Erfolgsrezept? Analog.
Am Mittwochmorgen startete auf dem Messegelände die Spring Basel. Unscheinbar nebenan: die Lehrstellenbörse 2024. Ein veraltetes Konzept oder ein aufstrebender Event? Wir haben uns umgeschaut.
Mit Mappen unter den Armen stehen Jugendliche am Mittwochmorgen nervös vor den Ständen ihrer potenziellen Arbeitgeber*innen in der Messehalle 1. Über ihnen steht in leuchtenden Lettern: «Willkommen an der Lehrstellenbörse 2024». Sie warten auf ein Gespräch mit den Vertreter*innen der anwesenden Lehrbetriebe. Einige warten offensichtlich auf einen freien Stuhl, andere auf den eigenen Mut. Wer wagt den ersten Schritt?
Allein in den beiden Basel sind gemäss Lehrstellennachweis LENA aktuell noch knapp 2’000 Lehrstellen für 2024 offen. Diese zu besetzen ist für die Betriebe im Verlauf der letzten Jahre immer schwieriger geworden. 85 Lehrbetriebe versuchen ihr Glück deshalb an der neunten Lehrstellenbörse des Gewerbeverbands Basel-Stadt. Sie bieten 700 Lehrstellen in über 100 Berufsfeldern an.
Einer dieser Betriebe ist die Anliker AG Bauunternehmung. Die Firma sucht für ihren Standort in Birsfelden noch zwei bis drei Maurer*innen und Strassenbauer*innen. Berufsbildner Edwin Kramis erzählt, bei Anliker spüre man den Fachkräftemangel: «Die Lehrlingszahlen sind in den letzten Jahren rapide runtergegangen.» Ob sie alle Stellen besetzen können, sei unklar. «Ein bis zwei wären schön, aber es muss auch passen.» Um herauszufinden, ob dies der Fall ist, eigne sich die Lehrstellenbörse ideal, erklärt die Lehrlingsverantwortliche Rebekka Roos. «Im Gespräch kann man für beide Seiten bereits gewisse Sachen klären.»
Die Lehrstellenbörse sei eine gute Sache, findet auch Kramis. Selbst in der digitalisierten Welt von heute. Online sei Anliker aber auch unterwegs, erzählt Roos. «Wir bauen gerade die Social-Media-Kanäle auf, aber da haben wir noch Potenzial.» Deshalb würden sie weiterhin auf Messen, Berufswahltage und direkte Besuche bei Schulen setzen. Für Kramis ist klar: «Man muss viel mehr machen als früher. Du musst die Lehrlinge zu dir holen.»
Das muss auch die Thommen Group aus Kaiseraugst. Sie plagt nicht der Fachkräftemangel sondern die Unbekanntheit ihres Lehrberufs. Noel Huggler – seit August ausgelernter Recyclist – meint: «Wenige kennen diesen Beruf und noch weniger Menschen wissen, was man als Recyclist macht.» Es gehe nicht um Abfall. «Wir bei Thommen sind auf Metall spezialisiert», erklärt Huggler. Als Recyclist kümmert er sich um die Sortierung, Aufbereitung und Lagerung von wiederverwendbaren Stoffen wie eben Metall.
Aufgrund der Unbekanntheit des Berufs bestehe Aufklärungsbedarf. Deshalb sei die Thommen Group ebenfalls in den Sozialen Medien präsent. Sie betreibt Accounts auf Facebook und Instagram und schaltet Werbekampagnen auf TikTok und Snapchat. Das funktioniere, meint die Personalentwicklerin Yeter Yildiz. «Ich habe heute schon mehrfach ‹Ach ihr seid die von TikTok› gehört.»
Dennoch schätzt Yildiz den persönlichen Kontakt an der Lehrstellenbörse. «Man kann bereits filtern, wer wirklich interessiert und geeignet ist.» Zudem sei es wertvoll, sich mit den anderen Betrieben zu vernetzen und gleichzeitig den Jugendlichen zu zeigen: «Uns gibts».
Doch was halten die nervösen Lehrstellensuchenden von den nervenaufreibenden persönlichen Gesprächen? Ein 16-Jähriger des Schulheims Röserental schätzt es, die Firmen auf diesem Weg kennenzulernen. «Ich glaube, das bringt schon etwas.» Er suche eine Lehrstelle als Informatiker Applikationsentwicklung und habe sechs Gespräche geführt. Leider mit mässigem Erfolg. «Ich habe ein paar Stellen für nächstes Jahr gefunden, aber keine für dieses Jahr.»
Anders sieht es bei einem Schüler der Sekundarschule Binningen aus, der sich für eine Lehre als Fachmann Gesundheit oder Fachmann Betreuung interessiert. «Ich kann nächste Woche schnuppern gehen.» Eines seiner drei Gespräche sei erfolgreich gewesen. Für ihn ist die Lehrstellenbörse nach wie vor zeitgemäss: «Ich finde es wertvoll, weil ich mich persönlich vorstellen kann und es mir Spass macht.»
Davon ist auch Stephan Heiber vom Gewerbeverband Basel-Stadt überzeugt. «Die Lehrstellenbörse Region Basel ist zeitgemässer denn je, weil sie einen direkten Kontakt ohne digitale Umwege möglich macht. Man kann mit dem persönlichen Kontakt punkten.» Als Projektleiter Berufsbildung ist Heiber für die Organisation der Börse verantwortlich. Er sieht viel Bedarf für den persönlichen Austausch vor Ort. «Die Jugendlichen sind so extrem in der digitalen Welt unterwegs. Sie haben weder Ahnung von irgendetwas Praktischem noch von der Realität des Lebens», formuliert Stephan Heiber seine Meinung schroff.
Dort setzt die Lehrstellenbörse an. Die Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, sollen über den persönlichen Austausch mit den Betrieben in Kontakt kommen. Dabei kann es sowohl zu einem kurz gehaltenen Kennenlernen als auch zu einem kompletten Bewerbungsgespräch inklusive Austausch der nötigen Bewerbungsunterlagen kommen. «Es ist ein direktes, einfaches Element. Konträr zu allen digitalen Instrumenten», findet Stephan Heiber. «Hier wird man im Persönlichen gefordert und kann sich so als Mensch zeigen.» Das Digitale brauche es aber auch, räumt er ein.
Das erste Mal fand die halbtägige Lehrstellenbörse im April 2016 statt. Seither ist sie rasant gewachsen. «Wir haben mittlerweile doppelt so viele Unternehmen wie bei der ersten Lehrstellenbörse», meint Projektleiter Stephan Heiber. Die Nachfrage sei weiterhin steigend. «Die Betriebe fragen uns jeweils an, wann die nächste Lehrstellenbörse stattfinde. Die nächste Ausgabe ist am 25. September 2024.» Auch die Lehrstellensuchenden nutzen das Angebot zahlreich. 930 Besucher*innen gehen an diesem Mittwochmorgen ein und aus.
Selbst im Jahr 2024 scheint das Konzept Lehrstellenbörse also nicht nur zu funktionieren, sondern stetig weiter zu wachsen. Das Erfolgsrezept? Analog vor Ort sein. Der direkte, persönliche Kontakt wird von allen Seiten geschätzt. Gerade jene angehenden Lehrlinge, die mit einer schriftlichen Bewerbung Mühe haben, können beim Austausch in der Messehalle aufblühen. «Es hat sich gelohnt», sagt eine Jugendliche am Ausgang zu ihrer Begleitung. Ein bezeichnendes Fazit.
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