Woke Socken?
Die Basler SP hat einen Generationenwechsel hinter sich. Wird sie jetzt zur politischen korrekten Stillstands-Partei? Eine Analyse.
Mitte August feierte die Basler Politik den Einstand von Grossratspräsident David Jenny im Werk 8 auf dem Gundeldinger Feld. Da begab es sich, dass sich die erweiterte Politfamilie Eymann – von Regierungsrätin Stephanie Eymann (LDP) bis Cousin Balz Herter (Mitte) – zu einem Familienbild versammelte. Otto Schmid, langjähriges SP-Mitglied und für seine gute (Feier-)Laune bekannt, gesellte sich dazu.
Das passte Lisa Mathys nicht. Die SP-Co-Präsidentin nahm den Genossen Schmid beiseite und sagte: «Du sendest eine Botschaft, wenn du solche Bilder postest.» Sie meinte das ganz ernst, wie sie später gegenüber Bajour bestätigt. Co-Präsidentin Brandenburger unterstützt sie*: «Die Justizdirektorin Eymann vertritt schliesslich bei unbewilligten Demonstrationen und beim Bettelverbot eine repressive Politik, die den Werten der SP diametral widerspricht.»
Gender-Slang statt Internationale?
Otto Schmid selbst will sich nicht dazu äussern. Bei einer Reihe von älteren Genoss*innen aber gingen danach die Emotionen hoch. «Wollen die Präsidentinnen jetzt erfahrenen SPler*innen vorschreiben, was sie zu sagen und zu denken haben?» Wer den «Gender-Slang der woken Generation» nicht rausballern kann wie Genossen früher die Internationale, werde ausgeschlossen. Namentlich äussern will sich aber niemand.
Die SP hat einen Generationenwechsel hinter sich. Und ist mitten in einer Realo-Fundi-Debatte gelandet, wie sie von Deutschland bis in die USA zu beobachten ist und die Seite um Seite die Feuilletons füllt: Die Minderheiten-sensiblen Feminist*innen stehen den Konservativen gegenüber. Letztere werfen ersteren vor, sie würden sich lieber fürs Gendersternli als für faire Arbeitsbedingungen von Arbeiter*innen einsetzen. Deshalb wähle der arbeitende Normalbürger lieber Rechte als Linke.
...in hohem Mass politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung, schreibt der Duden. Der Begriff stammt aus afroamerikanischen Communitys der 60er-Jahre und war anfänglich von der Black-Lives- Matter-Bewegung positiv besetzt, wurde mittlerweile aber von Rechten abgewertet, schreibt der Guardian.
Bajour hat mit über einem Dutzend Basler Sozis gesprochen und gemerkt: Diese Diskussionen, gibt es zum Teil, auch in der SP Basel-Stadt. Was nicht erstaunt.
An den letzten Wahlen hat die Partei quasi das ganze Personal ausgewechselt: im Regierungs- und im Nationalrat, ebenso wie im Präsidium. Seit April führen die Grossrätinnen Mathys und Jessica Brandenburger zusammen die Partei. Brandenburger kommt aus der Juso. Sie hat Jahrgang 1992 und steht immer wieder mit feministischen Anliegen (Stichwort Gratis-Tampons an Schulen) in der Öffentlichkeit. Lisa Mathys war 2011 bis 2020 politische Sekretärin der SP Baselland und ist prononcierte Vertreterin einer autofreien Umweltpolitik.
Die Kombination aus jung, weiblich und öko-feministisch löst offenbar bei einigen älteren Genoss*innen Ängste aus. Sie fürchten, die «dauerempörte» junge Generation nehme Überhand, und vergesse dabei die Leute mit dem kleinen Portemonnaie. Das habe schon angefangen, bevor Mathys und Brandenburger das Präsidium von Pascal Pfister übernommen haben.
- Beispiel Gratis-Kitas: Die Initiative der SP fordert, dass Kitaplätze über die Steuern finanziert werden – und die Elternbeiträge gestrichen. Die Kritik der Unzufriedenen: Und wer kümmert sich um die prekären Arbeitsplätze der Betreuer*innen?
- Beispiel Flughafen: Die SP will das Wachstum beim Euroairport stoppen, wegen des Klimas. Die Kritik der Unzufriedenen: Der Flughafen ist einer der letzten Orte in Basel, wo Menschen ohne Lehre einen Job finden.
- Obendrauf unterstützte die SP Basel-Stadt auch noch den gescheiterten Parkplatzabbau beim Friedhof am Hörnli, was einige SP-Secondos erzürnte, die Grossabdankungen mit der erweiterten Familien durchführen. Die «Basler Zeitung» schrieb deswegen gar, die Liaison zwischen SP und Migrant*innen sei brüchig: «Denn die Sozialdemokraten sind längst keine Arbeiterpartei mehr, sondern eine Partei der Intellektuellen und Gutverdienenden. Die Migranten und die Secondos hingegen gehören oft zu den Einkommensschwächeren.»
Ideologisiert die SP an den kleinen Leuten vorbei?
Sachpolitisch: nein. Die Basler SP setzt sich, in Kooperation mit den Gewerkschaften, durchaus für diese Klientel ein. Etwa beim Mindestlohn, den Basel im Juni angenommen hat (auch wenn es wegen des Gegenvorschlags Streit gab), bei der Coronahilfe für armutsbetroffene Haushalte, dem Pflegebonus, bei der Wohnpolitik oder bei der Unterstützung für Alleinerziehende.
Und beim Mittelstands-Projekt Gratis-Kitas wolle sich die SP auch für das Personal einsetzen, sagt Jessica Brandenburger: «Der Initiativtext ist bewusst knapp gehalten.» Ebenso beim Flughafen, ergänzt Lisa Mathys: «Wir wollen keine Arbeitsplätze abschaffen, sondern das Wachstum bremsen. Das ist eine innerparteilich breit abgestützte Position.»
«Die Gruppe der (stimmberechtigten) traditionellen Arbeiter ist einfach geschrumpft.»Denise Traber, Politologin Uni Basel
Und auch die These, dass die Sozialdemokratie Arbeiter*innenstimmen an rechts verliert, ist so alt wie falsch. So sagt Politologin Denise Traber von der Universität Basel am Telefon: «Die Gruppe der (stimmberechtigten) traditionellen Arbeiter ist einfach geschrumpft.» In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft braucht es weniger Industriearbeiter, dafür gibt es mehr Sozialarbeiter*innen, Computerspezialist*innen etc. «Und die wählen tendenziell links oder Mitte.» Das zeigen europäische und nationale Wahlauswertungen (die Zahlen für Basel sind nicht repräsentativ).
Gemotzt wird immer
Natürlich gibt es immer noch Menschen mit kleinem Einkommen, etwa alleinerziehende Mütter, Putzpersonal oder Essenslieferant*innen mit Kleinstpensen. «Doch», sagt Denise Traber, «diese Menschen wählen oft gar nicht.» Weil sie kein Bürgerrecht haben oder im Vergleich zur traditionelle Arbeiterschaft weniger gewerkschaftlich organisiert sind, und dadurch weniger politisch mobilisiert werden.
Die Konflikte der Genoss*innen sind also eher kommunikativer Natur. Es gibt zwar unter den langjährigen Sozialdemokrat*innen auch viele, die abwinken: «Ist ja klar, dass nicht alle Alten Freude haben, wenn die Jungen die Macht übernehmen», heisst es. Und: «Es ist doch ein Privileg, wenn man so viel Nachwuchs hat. Die bringen gerade im Feminismus und beim Klima Themen auf den Tisch, die auch der Gesellschaft unter den Nägel brennen.»
Bajour unterstützen.
Doch der grössten Basler Partei fehlt die Vision, die zusammenhält.
Corona ist für viele Menschen ein existenzielles Drama und deshalb für Linke eine Chance. Doch während sich die SP von Vorstösschen zu Vorstösschen hangelt, kommt die grosse Sozialoffensive von Linksaussen oder von der Strasse. Beim Mindestlohn waren die Gewerkschaften federführend (die SP arbeitete den Gegenvorschlag mit aus), im Wohnschutz treibt die BastA! die SP vor sich her und auf nationaler Ebene bringen parteilose Aktivist*innen gerade das Grundeinkommen wieder aufs Tapet. Und die Genoss*innen? Mitten in der Krise dreht sich das jüngste Positionspapier der SP Basel-Stadt ums Thema Verkehr.
Eine Gesamtstrategie ist aber offenbar gar nicht gewünscht. Co-Präsidentin Lisa Mathys sagt: «Die Aufgabe der SP sehen wir darin, bei aktuellen Themen immer die soziale Frage mitzudenken: Bei der Kinderbetreuung, beim Klima, bei der Wohnpolitik, bei allem.»
«Ich wünsche mir, dass man sich als SP-Mitglied bewusst ist, wie man öffentlich auftritt.»Lisa Mathys, Co-Präsidentin SP Basel-Stadt
Inhaltlich mag das stimmen. Aber für die Wähler*innen zählt häufig nicht das Sein, sondern der Schein, was man rüberbringt. Das haben die letzten kantonalen Wahlen gezeigt, an denen Rotgrün die Mehrheit in der Regierung verlor und die SP wegen der grünen Welle zu den Verlierer*innen der Grossratswahlen gehörte. Und in drei Jahren wird es nicht leichter: Der SP droht ein Nationalratssitz abhanden zu kommen – einer der fünf Basler Sitze geht an den Kanton Zürich.
Doch viele Gedanken hat sich die SP offenbar auch dazu noch nicht gemacht: «Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass es realistisch ist, dass eine*r der fünf Basler Nationalrät*innen abgewählt wird», sagt Co-Präsidentin Jessica Brandenburger. Die SP werde alle möglichen Szenarien vorbereiten, «denn das Schlimmste ist, wenn man Leute, die abgewählt werden, im Regen stehen lässt».
Und Mathys fischt bürgerliche Stimmen, wenn sie sagt: «Wir müssen aufzeigen, wie wichtig unsere Nationalrät*innen nicht nur für Linke, sondern für die ganze Region sind.» Sarah Wyss sorge bei der Gesundheitsplanung überparteilich für Allianzen, Mustafa Aticis Einsatz in der dualen Bildung sei zentral für die Life Sciences und den Wirtschaftsstandort. Und Ständerätin Eva Herzog vertrete in Bern «definitiv nicht nur linke Anliegen, sondern die Interessen des ganzen Kantons».
Der Kampf um den Nationalratssitz bedroht derweil den internen Frieden: Die heutigen SP-Nationalrät*innen Sarah Wyss und Mustafa Atici führten schon bei den letzten Wahlen eine Fehde. Der jetzige Druck könnte diesen Kampf noch verschärfen.
Die Struktur der SP an sich garantiert eigentlich eine offene Konfliktkultur: Die Partei funktioniert basisdemokratisch. Jeder Entscheid wird in Sachgruppen vorbereitet und muss von Delegiertenversammlung abgesegnet werden. Doch während Corona hat man sich wenig gesehen. Da gab es – Beispiel Hörnli-Parkplätze – weniger Austausch zwischen den verschiedenen Interessensgruppen.
In dieser Ausgangslage braucht es strategische Weitsicht und diplomatisches Können. Auch, um den konservativen und den woken Flügel zu vereinen. Jessica Brandenburger sagt zwar: «Wir beziehen alle ein, jung und alt.»
«Ist das ein Witz? Und nach der Grossratssitzung in freundschaftlicher Einigkeit ein Bier trinken geht auch nicht mehr?»Patricia von Falkenstein, Präsidentin LDP
Für die ganzen Emotionen rund um das Eymann-Foto haben die beiden Präsidentinnen aber kein bisschen Verständnis: «Das war eine Bagatelle ohne politische Bedeutung», sagt Mathys. Hätte das innerhalb der SP nicht für solchen Wirbel gesorgt, hätte ich sie längst vergessen. Mit dem angesprochenen SP-Mitglied ist die Sache geklärt.»
Für sie ist offenbar klar: «Wir schreiben niemandem in der Partei vor, wer mit wem abhängen darf und wie man sich in den Sozialen Medien zu präsentieren hat.» Aber: «Ich wünsche mir, dass man sich als SP-Mitglied bewusst ist, wie man öffentlich auftritt.» Die SP habe die Machtstrukturen des «Eymann-Clans» wiederholt kritisiert, «da ist es ein Widerspruch, mit demselben Clan in freundschaftlicher Einigkeit zu posieren», sagt Mathys.
Bei der LDP kann man darüber nur den Kopf schütteln. Parteipräsidentin Patricia von Falkenstein sagt lachend: «Ist das ein Witz? Und nach der Grossratssitzung in freundschaftlicher Einigkeit ein Bier trinken geht auch nicht mehr?» Es käme ihr nicht in den Sinn, ihren Parteimitgliedern vorzuschreiben, mit wem man für ein Foto posieren dürfe, sagt von Falkenstein. Schliesslich sei es eine Errungenschaft der Schweizer Politikkultur, dass sich die Parteien mit pointierten Aussagen bekämpfen, aber auch gemeinsam Kompromisse suchen. «Dabei helfen gute überparteiliche Beziehungen.»
Eine Ausnahme macht sie bei Personen mit extremen Ansichten: «Wenn sich ein LDP-Mitglied mit einem extremen Impfgegner ablichten liesse, hätte ich jetzt auch keine Freude», sagt von Falkenstein.
Patricia von Falkenstein führt die LDP seit dem Jahr 2013. Lisa Mathys und Jessica Brandenburger sind erst seit April 2021 an der Spitze der SP. Sie haben also noch ein bisschen Zeit, in die Rolle der diplomatischen Strateginnen zu wachsen. Die englische Intellektuelle Laurie Penny schreibt in ihrem Buch «Bitch Doctrine»: «All politics are identity politics». Das gilt aber auch umgekehrt: Identitätspolitik ist, um einen alten Begriff zu benutzen, Klassenpolitik.
Wie gut es einem Menschen geht, hat sehr viel mit Identität zu tun. Menschen mit Migrationsvordergrund sind überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen. Frauen und Transmenschen ebenso. Um sich darüber aufzuregen, braucht es sicher eine Portion moralische Empörung. Aber um es zu lösen, eben auch das, was man als die Kunst der Politik bezeichnet: Kompromissfähigkeit.
*In der ersten Version des Textes stand, Lisa Mathys hätte diesen Satz gesagt. Es war aber ihre Co-Präsidentin,Jessica Brandenburger, weshalb Bajour den Namen korrigiert hat. Entschuldigung.