Sozialhilfebezieher*innen stehen auf der Strasse
Die Sozialhilfe will mit verlotterten Einzimmerwohnungen aufräumen, die zu überrissenen Preisen an Menschen am Rand der Gesellschaft vermietet werden. Doch der Schuss könnte nach hinten los gehen.
Eigentlich fehlen Patrick* die Ressourcen für sozialpolitische Kämpfe. Aber weil er nun leider einmal seit Jahren in einem kalten Zimmer lebt, in dem manchmal der Strom ausfällt und weil das stattliche 800 Franken Miete plus 150 Franken Nebenkosten kostet – deswegen kennt sich Patrick besser mit dem Thema prekäres Wohnen und den Bedingungen der Sozialhilfe aus, als ihm lieb ist. Er will sich wehren.
«Mein Vermieter melkt den Sozialstaat seit Jahren und steckt sich die Miete unsere Sozialhilfe in sein Kässeli. Wir aber leben hier in ‹Apartments› mit dem Ambiente schmutziger Rattenlöcher. Nichts funktioniert, dafür schimmelt es überall, wir haben nicht einmal eigene Briefkästen. Jetzt will er uns einfach rausschmeissen. Es ist eine Schande.»
Patrick wohnt in einem sogenannten «Gammelhaus». Dort leben Menschen, die von der Sozialhilfe abhängig sind. Manche von ihnen haben psychische Probleme, andere Suchtprobleme oder Einträge im Betreibungsregister. Auf dem freien Markt finden sie in der Regel keine Wohnung. Manche Hausbesitzer*innen schlagen aus der Not Profit.
Sie vermieten einzelne Zimmer zu just den Preisen, die von der Unterstützungsleistung der Sozialhilfe gedeckt werden. Von Gammeläusern ist die Rede, wenn die Liegenschaften in einem verwahrlosten Zustand sind. Das Problem ist in Basel schon länger bekannt.
Patrick ist nicht der einzige, der sich Sorgen um die Zukunft macht. Ein langjähriger Mieter desselben Hauses sei vor Kurzem ausgezogen. Die anderen unterhalten sich im Gang und schicken sich Wohnungs-Inserate hin und her. «Es ist gerade sehr viel Aufregung im Haus», sagt Patrick. Eine andere Bewohnerin des Hauses bestätigt das. Auch beim Schwarzen Peter, dem Verein für Gassenarbeit, hat man den Stress registriert.
Neue Kostenregelung soll Missbrauch stoppen
Der Grund: Die Behörden wollen Schluss machen mit dem Businessmodell Gammelhaus. Das Amt für Wirtschaft und Umwelt (WSU) hat die Wohnkostengrenze für Sozialhilfeempfänger*innen angepasst, um betroffenen Vermieter*innen einen Riegel vorzuschieben. Das heisst: Es gibt weniger Geld für Einzelzimmer ohne Bad und oder Küche. Solche Zimmer sind in den sogenannten «Gammelhäusern» die Regel.
Im Gegenzug stellt die Sozialhilfe den Vermieter*innen einen «sozialen Hauswart» für eine «niederschwellige Wohnbegleitung» zur Verfügung. Der Hintergrund: Unterhalt und Pflege der Liegenschaften ist aufwändig, argumentieren Vermieter*innen von «Gammelzimmern». Manche ihrer Mieter*innen würden fahrlässig mit den Wohnungen umgehen, verteidigte kürzlich eine Vermieterin ihre Mietpreise in einem Verfahren vor dem Strafgericht, das sie auch gewann.
Eine grundlegende Änderung in den Unterstützungsrichtlinien betrifft die Miete von separat gemieteten Zimmer ausserhalb von Wohngemeinschaften mit zwangsweise geteilter Küche und oder Bad. Für solche Zimmer hatte die Sozialhilfe bis anhin inklusive Nebenkosten bis zu 1000 Franken bezahlt. Waren die Zimmer möbliert, kamen nochmal 20 Prozent obendrauf. Pro Zimmer.
Das hat sich geändert. Die Sozialhilfe reduzierte den Mietbeitrag für solche Zimmer ohne eigener Küche oder Bad und begrenzte ihn auf 535 Franken pro Monat plus Nebenkosten. Rudolf Illes, der Amtsleiter Sozialhilfe Basel-Stadt sagt gegenüber Bajour: «Die neue Regelung erschien uns sachgerecht. Wir finden es nicht gerechtfertigt, dass die Steuerzahlenden dieses Geschäftsmodell noch unterstützt.»
Auf der anderen Seite wurde die Mietzinsansätze der Sozialhilfe für Ein- und Zweipersonenhaushalte um 70 Franken auf 770 respektive 1'070 Franken angehoben. Damit sollen die Chancen von Sozialhilfeempfänger*innen auf dem Wohnungsmarkt verbessert werden. Die Änderungen der Wohnkostengrenze werden zeitlich in Absprache mit den Mieter*innen umgesetzt.
Die Sozialhilfe Basel-Stadt weiss von insgesamt zwölf Immobilien, in denen Einzelzimmer in prekären Wohnverhältnissen vermietet werden. Das Problem: Wie Bajour-Recherchen zeigen, haben die neuen, tieferen Miettarife aber nicht nur positive Auswirkungen. Im Gegenteil. Für Patrick und andere Bewohner*innen heisst es nun: Entweder sie bezahlen die Differenz zur früheren Miete aus der eigenen Tasche. Oder sie müssen ausziehen. Der Grund: Nicht alle Vermieter*innen machen mit.
Rudolf Illes, Leiter der Sozialhilfe Basel-Stadt, bestätigt auf Anfrage, dass nur die Hälfte der Vermieter*innen die Mietzinsen gemäss der neuen Richtlinien senken. Die übrigen weigern sich. Sie befürchten, dass die Sozialhilfe «zu viel Einblick» erhält, erklärt Illes. Einige Vermieter*inne verkaufen ihre Liegenschaften, wobei die neuen Eigentümer*innen das «Geschäftsmodell» bisher weiterführen. Die Koordinationsstelle prekäre Wohnverhältnisse gehe hier mietrechtlich vor – «sofern Mieter*innen dies wünschen», sagt Illes.
Das passiert demnächst. In mindestens zwei Verfahren treffen sich im Februar Vermieter*innen sogenannter «Gammelhäuser» und ihre Mieter*innen mit Unterstützung der Anlaufstelle für prekäres Wohnen vor der Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten. Einerseits wird dort überprüft, ob der Mietzins korrekt ist. Und ob die Nebenkosten richtig abgerechnet werden. Die Sozialhilfe erhofft sich wegweisende Urteile von der Mietschlichtstelle.
Auf die Frage, ob die Sozialhilfe in Kenntnis davon sei, dass Mieter*innen einschlägiger Wohnungen mit einer Kündigung ihrer Mietverträge rechnen, schreibt Rudolf Illes: «Wir haben keine Kenntnisse davon, dass KlientInnen der Sozialhilfe wegen den tieferen Ansätzen gekündigt wurde.»
Das sagt ein Vermieter
Wir haben den Besitzer von zwei Liegenschaften, die nach diesem Prinzip funktionieren, konfrontiert. Der Mann vermietet insgesamt 50 Zimmer, allesamt mit geteiltem Bad und Küche. Wie Bajour von mehreren Bewohner*innen erfährt, hat sich am alten Mietzins in diesen Liegenschaften seit dem Inkrafttreten der neuen Regeln nichts geändert. Wer nicht zahlt, muss raus.
Der Vermieter S. (Name der Redaktion bekannt) zeigt sich verärgert über die angepassten Mietengelder der Sozialhilfe. Er sagt: «Aus meiner Sicht sind diese Ansätze nicht marktkonform in einem Mietersegment, welches hohe Kosten verursacht und wo der Vermieter höhere Risiken eingeht als bei einer Vermietung an Studenten oder Arbeiter.» Er sei nicht bereit, die Zimmer zu den neuen Konditionen zu vermieten, sagt er. Auf die Frage, was er stattdessen tun wolle, ob er die Häuser nun leerkünde oder saniere, gibt er keine Auskunft.
«Wenn der Kanton ernsthaft Liegenschaften kaufen möchte, dann müsste er das höchste Angebot machen.»Vermieter S.
Wir fragen den Besitzer des Hauses, wie er sich als Vermieter beschreiben würde. Er sagt: «Ich möchte Teil der Lösung sein bei den sozialen Problemen in Basel. Wir bieten niederschwellig möblierte Zimmer an zu einem wesentlich günstigeren Preis als institutionalisierte betreute Wohnangebote.»
Ob er denn jemals ein Kaufangebot des Kantons für seine Liegenschaften erhalten habe, wollen wir noch wissen. Diese Forderung hat das Komitee der Initiative «Recht auf Wohnen» wiederholt in den Raum gestellt.
Vermieter S. sagt, er habe selbst kein Angebot vom Kanton erhalten. Aber eine Kollegin von ihm. «Das Angebot war völlig unter dem Marktpreis. Kein Wunder findet die öffentliche Hand keine Liegenschaften. Wenn der Kanton ernsthaft Liegenschaften kaufen möchte, dann müsste er das höchste Angebot machen. Der Verkäufer verkauft an den höchsten Bieter – ist doch einfach, oder?»
Das Dilemma
Die Mehrheit der Stimmbevölkerung hat in mehreren Wohnschutz-Abstimmungen zum Ausdruck gebracht, dass es sich mehr Regulierung wünscht. In der Politik ist allerdings umstritten, wie sehr der Kanton in den überhitzten Immobilienmarkt eingreifen soll. Das zeigt der kürzlich kommunizierte Kauf des Clara-Areals von Mitte Januar. Über den Kaufpreis schweigt sich die Regierung aus. Die Linke sähe gern mehr staatliche Käufe, Bürgerliche warnen davor.
Sozialvorsteher Illes sagt, das Bauen oder Mieten von ganzen Liegenschaften für Mieter*innen in prekären Wohnverhältnissen sei selbstverständlich eine Option. «Bis heute ist aber das Problem, dass keine entsprechende Liegenschaft erworben werden konnte.» Ausserdem sei der Konflikt mit der teilweise eingeschränkten Wohnkompetenz der Mieter*innen nicht vom Tisch, nur weil der Kanton die Liegenschaften besitze.
In staatlichen Liegenschaften müssten «erhebliche Sicherheits- und Kontrollmassnahmen eingeführt werden, damit die Liegenschaft nicht auch zu einer ‹Grüselliegenschaft› verkommt und darin gedealt wird», sagt Illes. Ob die Menschen in so einer kontrollierten Umgebung wohnen wollen, sei nicht sicher.
Die Senkung der Mietzinsen habe Bewegung in die festgefahrene Sache rund um die Gammelhäuser gebracht, ist Illes überzeugt. Gerade die niederschwellige Wohnbegleitung dürfte in manchen Häusern zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen. Bewohner Patrick sieht das anders. Er fürchtet, auf der Strasse zu landen.
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* Der Name von Patrick ist in diesem Artikel geändert. Bajour hat mit mehreren Bewohner*innen der Liegenschaften gesprochen. Aus Angst vor möglichen Konsequenzen durch die Vermieter*innen wollte niemand mit Namen und Foto erscheinen.
Der Regierungsrat hat Mitte Januar bekannt gegeben, die beiden Pilotprojekte «Housing First» und «Koordinationsstelle für prekäre Wohnverhältnisse» um ein Jahr bis Ende 2023 zu verlängern.
Das Projekt «Housing First» wird von der Heilsarmee betreut und will die Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit durch das vermitteln von dauerhaften Mietverhältnissen vermindern.
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