs Feld. Aber auch Weinberger ist klar, die Veranstaltung funktioniert nur im Spannungsfeld zur Art: «Im Februar würde der Basel Social Club keinen Sinn machen», sagt sie. Die Spannung entsteht durch die Reibung und ohne die jeweiligen Gegenspieler ginge der eigene Glanz verloren.

Beim genauen Betrachten ist das Weizenfeld auf dem Messeplatz nicht nur so beliebt, weil es ein politisches Statement ist, sondern vor allem ein «mega guter Instaspot», wie ein Besucher seinem Begleiter zuraunt. 

Und so verbiegen sich die zarten grünen Ähren im Luftstrom der romantisch und instagrammable durch das Feld streifenden Artbesucher*innen und sind gar nicht mehr so sehr Ausrufezeichen – viel mehr Aushängeschild für einen Seiltanz zwischen Moral, Prestige und Ästhetik, auf den sich alle einigen können.

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Helena Krauser

Das ist Helena (sie/ihr): Helena hat Kultur studiert, um über Kultur zu schreiben, während dem Studium aber in so vielen lokalen Redaktionen gearbeitet, dass sie sich in den Lokaljournalismus verliebt und die Kultur links liegen gelassen hat. Nach Bachelor und Praktika startete sie den zweiten Anlauf zur Versöhnung mit der Kunst, ein Master in Kulturpublizistik sollte es richten. Dann kam das Leben (Kinder, Festanstellung bei der bz) dazwischen. Finally beim FRIDA Magazin gab’s dann kurz richtig viel Kultur und die Entdeckung, dass mehr eben doch besser ist. Deshalb macht sie bei Bajour jetzt beides.

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