«Einen völlig gewaltfreien Fussball wird es nie geben»
Die Basler Sicherheitsdirektorin Eymann will das Hooligan-Konkordat wieder auf den Tisch bringen. Keine gute Idee, findet Thomas Gander, jahrelanger Fanarbeiter und abtretender SP-Grossrat.
Thomas Gander, die Fussball-Fanszene der Schweiz hat jüngst den Berner Sicherheitsapparat mit der Ankündigung einer Demonstration gegen Kollektivstrafen aufgeschreckt. Die Basler Muttenzerkurve veröffentlichte dann ein Statement: Niemand reist nach Bern, alles nur Show. War das eine Machtdemonstration: Schaut mal, was wir in Bewegung setzen können?
Ich denke schon auch. Das haben Subkulturen an sich, ihre Geschlossenheit so an den Tag legen zu wollen. Wenn das mit kreativen Mitteln geschieht, um die Absurdität der Repression aufzuzeigen, ist das auch legitim.
Die Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann hat im Interview mit der NZZ angekündigt, das erweiterte Hooligan-Konkordat in Basel nochmal auf den Tisch zu bringen. Das Konkordat regelt Massnahmen zur Verhinderung von Gewalt bei Sportanlässen, beide Basel haben den Beitritt vor elf Jahren abgelehnt. Sieht das bei einer neuen Debatte gleich aus?
Damit das Konkordat nochmal vom Parlament behandelt wird, müsste zunächst eine Mehrheit des Regierungsrats zustimmen. Ich hoffe sehr, dass das Vorhaben von Frau Eymann schon dort gestoppt wird. Das Parlament hat vor elf Jahren begründeterweise Nein gesagt. Die Begründungen müssen nicht revidiert werden, da sich die Situation nicht geändert hat.
«In der Restschweiz zeigt sich, dass auch das erweiterte Hooligan-Konkordat nicht verhindern konnte, dass es weiterhin Fangewalt gibt.»Thomas Gander
Die Bilanz zum Basler Fussballjahr der Kantonspolizei zeigt durchaus Änderungen: Weniger Strafverfahren, weniger Rayonverbote, aber auch höhere Sicherheitskosten. Was sagen uns diese Zahlen?
Ich bin immer vorsichtig, solche Zahlen zu interpretieren, denn es ist ja keine Delikt-, sondern eine Art Anzeigenstatistik. Strafverfahren und Rayonverbote, also Wegweisungen vom Stadionbereich, gibt es nur, wenn man bei einer Gewalttat erwischt wurde. Um über die Situation zu diskutieren, muss man sich die Lage differenzierter anschauen. Das Gleiche gilt für die Sicherheitskosten, wo die europäischen Spiele des FC Basels Ausreisser sind, reguläre Ligaspiele aber mittlerweile weniger Sicherheitskosten verursachen.
Also bringen uns die Zahlen nicht viel, um Eymanns Sicherheitsstrategie zu bewerten?
Interessant wird es, wenn man sich die langfristige Perspektive anschaut. Der Fussball erlebt immer Wellenbewegungen, das Gewaltgeschehen entwickelt sich nicht linear. Immer, wenn es eine Welle gibt, geht das «Rösslispiel» los und alle Akteure setzen sich gegenseitig unter Druck. Aber: Es gibt keine Belege, dass wir eine neue Dimension der Gewalt erleben, die ein stärkeres behördliches Eingreifen erfordert.
Aber substanziell besser wurde es auch nicht. Noch immer erleben wir Fangewalt.
Aus einer Langzeitperspektive haben wir in Basel eine recht entspannte Situation, was die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fangruppen inner- und ausserhalb des Stadions anbelangt. Die Polizei konnte ihre Präsenz bei Spielen in den letzten Jahren reduzieren, so viel ich weiss. Und in der Restschweiz zeigt sich, dass auch das erweiterte Hooligan-Konkordat nicht verhindern konnte, dass es weiterhin Fangewalt gibt, wie eine Evaluation der Uni Bern belegt.
Die Fangruppierungen finden, die Behörden sollten lieber auf Dialog statt auf Repression setzen. Als Vorbild wird der unter dem damaligen FCB-Präsidenten Bernhard Heusler beschrittene «Basler Weg» gesehen, der auf Selbstregulierung und eben diesen Dialog setzt. Was denkst du?
Genau deswegen wird ja über neue Ansätze geredet, wie die Polizeidirektor*innen reagieren können, wenn Fangewalt auftritt. Deshalb gibt es die Diskussion über das Kaskadenmodell mit Kollektivstrafen bis hin zum Spielverbot.
Einseitige Verschärfungen von den Behörden wirken eher eskalativ. Das zeigt die Vergangenheit. Dass das Kaskadenmodell als Präventionsmittel verkauft wird, ist absurd. Es wurde erst kürzlich in Zürich als Sanktion angewendet.
Wie könnten wir dann bessere Prävention leisten?
Lange gab es den Konsens: Gewaltereignisse im Fussball sollen minimiert, Unbeteiligte wie andere Fans geschützt und schwerwiegende Straftaten rund um Spiele verhindert werden, indem zusammengearbeitet und nicht einseitig Massnahmen ergriffen werden. Und zu dieser Zielsetzung gehört eine unbequeme Erkenntnis: Einen völlig gewaltfreien Fussball hat es nie gegeben und wird es wahrscheinlich auch nie geben. Das ist schade und bedenklich, vielleicht aber auch einfach ein Abbild unserer Gesellschaft.
Sie sagen, wir müssen die Gewalt dulden?
Dulden darf man Gewalt nie. Aber bei der Konstellation von tausenden jungen Menschen und einer bewusst – auch von aussen – geschürten Rivalität kann es zu Gewalt kommen.
Eymann spricht von Gewalt als roter Linie.
Es ist immer einfacher zu sagen: Es darf keine Gewalt geben. Denn wer befürwortet schon Gewalt. Aber wir müssen damit umgehen können, dass sie vorkommt. Und dazu muss die Diskussion auf einer realistischen Ebene stattfinden: Was erträgt die Gesellschaft und was nicht?
«Es wäre ein grosser Trugschluss, zu glauben, dass die Selbstregulierung nicht funktioniert.»Thomas Gander
Ist es tragbar, dass Sicherheitskräfte im Krankenhaus landen?
Das ist ein schwerwiegendes Gewaltdelikt und muss geahndet werden. Dafür gibt es geltende Gesetze, die Täter zur Rechenschaft ziehen.
Stephanie Eymann sagt, dass es schwierig ist, die Strafverfolgung bei Gruppen wie der Fanszene aufrecht zu erhalten: Nach aussen gilt Anonymität, innen herrscht starke Solidarität.
Meine Erkenntnis ist, dass solche negativen Soldiaritätsmechanismen stärker greifen, wenn es mehr Repression gibt.
Wie sollen die Behörden dann auf die selbstregulatorischen Mechanismen der Fanszene vertrauen können?
Es wäre ein grosser Trugschluss, zu glauben, dass die Selbstregulierung nicht funktioniert. Wir müssen anerkennen, was in so einer Gruppe von tausenden jungen Leuten mit den bekannten Herausforderungen von Jugend- und Subkulturen – wie Alkohol, Drogen, Testosteron – schon alles von den jungen Menschen selbst reguliert wird. Davon liest und hört man nichts.
«Wenn Massnahmen ergriffen werden, sollen sie auf die delinquenten Leute abzielen und nicht die Fussballfans kollektiv bestrafen.»Thomas Gander
Aber reicht diese Selbstregulation, um bei Dynamiken von Fangewalt zu reagieren?
Bestenfalls fängt schon Stunden nach einem Vorfall die Aufarbeitung an. Daraus können Erkenntnisse gezogen werden, damit es zukünftig nicht mehr dazu kommt. Dank dieser Erkenntnisse konnte bei hochexplosiven Spielen präventiv und deeskalierend gehandelt werden. Selbstverständlich braucht es dazu aber auch die Polizei und die Sicherheitskräfte. Aber diese Zusammenarbeit muss funktionieren – sonst wird keine Wirkung erzielt.
Aber müsste nicht auch mehr Kompromissbereitschaft aus der Fanszene kommen, zum Beispiel beim Thema personalisierte Tickets?
Das ist der grösste Humbug, den man je entwickelt hat. Das Beispiel zeigt auf, was für absurde Vorschläge entstehen, wenn die Fussballgewaltthematik zum Spielfeld der Politik wird. Tausende Fans müssten sich registrieren, obwohl es kaum Gewaltvorfälle in den Stadien gibt – das macht doch kein Mensch mit. Wenn es zu Gewalt kommt, dann eher an neuralgischen Punkten wie Bahnhöfen.
Was bräuchte es dann im Diskurs, damit wir auf einen grünen Zweig kommen?
Ein bisschen mehr Besonnenheit, fachliches Know-how und den realistischen Blick auf das Fussballgeschehen. Und wenn Massnahmen ergriffen werden, sollen sie auf die delinquenten Leute abzielen und nicht die Fussballfans kollektiv bestrafen.
Unser FCB-Briefing liefert dir Fakten, Gerüchte und Emotionen immer am Matchtag in dein Postfach.