Ein Basler Kulturverlust
Während die Cinémathèque Suisse in Lausanne ihr 75. Jubiläum feiert, muss Basel gleichzeitig den Verlust des Filmarchivs bedauern: Vor 75 Jahren gab Basel seine Sammlung sang- und klanglos ab und verspielte damit seinen Ruf als Filmstadt.
Am 3. November feiert die Cinémathèque Suisse in Lausanne ihr 75-jähriges Jubiläum. Warum ist das auch ein Basler Thema? Diese nationale Institution hat ihren Ursprung 1943 in Basel. Es waren die im Basler Film-Club «Le Bon Film» organisierten Cinéasten, die ein Filmarchiv mit beinahe 400 Streifen aus aller Welt aufbauten und anderen schweizerischen Filmclubs zur Verfügung stellte. 1948 gingen Bestand und Funktion an den Ciné-Club Lausanne über. Was für Lausanne ein Gewinn war und ist, war und ist für Basel eine Verlustgeschichte.
Zwei Fragen interessieren aus Basler Sicht besonders: Warum überhaupt entwickelte sich hier seit 1943 diese Pionierinstitution? Und warum konnte sie nicht hier gehalten werden? Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, warum in Basel und andernorts in den 1920/30er-Jahren Filmclubs entstanden: Es ging darum, sich gemeinschaftlich mit diesem noch jungen Medium auseinanderzusetzen und mit anspruchsvoller Nachfrage das durchschnittlich tiefe Niveau der Filmproduktion anzuheben.
In Basel kam es 1931 unter Beteiligung der Studentenschaft zur Clubgründung. Geistiger Vater war der damals 35-jährige Georg Schmidt, der wenige Jahre später als Direktor des Kunstmuseums eine breit anerkannte Autorität wurde.
Filme wie Bücher
Warum Basel damals eine Pionierstadt der Cinéphilen war, erklärt sich aus dem einfachen Umstand, dass es hier ein paar Personen gab, die sich für den guten Film einsetzten. Eine führende Rolle spielte der Student Peter Bächlin, der 1938 als 21-jähriger Präsident von «Le Bon Film» wurde und 1945 eine viel beachtete Doktorarbeit mit dem Titel «Der Film als Ware» veröffentlichte.
Seit 1939 verfolgte die Gruppe Pläne zur Gründung eines schweizerischen Filmarchivs und suchte dazu die Unterstützung des Erziehungsdepartements. 1942 argumentierte sie, Filmkonservierung sei mindestens so wichtig wie die Sammlungen in Buchbibliotheken und Kunstmuseen. Dadurch würde «Anschauungsmaterial für spätere Generationen» erhalten bleiben.
Ein Finanzierungsmodell sah vor, dass der Filmclub gewisse Filme aus dem kommerziellen Angebot patroniere, also empfehle, und dafür von der Filmwirtschaft entschädigt werde. Die Kino- und Verleihverbände befürchteten in den privaten Clubs aber eher Konkurrent*innen als Verbündete und waren an einer Kooperation nicht interessiert. Das Projekt brauchte aber auch staatliche Unterstützung.
Kein Geld vom Bund
Das halbprivate-halbstaatliche Filmarchiv wurde anfänglich mit 5'000 Franken und 1947/48 sogar mit 10'000 Franken unterstützt. Angesichts der Defizite des kantonalen Haushalts erklärte die Regierung jedoch, keine weitere Unterstützung mehr zu geben, sofern diese Einrichtung von gesamtschweizerischer Bedeutung nicht auch von anderen Kantonen finanziell unterstützt würde. Und der Bund? Er erklärte, kein Geld dafür zu haben.
In Zürich blickte man anerkennend auf die Basler Initiative. Es hatte wegen fehlender Unterstützung das Schweizerische Theatermuseum an Bern verloren und lobte Basel dafür, dass es sich im Filmbereich für das «wertvolle Sammlungsmaterial» einsetzte. (NZZ vom 7. Okt. 1943)
Unvorhergesehene Kosten für die aufwendige Lagerung der brandgefährdeten Filme belasteten das Pionierunternehmen. Ferner musste mit zusätzlichen Kosten gerechnet werden, weil Filmkopien nach mehrfacher Projektion neu überspielt werden mussten. Im Laufe des Jahres 1948 zeigte sich immer deutlicher, dass in Basel das Filmarchiv nicht weiterbetrieben werden kann. Die Stadt Lausanne zeigte sich interessiert, hier wirkte die in der französischen Schweiz ohnehin grössere Wertschätzung für den Film.
Im Oktober 1948 wurden Verhandlungen aufgenommen, im April 1949 die Übernahmevereinbarung unterzeichnet, im Mai 1949 kam es zum offiziellen Übergabeakt und das Archivmaterial wurde mit zwei Lastwagen an den Genfersee verfrachtet: 814 Filme auf 1148 35mm-Rollen, 1'300 Standfotos, 308 Bücher und zahlreiche Broschüren, 169 Schachteln mit Zeitschriften, 55 Schachteln mit Zeitungsausschnitten.
Die Geschichte von «Le Bon Film» wird im Buch «Aus Enthusiasmus fürs Kino! 90 Jahre le Bon Film» (Hrsg. Thomas Schärer im Basler Schwabe Verlag 2022) auf vielseitige Weise dargestellt. In einem ersten Teil des Buches vom Zürcher Filmhistoriker Thomas Schärer geschrieben, steht die Geschichte von «Le Bon Film im Zentrum», ergänzt durch zahlreiche Interviews mit aktiven Mitgliedern. In fünf kürzeren Beiträge beleuchten Thomas Tode, Dominique Rudin, Pamela Jahn, Brigitte Häring und Roman Scheiber besonders wichtige Aspekte aus der Geschichte des «Bon Film».
Nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse war das ein stiller Abgang. In den folgenden Tagen fand sich in der Basler Presse kein Kommentar, schon gar nicht ein Aufschrei über den Verlust. Wochen später kam es immerhin zu einer Äusserung in den «Basler Nachrichten»: Sie sprach von einem «sang- und klanglosen Aufgeben» des Archivs, von einem «betrüblichen» Verlust, der auf lange Sicht in der «Filmstadt Basel» (!) eine fühlbare Lücke hinterlassen werde. Basel habe durch den Wegzug einen Teil seiner Bedeutung als Schwerpunkt im schweizerischen Filmwesen eingebüsst. (kr., 27. Juni 1949) Das Bedauern darüber dürfte in der Kulturstadt am Rheinknie erst mit zunehmender Distanz zum eigentlichen Vorgang vermehrt empfunden worden sein und in diesem November, wenn in Lausanne das 75-jährige Jubiläum gefeiert wird, für einen Moment wieder aufkommen.
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