Mieter*innen von Gammelhäusern kriegen Geld zurück
Weil er seine Mieter*innen abzockte, muss ein Vermieter Geld zurückzahlen. Das Urteil der Mietschlichtstelle könnte wegweisend sein.
Es war nicht leicht, diesen Fall überhaupt vor ein Schiedsgericht zu bringen. Gründe dafür sind die Macht der Vermieter*innen sogenannter Gammelhäuser auf der einen, die Angst der Mieter*innen auf der anderen Seite. Wer sich wehrt, kann auf der Strasse landen.
Viele Mieter*innen hielten sich darum im Streit mit den Hausbesitzer*innen bislang bedeckt: Nur nicht aufmucken. Den Mund halten. Die Rechnungen bezahlen. Auch wenn nicht klar ist, wofür eigentlich.
Zwei Mieter*innen wagten dennoch den Gang vor die Staatliche Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten. Dank ihnen könnte es mit der undurchsichtigen Praxis vorbei sein.
Die Mietschlichtstelle Basel-Stadt entschied Ende Februar, dass ein Vermieter zu Unrecht Geld von zwei Mieter*innen verlangt hatte. Konkret geht es um Pauschalbeträgte zwischen 250 und 300 Franken pro Monat, die ohne konkrete Gegenleistung oder Aufschlüsselung in der Abrechnung auf den Mietzins aufgeschlagen wurden. Es gab keine Quittungen, keine sichtbaren Arbeiten oder Reparaturen. Es war nicht nachvollziehbar, zu welchem Zweck die Nebenkosten erhoben wurden.
Über 10’000 Franken Rückzahlung
Das sei mit dem Mietrecht nicht zu vereinbaren, entschied die Schlichtstelle. Der Vermieter muss nun in zwei Fällen insgesamt über 10’000 Franken zurückbezahlen. Die Zahlungen wurden auf die letzten fünf Jahre zurückgerechnet.
Für die beiden Mieter*innen ist das ein Erfolg. Sie haben den Mut gefasst, rechtlich gegen ihren Vermieter vorzugehen und Recht erhalten. Eine der beiden Mieter*innen ist IV-Bezügerin und bezahlte die Pauschale aus dem eigenen Sack, deshalb darf sie das zurückerstattete Geld behalten. Bei der anderen Person handelt es sich um einen Sozialhilfebezüger, für den die Sozialhilfe für die Pauschale aufkam. Dieses Geld fliesst wieder an die Sozialhilfe zurück.
Beide Mieter*innen profitieren ausserdem von einer leichten Mietzinsreduktion. Neu bezahlen sie 760 statt 800 Franken für ihr Zimmer. Begründung: der Referenzzinssatz, den der Vermieter nicht an die Mieter*innen weitergegeben hatte.
Das Urteil der Mietschlichtstelle hat Signalcharakter, weil es den Druck auf die Vermieter*innen von Gammelhäusern weiter erhöht. Seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen Mieter*innen und der Sozialhilfe auf der einen Seite – und Vermieter*innen von Problemliegenschaften, in denen Zimmer in schlechtem Zustand zu hohen Preisen vermietet werden, auf der anderen. Die Vermieter schröpfen die Sozialhilfe auf Kosten von vulnerablen Personen, lautete die Kritik, die in den Medien durch Gassenarbeiter*innen wie dem Verein Schwarzer Peter, der Initiative «Recht auf Wohnen», aber auch von der Sozialhilfe mehrfach vorgebracht wurde.
Die Vermieter*innen machten ihrerseits geltend, durch die Vermietung von Wohnraum an teilweise suchtbetroffene Mieterschaft ein erhöhtes Risiko einzugehen. Ihr Klientel habe eine «geringe Wohnkompetenz», die Vermietung sei mit erheblichem Aufwand verbunden. Die Mietpreise seien darum gerechtfertigt, sagte zum Beispiel der Vermieter S. gegenüber Bajour. Für ein Zimmer ohne eigene Küche oder Bad werden in den Häusern Mietzinsen zwischen 800 und 1050 Franken verlangt.
«Wir hoffen auf eine Signalwirkung, dass es sich lohnt, sein Mietrecht geltend zu machen.»Ruedi Illes, Leiter Sozialhilfe BS
Versuche, den Streit juristisch zu klären, zeigten sich bisher ergebnislos. Ein Anklage der Staatsanwaltschaft wegen gewerbsmässigem Wucher scheiterte vergangenen November am Strafgericht, die Vermieterin einer Liegenschaft an der Gasstrasse wurde freigesprochen. Kommenden Mittwoch, den 27. April, kommt es zu einem weiteren Prozess am Strafgericht. Wieder lautet die Anklage auf gewerbsmässiger Wucher.
Ruedi Illes, Leiter der Sozialhilfe Basel-Stadt taxiert das Urteil der Mietschlichtstelle als Erfolg: «Wir hoffen auf eine Signalwirkung an die Mieterinnen und Mieter solcher Häuser, dass es sich lohnt, ihre Rechte geltend zu machen.» Ob sich diese Wirkung bereits einstellte, ist unklar. Bislang haben sich keine weiteren Mieter*innen bereit erklärt, mit Rückendeckung der Sozialhilfe gegen ihre Vermieter vorzugehen.
Mietzinsen bleiben umstritten
Die Sozialhilfe richtete bereits 2019 eine Anlaufstelle prekäres Wohnen ein. Deren Leiterin, Amina Trevisan, versucht seither, in den betroffenen 14 Liegenschaften, grundsätzliche Sicherheitsstandards durchzusetzen. Sie pflege einen engen Austausch mit den Vermieter*innen, erzählt sie im Interview mit Bajour, und konnte in der die Hälfte der Liegenschaften Verbesserungen erzielen. Die andere Hälfte der Vermieter*innen lehnt ab, die Zimmer zu den neuen Konditionen zu vermieten.
Ein grosser Streitpunkt ist eine Änderung der Unterstützungsrichtlinien durch die Sozialhilfe. Die fällte 2019 den Entscheid, nur noch einen Mietbeitrag von 535 Franken plus Nebenkosten für ein Zimmer ohne Küche und Bad zu geben, anstatt wie früher bis zu 770 Franken. Manche Vermieter*innen akzeptierten den neuen Mietbeitrag der Sozialhilfe und senkten die Mieten. Andere nicht. Bei den Sozialhilfeempfänger*innen führte diese Änderung teilweise zu erheblichem Stress und Existenzängsten, wie Bajour berichtete.
Die Frage, wieviel Miete für ein Zimmer in einem sogenannten Gammelhaus gerechtfertigt ist, bleibt weiterhin umstritten. Der Entscheid der Mietschlichtstelle hat damit nichts zu tun, sondern betrifft nur die Nebenkosten, die monatlich auf die Miete draufgeschlagen wurden. Das Ende dieser willkürlichen Praxis wertet die Sozialhilfe als Schuss vor den Bug der Vermieter*innen. Ein Zeichen, sich gegenüber ihrer Mieterschaft nicht alles erlauben zu können.
Ob das nun weitere Mieter*innen ermutigt, gegen ihre Vermieter*innen vorgehen, muss sich zeigen.