Glace, Cüpli und brennende Yachten
Die Art-Basel-Woche ist gestartet. Die Messe eröffnet eine skurrile Welt zwischen Kunstglamour, VIPs und harter Realität, die durch die Kunst eine Stimme bekommt.
Ist es dir aufgefallen? Dieser Tage suchen viel mehr Menschen konzentriert auf Google-Maps ihren Weg durch Basel, bestellen ihren Cappuccino auf Englisch, tragen teure Taschen, akkurat geschnittene Haare und bunte Kleider und haben ein gemeinsames Ziel: die Kunst in der Stadt entdecken. Spätestens dann merkst du: Es ist wieder Art-Basel-Woche.
Am Montagmorgen lud das Kunstmuseum Basel Medienvertreter*innen aus aller Welt zum Frühstück mit Kaffee, Canapés und Gipfeli ein. Anschliessend führte die Direktorin Elena Filipovic durch die Sammlung des 14. bis 19. Jahrhunderts. Das Interesse war gross. So gross, dass immer wieder der Alarm losging, weil doch eine*r der zahlreichen Teinehmer*innen einem der Gemälde im 1. Stock des Hauptbaus zu nahe gekommen ist.
Filipovic erklärte, warum die Kunstsammlung in den vergangenen Monaten komplett neu gehängt wurde (weil sie das Vorhaben sofort nach ihrem Amtsantritt Anfang 2024 in Angriff genommen hat) und weshalb ihr die Neuhängung ein echtes Anliegen war (weil vor ihr niemand auf die Idee gekommen ist und sie der Sammlung so neue Aufmerksamkeit verschaffen möchte).
Das Interesse der internationalen Journalist*innen war gross und es ging eine Raunen durch die Menge, als Filipovic sagte, dass besagte Sammlung des Museums nicht nur eine der bedeutendsten in Europa und die grösste der Schweiz ist, sondern auch die erste Sammlung weltweit war, die als öffentliche Sammlung konzipiert wurde, um sie der einheimischen Bevölkerung zugänglich zu machen (die Geschichte der öffentlichen Kunstsammlung Basel reicht bis 1661 zurück, als Basel das Amerbach-Kabinett erwarb).
«Das Kunstmuseum soll kein Friedhof der schönen Dinge sein.»Elena Filipovic, Direktorin Kunstmuseum Basel
Filipovic ist es zudem ein Anliegen, wichtige Persönlichkeiten in der Geschichte des Kunstmuseums zu würdigen – einschliesslich jene Frauen, die eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Künstler*innen und Institutionen gespielt haben. So wurde der Basler Künstlerin und Sammlerin Emilie Linder, die dem Museum 1841 ihre Sammlung geschenkt hat, eigens ein Raum gewidmet.
Filipovic wolle das Kunstmuseum zum «Ort des nachhaltigen Sehens, des historischen Bewusstseins und der gesellschaftlichen Reflexion» machen, schliesslich sei eskein «Friedhof der schönen Dinge».
Die Sammlung soll also in neuem Licht erscheinen. Das wird auch in der Gestaltung betont, indem die Kunst in Räumen mit bunter Wandfarbe präsentiert wird. Gemälde unter anderem von Hans Holbein dem Jüngeren oder Konrad Witz kommen vor knalligem Lila oder sattem Dunkelgrün zur Geltung, und sogar die Sitzgelegenheiten wurden neu bezogen. Am Pressemorgen bleibt aber keine Zeit, um sich hinzusetzen. Es muss schnell gehen, schliesslich haben alle Besucher*innen noch weitere Ziele in Basel.
Mit brennenden Yachten (Jonas Staal), Sand unter den Füssen (Giuseppe Francalanza) und Gratis-Glace (Gelateria di Berna) eröffnete am Montagvormittag die Liste Art Fair. Zum 30-Jahr-Jubiläum präsentiert die Art-Basel-Nebenmesse eine neue Architektur. Statt wie bisher kreisförmig werden die Stände der Galerien dieses Jahr in sechs Halbkreisen und einer T-förmigen Linie angeordnet.
In der Mitte befindet sich eine Plaza mit Bookshop, Bistro und Sitzgelegenheiten. Beim Spaziergang durch die Halle verliert man zwar hin und wieder die Orientierung, wird dadurch aber durch neue Perspektiven auf die einzelnen Präsentationen überrascht. Es fallen viele düstere, an Surrealismus und Expressionismus erinnernde Werke auf und einiges an politischer Kunst, die dazu animiert, genauer hinzuschauen.
«In der Türkei bekommen die Mädchen ihr Leben lang zu hören, ‹kämpfe wie ein Mann›, erzählt eine Mitarbeiterin der Pilot Galerie aus Istanbul. Auf den Fotos an der Wand, die die Künstlerin Gözde Mimiko Türkkan und ihre Gegnerin nach einem Boxkampf im Ring zeigen, halten die beiden sich allerdings gegenseitig an den in die Höhe gestreckten Händen. Es gäbe nämlich auch noch andere Wege, Konflikte zu lösen, als sich gegenseitig zu bekämpfen – nämlich aufeinander zuzugehen.
Die Künstlerin selbst steht auch am Stand und erzählt die Geschichte hinter einer pinken, menschlichen Figur, die mit in die Luft gestreckten Armen und Beinen auf dem Boden liegt. Das Werk heisst «Hug Me Harder, Choke Me Tender» (Umarme mich härter, würge mich zärtlich) und spielt mit der Gleichzeitigkeit von Gewalt und Intimität, die bei MMA-Kämpfen stattfindet. «Bei den Kämpfen kommt man sich wahnsinnig nah, es ist sehr intim», so Türkkan. Die MMA-Attrappe sei deshalb weich wie ein Kissen und erinnere an «Boyfriend-Pillows». Mit dem Werk und der Spannung zwischen Zärtlichkeit und Dominanz wolle sie auf die vielen Femizide in der Türkei hinweisen, erzählt sie.
Ein anderes, ebenso politisches Werk wird von der Galerie Commune in Wien präsentiert. Eine Serie aus kleinformatigen Fotos zeigt Bilder der belarussischen Sicherheitskräfte. Der Künstler Gleb Amankulov hat sie in Telegram-Kanälen gefunden. Sie zeigen jeweils das Ausmass der Zerstörung, dass die Sicherheitskräfte in Wohnungen von Aktivist*innen hinterlassen haben, nachdem sie diese durchsucht haben. Sie sollen zur Abschreckung dienen. Amankulov hat über den grössten Teil der sichtbaren Zerstörung auf den Fotos allerdings jeweils eine weisse Fläche gelegt. Er hat das mit dem Bildbearbeitungstool «Lasso» getan, was der Arbeit ihren Titel verlieh.
Auf dem Rückweg nach einer Stunde ist das Apéro-Buffet bereits fast leergeräumt. Ausser einem Schälchen mit einer halben Aprikose und einem Schnitz Nektarine und einer Scheibe Brot ist nichts mehr zu holen. Immerhin gibt’s bei der Gelateria di Berna noch ein Glace auf die Hand.
Als am späten Montagnachmittag die Art Unlimited für VIPs die Türen öffnet, braucht es Geduld. Der Ansturm ist riesig und es dauert mehr als 30 Minuten, bis man sich dem Sicherheitscheck nähert, der an eine Kontrolle am Flughafen erinnert.
Macht aber nichts, denn es gibt auch auf dem Vorplatz der Halle 1 viel zu sehen. Schrille Hüte, pinke Brillen und jede Menge geschäftige Menschen, die an ihren Handys herumtippen oder sich aus Wiedersehensfreude in die Arme fallen. Endlich in der Halle angekommen, ist die grossformatige Kunst eindrücklich.
Besonderer Hingucker ist das überdimensionale Werk «Danse Macabre» von Nicola Turner aus Wolle und Holz, das bis an die Decke der Messehalle reicht. Daneben wirkt das mehr als 4 mal 5 Meter grosse bunte Labyrinth von Carlos Cruz-Diez fast unscheinbar.
Grosser Andrang gibt es auch vor einem Raum, den Didier William gestaltet hat und dessen Werk mit «Gesture to home» betitelt ist. Bestehend aus Gemälden und überlebensgrossen Epoxidharz-Skulpturen, zieht dieses Kunstwerk die Besucher*innen in seinen Bann. Ein riesiges Kunstwerk scheint das nächste übertrumpfen zu wollen.
Mitten im Getümmel zwischen all den VIPs ist auch Regierungspräsident Conradin Cramer, für den die Art Unlimited der beste Ort der Art Basel ist. «Wenn es nur eine Sache geben würde, die ich an der Art sehen könnte, würde ich immer an die Art Unlimited gehen.» Es sei «wie immer überwältigend. Hier sind Werke ausgestellt, die man sonst nicht sehen kann. Die Dimension in dieser Halle, in der die Künstlerinnen und Künstler Platz haben, um sich auszudrücken, ist etwas ganz Besonderes», sagt er, während er zwischendurch von einem indonesischen Galeristen um ein gemeinsames Foto gebeten wird.
Richtung Ausgang ist es dann ebenso voll wie beim Eingang, es gibt Cüpli und ein grosses Get-Together der VIPs, die dieser Tage in Basel sind, um sich zu vernetzen und Geschäfte zu machen.