Ein überraschender Gewinner der Strompreis-Explosion
Wer sind die Über-Gewinner der hohen Strompreise, die gerade von sich Reden machen? De facto ist das noch gar nicht klar. Aber einen ersten Fall gibt‘s: Der Kanton Baselland profitiert neu in Millionenhöhe vom Stromverkauf des Kraftwerks Augst.
Es ist eine Geschichte, die für die Wasserkraftszene einzigartig ist. Die Kraftwerk Augst AG (KWA) mutierte von der Konkursmasse zur Cashcow.
Was ist passiert?
Wir sind in den 80er-Jahren. Die Situation sieht düster aus. Es gibt viel zu viele Kraftwerke, die zu viel Strom erzeugen und der Stromverbrauch sinkt. 1988 «erben» das Baselbiet und der Kanton Aargau das Kraftwerk Augst, das am Rhein bei Augst und dem deutschen Wyhlen in doppelter Ausführung errichtet wurde. Eingetreten war der sogenannte «Heimfall» des Schweizer Teils.
Das geht so: Als Eigentümer der Gewässer treten die Kantone das Nutzungsrecht gegen Entschädigung an eine*n Nutzer*in ab, oft die eigenen Elektrizitätswerke. Die Details werden in der sogenannten Wasserrechtskonzession geregelt. Sie läuft über 80 Jahre und zum Abschluss «verheimfallen» die Kraftwerksanlagen wieder an die Eigentümer*innen, was z.B. derzeit im Wallis und Graubünden ein Thema ist. Dazu muss man wissen, dass Wasserkraft relativ teuer –, und oft nur das «goldene Ende» der Konzession wirklich «golden» ist.
«Wir hatten das Problem, dass wir den Baselbieter Teil des Kraftwerks und erneuerbare Energie für uns behalten wollten, und zwar so, dass alle auf ihre Kosten kommen», erinnert sich alt Regierungsrat Eduard Belser (SP) am Telefon gegenüber Bajour. Belser, 80, amtierte von 1987 bis 1994 als Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektor (BUD) und prägte wie kein Zweiter die Energie- und Umweltpolitik. «Es ging darum, die Kraftwerke Augst und Dornachbrugg für den Kanton zu retten», sagt er.
Klar war auch, dass die beiden Stromversorger Primeo, damals Elektra Birseck Münchenstein (EBM), und Elektra Baselland (EBL) berücksichtigt werden sollten. Zuvor hatten diese alles daran gesetzt, die Anteile möglichst für sich selbst günstig einzukaufen – was für Liestal ausser Frage stand. «Langfristig wollten wir diese erneuerbare Energie haben», so Belser.
«Mit dem damaligen Chef der Elektra Birseck (heute Primeo), Marc Boss, haben wir eine vernünftige Lösung ausgearbeitet, die beiden Seiten zugutekommen sollte», erklärt er.
Eduard Belser (80), amtierte von 1987 bis 1994 als Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektor (BUD) und prägte wie kein Zweiter die Energie- und Umweltpolitik.
Foto aus dem Jahr 1987: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich)
Die Existenz dieses ominösen Nutzungsvertrags wurde erst 1999 bekannt gegeben, wieso, ist bis heute unklar. Im März 2000 erklärte Regierungsrätin Elsbeth Schneider, die 1994 Belser in der BUD abgelöst hatte, erstmals das Übereinkommen. Nicht, ohne mehrfach zu betonen, wie «komplex die Situation ist und nicht einfach zu erklären».
Der Vertrag – die «vernünftige Lösung» – sah demnach so aus: Der Stromverkauf des Kraftwerks über 80 Jahre würde in drei Phasen bzw. Etappen gestaffelt werden. In der ersten und zweiten Phase würde es vor allem darum gehen, dass er zu den Gestehungskosten verkauft und gleichzeitig die Kraftwerksschulden abgebaut würden. Der springende Punkt, oder das Herzstück der «Lösung»: die Führung einer Schattenrechnung durch den Kanton.
Diese Schattenrechnung berücksichtigte zum normalen Verkauf zusätzlich, ob die Elektras den Strom mit Verlust oder Gewinn absetzen. Verluste konnten gegen Gewinne ausgeglichen werden, bis die Kraftanlagen per saldo gewinnbringend operieren würden, der Phase 3.
In diesem 3. Abschnitt müssen die Elektras nun den Gewinn mit dem Kanton nach einem vordefinierten Schlüssel teilen. Auf eine Interpellation des damaligen SP-Landrats Eric Nussbaumer wurde über die Legalität der Schattenrechnung in Fachkreisen intensiv debattiert, und sie ist bis heute umstritten.
Egal ob legal oder nicht, fürs Baselbiet hat es sich ausgezahlt. Dank explodierender Strompreise wurde 2020 die Phase 3 des Vertrags eingeläutet. Yves Zimmermann, Leiter des Baselbieter Amtes für Energie und Umwelt (AUE) bestätigt per E-Mail: «Die Ausgleichsrechnung wurde per 31.12.2020 aufgelöst.»
2021 nahm der Staat zum ersten Mal seit dem Heimfall seines Kraftwerks rund 1,8 Millionen Franken ein. Im laufenden und im übernächsten Jahr dürften es nochmals deutlich mehr werden. Es könnte sich sogar die Frage stellen, ob der Kanton von der Abführung eines sogenannten Übergewinnes, wie es in der politischen Arena derzeit angesichts explodierender Stromkosten debattiert wird, betroffen sein wird.
Abgesehen von einer energiepolitischen Bewertung, was heisst das alles in Zahlen?
Schauen wir in den Geschäftsberichten der Kraftwerk Augst AG: Von 1988 bis 1992 wurde das 1912 von Basel-Stadt errichtete Kraftwerk Augst für 230 Millionen Franken von den Eigentümer-Kantonen saniert – zu 20 Prozent von Baselland, zu 80 Prozent vom Kanton Aargau. Der Aargau trat dann aber seinen Anteil rasch an «seine» Energieversorgerin, das Aargauische Elektrizitätswerk (AEW), ab. Eine Lösung, die der Baselbieter Eduard Belser ablehnte.
1995, zum Zeitpunkt, an dem die KWA am meisten Schulden angehäuft hatte, kostete die Kilowattstunde 13 Rappen – ein gutes Drittel über den Marktkosten. Deshalb wurde zusätzlich auf die Dividende verzichtet, damit wollten die Eigentümer und die Energieversorger möglichst schnell in die Gewinnzone kommen.
Der Brachialkurs zahlte sich aus: Im vergangenen Jahr beliefen sich die ausstehenden Darlehen auf lediglich 10 Millionen Franken und der Strom wurde dreieinhalbmal günstiger als 1995 erzeugt zu 3,78 Rappen. Insgesamt produziert Augst heute plus minus 250 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, EBL und Primeo ziehen davon je 25 Millionen kWh pro Jahr. Mal abgesehen von den vielen Zahlen: Das Werk zählt damit zu den wichtigen Laufwasserkraftwerken im Land.
Nimmt man die Preise der Strombörse, ist eine Kilowattstunde derzeit 50 bis 80 Rappen wert – was bekanntlich die Strompreise in der Schweiz explodieren lässt. Für seine Betriebe, Büros, Werkstätten, Strassenbeleuchtungen kauft der Kanton selbst jedes Jahr für 5 bis 6 Millionen Franken ein. Die Mehrkosten werden ihren deutlichen Abdruck in der Staatsrechnung finden. Seitens der Baudirektion heisst es per E-Mail dazu: «Die absehbaren Erträge in den kommenden Jahren dürften die vorerst höheren Kosten für den Strombezug zumindest teilweise kompensieren.» Für den heutigen SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, der die Debatte 1999 angestossen hatte, «stimmt die Lösung», schreibt er per Mail.
Neben Augst gehören dem Kanton Baselland übrigens auch 25 Prozent am Kraftwerk Birsfelden, zusammen mit den Industriellen Werken Basel (IWB), Primeo und EBL. Auch hier strebe man nach einer besseren Gewinnbeteiligung, heisst es aus Liestal. Wenig auf die Äste hinaus lassen will sich der Grünen Politiker und Vorsteher der Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion Isaac Reber gegenüber Bajour: «Wir wollen für den Kanton möglichst eine gute Lösung», lautet seine diplomatische Antwort.
Birsfelden ist mit knapp drei Rappen Produktionskosten eines der günstigen Grosskraftwerke in der Schweiz und Primeo, Elektra Baselland und IWB profitieren massiv. Aber in diesem Fall muss Baselland den Strom von «seinem» Werk zu Marktpreisen zurückkaufen; der Baselbieter Regierungsrat war in den 90er-Jahren schlicht vor der Stromwirtschaft eingeknickt.
2033 läuft die Birsfelder Konzession vertraglich aus. Was kommt dann? Die Baudirektion schreibt: «(Wir) verfolgen die Absicht, in den Verhandlungen über eine Konzessionserneuerung seine (die Baselbieter) Position zu verbessern» – vielleicht entflammen dann die Positionslichter in der Baselbieter Energiedebatte wieder etwas heller – vielleicht noch heller, wenn die Debatten vorher und nicht nachher geführt würde.
Dank deiner Unterstützung 🤍 Jetzt Member werden.