Wo bleiben die fehlenden Liegenschaften?

Der Kanton bemüht sich, das Wohnen sozialer zu gestalten. Doch solange der Wohnraum insbesondere für vulnerable Personengruppen knapp ist, wird sich an der prekären Lage wenig ändern. Das ruft die Politik auf den Plan.

Gammelwohnung Symbolbild
In Basel wartet man ungeduldig auf das Wohnprojekt Housing First Plus, ein niederschwelliges Angebot für Personen ohne Wohnkompetenz, auch um solche Szenen wie hier im Bild künftig zu vermeiden. (Bild: Keystone-SDA)

«Steckt den Stutz ins Wohnsystem!», sagte Yann Camüs, Vertreter des Gassenprojekts Blaue Paula, am Drogenstammtisch von Bajour und dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel vergangenes Jahr laut und deutlich. Denn: Bezahlbarer Wohnraum – insbesondere für vulnerable Gruppen wie Suchterkrankte – ist mehr als knapp. Das bestätigte auch die Co-Leiter*in des Vereins für Gassenarbeit Schwarzer Peter, Manuela Jeker, im Sommergespräch mit Bajour: «Ein Dauerbrenner ist der fehlende günstige Wohnraum.»

Nun gibt es in diesem Bereich immerhin neue Hoffnung: Die Kompetenzstelle Soziales Wohnen (KSW), die Mitte Juni ihren Betrieb aufgenommen hat, soll Abhilfe schaffen. Angegliedert ist die KSW bei der Basler Sozialhilfe, deren stellvertretende Amtsleiterin Jacqueline Lätsch auf Anfrage sagt: «Es fehlte bis anhin eine Stelle, die alles kennt, die den Überblick hat.» Denn dieser gehe bei dem Dschungel von Angeboten, die es auf dem Basler Wohnungsmarkt sowohl staatlich als auch privat gebe, rasch verloren. Die neu geschaffene KSW soll also quasi eine Koordinationsstelle sein, die bereits vorhandenen Wohnraum sichern soll. Entstanden ist sie aus der Gesamtstrategie Soziales Wohnen, die im 2024 durch den Regierungsrat und den Grossen Rat beschlossen wurde. Integriert sind auch die Aufgaben der ehemaligen Koordinationsstelle für prekäre Wohnverhältnisse, welche sich vor allem um die Mietverhältnisse in den sogenannten Gammelhäusern gekümmert hatte.

Ausserdem soll eine neue Fachgruppe Wohnen aufgebaut werden, wie sie am eingangs erwähnten Drogenstammtisch gefordert wurde. Diese Fachgruppe soll Wohnen und Sucht zusammen denken. So laden die KSW, die Behindertenhilfe und die Abteilung Sucht Ende November gemeinsam zu einem Treffen. Auf der Gästeliste: Eine Auswahl von Fachpersonen, die in Basel direkt oder indirekt mit dem Thema Soziales Wohnen befasst sind – sei es in der Verwaltung, Organisationen, Projekten oder weiteren relevanten Bereichen.

Housing First Plus auf Eis

Doch so wertvoll diese Bemühungen auch sein mögen: Das Kernproblem des fehlenden Wohnraums wird dadurch kaum gelöst. Dafür braucht es, so simpel es klingen mag: neuen oder umnutzbaren Wohnraum.

So wartet auch das für die Gasse so vielversprechende Wohnprojekt Housing First Plus, ein niederschwelliges Angebot für Personen ohne Wohnkompetenz (im Vergleich zum Projekt Housing First, das sich an Menschen mit Wohnkompetenz richtet), bis heute auf eine geeignete Liegenschaft. Auf der Website des Kantons heisst es dazu: «Das Angebot ist noch nicht umgesetzt. Sobald eine geeignete Liegenschaft zur Verfügung steht, wird für den Betrieb von Housing First Plus ein erfahrener privater Anbieter beauftragt.» 

Amina Trevisan SP
«Vielleicht muss der Kanton einfach mehr Geld in die Hand nehmen.»
Amina Trevisan, SP-Grossrätin und Mitglied der Gesundheits- und Sozialkommission

Doch wie lange will (und kann) der Kanton noch zuwarten, bis ihm das richtige Angebot in den Schoss fällt? Das fragt sich auch SP-Grossrätin und Mitglied der Gesundheits- und Sozialkommission, Amina Trevisan, die selbst lange im Bereich soziales Wohnen tätig war. Sie baute die Koordinationsstelle für prekäre Wohnverhältnisse auf und leitete diese während fünf Jahren. Zu Bajour sagt sie: «Wir haben unverändert das Problem, dass wir zu wenig Wohnraum haben für höchstvulnerable Menschen.» Trevisan wertschätzt die Arbeit des Kantons, kritisiert aber gleichzeitig, er sei möglicherweise zu wählerisch, um eine passende Liegenschaft zu finden. Sie plant für nach der parlamentarischen Sommerpause eine schriftliche Anfrage an die Regierung, wie sie gegenüber Bajour bestätigt: «Vielleicht muss der Kanton einfach mehr Geld in die Hand nehmen», sagt sie. Am Drogenstammtisch rechtfertigte sich der zuständige Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt, SP-Regierungsrat Kaspar Sutter, bereits: «Der Kanton betreibt bereits eine aktive Bodenpolitik.»

Zürich macht es vor

So einfach scheint die Sache denn auch nicht zu sein. Die stellvertretende Sozialhilfeleiterin Lätsch erklärt, dass die für das Projekt Housing First Plus gesuchte Liegenschaft eine gewisse Grösse haben müsse; so brauche man mindestens 30 Studios (mit eigener Waschzelle), damit sich die Vor-Ort-Präsenz eines privaten Anbieters rund um die Uhr und mit einer Pforte rechnet. Und in Basel seien die sogenannten Gammelhäuser, deren Verkauf durch den Kanton immer mal wieder diskutiert wurde, zu klein (oder zu teuer). Auch Hotels würden für das Wohnprojekt in Betracht gezogen, sagt Lätsch, doch hätten diese oft zu viele Gemeinschaftsräume, die Menschen mit einer Suchtproblematik nicht benötigten. «Was sie brauchen, ist ein privater Rückzugsort», ist Lätsch überzeugt.

Basler Drogenstammtisch Vorlage-1
Drogenstammtisch am 23. September

In Basel bereiten sich Fachleute und Quartiere auf eine mögliche Ausbreitung von Fentanyl und anderer synthetischer Opioide vor; in dem vom Drogenproblem besonders betroffenen Kleinbasel ist man auf der Hut. Die neue Arbeitsgruppe «synthetische Opioide» betreibt im Kanton ein Drogen-Monitoring und befasst sich mit Behandlungsformen – auch, um den öffentlichen Raum im Falle einer Opioid-Krise zu entlasten. Denn: Zustände wie in den USA, wo Fentanyl-Tote in den Strassen liegen, will hier niemand. Wenn wir davon ausgehen, dass Wohnen zentral ist, um Stabilität zu erreichen, ist dies ein Faktor um eine offene Szene zu vermeiden. An unserem nächsten Drogenstammtisch, den Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel organisiert, fragen wir: Wie unterstützt das Gesundheitsdepartement die Institutionen im Wohnbereich bei Konflikten in der Nachbarschaft? Und: Ist das Gesundheitsdepartement für eine allfällige Opioid-Krise gewappnet?

Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht nötig.

Dienstag, 23.9.2025 19-20.30 Uhr Rheinfelderhof Hammerstrasse 61 4058 Basel

Die eigenen vier Wände, ein Dach über dem Kopf: Was am Rheinknie so schwerfällt, scheint man in der Limmatstadt für die sozial Schwächsten hinbekommen zu haben. Zürich bietet in den ehemaligen «Gammelhäusern» hinter der Langstrasse seit 2023 ein sogenanntes beaufsichtigtes Wohnen mit ein paar wenigen Grundregeln (genauso wie beim Housing First Plus) an – verboten sind Gewalt, Drogenhandel, Waffen und Prostitution. Drogenkonsum in den Zimmern ist erlaubt.

Selbst Lätsch schwärmt vom Züricher Wohnprojekt: «Dieses Angebot füllt die Lücke.» Und auch Adriana Ruzek, Gassenarbeiterin beim Schwarzen Peter, sagt: «Housing First Plus à la Zürich wäre eine riesige Entlastung.» So könnte ihre Klientel auch mal zur Ruhe kommen. Und fügt hinzu: «Wir warten alle darauf.»

Emissionen für die Nachbarschaft

Sollte eines Tages eine geeignete Liegenschaft für das Projekt Housing First Plus gefunden werden, wartet eine weitere Herausforderung auf den Kanton: die nachbarschaftliche Umgebung. Wie die durch soziale Wohneinrichtungen entstehenden Emissionen die Nachbarschaft umtreiben können, hat erst kürzlich wieder ein BaZ-Bericht über das Haus Elim am Claragraben gezeigt. Es war ein regelrechter Hilferuf der Anwohner*innen: «Das halten wir nicht mehr aus», lautete der Titel. Derzeit (und noch bis zum 24. August) patrouillieren wieder Security der Firma Pantex auf dem Matthäuskirchplatz, Mülheimerstrasse, Mörsbergerstrasse, Claragraben mehrmals pro Woche in den Abend- und Nachtstunden, um die Situation etwas zu beruhigen, wie Regine Steinauer von der Abteilung Sucht gegenüber Bajour bestätigte. 

Raoul I. Furlano, LDP
«Der Staat ist nicht zuständig für alle Liegenschaften im Kanton.»
Raoul Furlano, LDP-Grossrat und Mitglied der Gesundheits- und Sozialkommission

Die Herausforderung für die Umgebung ist mit ein Grund, wieso die Leiterin des Stadtteilsekretariats Kleinbasel, Theres Wernli, immer wieder fordert, dass Liegenschaften, die fürs soziale Wohnen genutzt werden, auf die ganze Stadt verteilt werden und sich eben nicht immer nur im Kleinbasel befinden sollten, wo deren Dichte heute schon am grössten ist. Lätsch von der Sozialhilfe sagt dazu, der Kanton versuche, eine Ballung zu verhindern. Doch: «Wir nehmen, was wir kriegen können.» 

So auch das Hotel Balegra im Neubad, wo seit März unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) wohnen. Der Aufschrei blieb in dem gut bürgerlichen Quartier denn auch nicht aus, doch nach einem anfänglichen Gezeter um die Nutzung eines Spielplatzes scheint nun Ruhe eingekehrt zu sein. Was wiederum zeigt, wie wichtig insbesondere bei sozialen Wohnprojekten die Begleitung durch den Kanton sowie intensive Nachbarschaftsarbeit ist. Dem ist sich auch Lätsch bewusst.

Links Druck, rechts gelassen

Bleibt also abzuwarten, wie lange sich Basel noch Zeit lässt, bis der Kanton die nötige Liegenschaft für das Wohnprojekt Housing First Plus erwirbt, um beim sozialen Wohnen über die Schaffung von Kompetenzstellen und Fachgruppen hinaus vorwärts zu machen. Der Druck der Linken dürfte weiter steigen. Die Bürgerlichen sehen es hingegen gelassen. So sagt Raoul Furlano, LDP-Grossrat und Mitglied der Gesundheits- und Sozialkommission: «Der Staat ist nicht zuständig für alle Liegenschaften im Kanton.» So hält Furlano wenig überraschend gerade mal «gar nichts» davon, dass der Kanton Häuser kaufen solle, um soziale Wohnprojekte zu realisieren. Die Ratsrechte habe während der Debatten um Housing First Plus vorausgesagt, dass es schwierig werden würde, an geeignete Liegenschaften zu kommen. Nichtsdestotrotz sieht er nun Immobilien Basel in der Pflicht: «Die sollen nun Guzzi geben und schauen, was machbar ist».

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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